Nur Wochen nach einem Schicksalsschlag präsentiert sich Stefan Küng vor dem ersten grossen Saisonhighlight in ausgezeichneter Verfassung. Rad-Experte Henri Gammenthaler zeigt sich vom Ausnahmekönner beeindruckt.
Keine Zeit? blue Sport fasst für dich zusammen
- Am Sonntag steigt für die Radprofis mit der Flandern-Rundfahrt ein grosses Saisonhighlight. Mit Stefan Küng gehört auch ein Schweizer zum erweiterten Favoritenkreis.
- Der 30-Jährige zeigt sich nur Wochen nach einem Schicksalsschlag in Bestform und wird dafür von Experte Henri Gammenthaler bewundert: «Das ist enorm hoch einzuschätzen.»
- Weil mit Wout Van Aert der Topfavorit verletzt passen muss, sieht Gammenthaler für dessen Konkurrenz eine grosse Chance. Und auch Küng selbst sagt: «Nochmals Fünfter oder Sechster zu werden, kann nicht mein Anspruch sein.»
Stefan Küng hat schwierige Zeiten hinter sich. Die abgelaufene Saison wird vom Tod seines Freunds Gino Mäder im Juni an der Tour de Suisse überschattet. Sie endet für Küng zudem vorzeitig, weil er im EM-Zeitfahren im September in ein Absperrgitter kracht und blutüberströmt die Ziellinie überquert. «Er hätte da niemals weiterfahren dürfen», schüttelt Rad-Experte Henri Gammenthaler beim Gedanken an den demolierten Helm den Kopf.
Kaum hat Küng die neue Saison in Angriff genommen, muss der 30-Jährige einen Schicksalsschlag neben der Strasse verkraften. Er und Frau Céline verlieren Anfang März ihr ungeborenes zweites Kind. «Unsere Familie sollte wachsen. Wir erwarteten im kommenden August ein zweites Kind. Leider haben wir es letzte Woche verloren», schreibt Küng in den sozialen Netzwerken und erklärt so auch seine Abwesenheit beim Halb-Klassiker Strade Bianche.
Es folgen schwierige Stunden. «Ich hatte Lust auf gar nichts», gesteht Küng der SDA und legt deshalb bis Mitte März eine Pause ein. «Ich wusste, ich müsste eigentlich trainieren, merkte aber, es geht nicht.» Trotzdem meldet sich Küng rund vier Wochen nach dem Schicksalsschlag eindrücklich zurück und rast im belgischen Eintagesrennen «Quer durch Flandern» als Dritter auf das Podest.
Eine neue Ausgangslage
Das beeindruckt Rad-Experte Henri Gammenthaler zutiefst. «Es ist enorm hoch einzuschätzen, dass er schon wieder in einer solchen Verfassung Rad fährt. Eine Riesen-Leistung, physisch und psychisch. Küng kann auf die Zähne beissen, er klaut gar nichts. Ein Ausnahmekönner», schwärmt Gammenthaler. «Ich bin überzeugt, dass Küng das Geschehene nach seiner Pause auch auf seinem Velo verarbeiten konnte. Und er hat den Rückhalt seiner Familie, seiner Frau.» Nur so sei es möglich, dass Küng die anstehenden grossen Klassiker offenbar in Topform in Angriff nimmt.
Am Sonntag steht die Flandern-Rundfahrt auf dem Programm, eine Woche darauf folgt mit Paris-Roubaix ein Lieblingsrennen des Schweizers. Und: «Die Ausgangslage hat sich sehr verändert», macht Gammenthaler klar und spricht den Massensturz vom Mittwoch an, bei dem rund ein Dutzend Fahrer zu Fall kommen.
Topfavorit Wout Van Aert bricht sich das Schlüsselbein und mehrere Rippen, muss sich gar einer Operation unterziehen und länger pausieren. «Ihm liegt so viel an der Flandern-Rundfahrt und jetzt muss nach seinem Horrorsturz passen. Das bedeutet aber auch, dass Stefan Küng jetzt die ganz grosse Chance hat», so Gammenthaler.
Henri Gammenthaler
Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für «blue Sport». Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.
Auf Cancellaras Spuren?
Schliesslich lässt sich dessen jüngste Bilanz in Flandern sehen: 2022 fährt er auf Platz fünf, im letzten Jahr wird er Sechster. Und so meldet auch Küng selbst die Ambitionen an, in Belgien als erster Schweizer seit Fabian Cancellara 2014 zu triumphieren. «Nochmals Fünfter oder Sechster zu werden, kann nicht mein Anspruch sein», so Küng. «Das Ziel muss es sein, aufs Podest zu fahren oder im besten Fall zu gewinnen.»