Interview «Ich halte es für unmöglich, dass Froome seine Siege 'nature' einfährt»

Interview: René Weder

27.5.2018

Chris Froom ist das Lächeln noch nicht vergangen.
Chris Froom ist das Lächeln noch nicht vergangen.
Bild: Getty Images

Chris Froome gewinnt den Giro d’Italia erstmals in seiner Karriere. Der Sieger quittiert Doping-Anschuldigungen mit einem Lächeln. Das stösst vielen sauer auf. Auch Radsport-Experte Henri Gammenthaler schenkt Froome wenig Kredit.

Henri Gammenthaler: Chris Froome gehört nun zur seltenen Gilde jener, welche die Tour de France, den Giro und die Vuelta gewonnen haben. Was geht Ihnen nach seinem jüngsten Triumph durch den Kopf?

Als grosser Radsport-Fan blutet mir schon länger das Herz. Und der Sieg Froomes beim Giro ist nun ein weiterer Dolchstoss in meine Brust. Ich halte es nicht für möglich, dass Froome seine Siege «nature» feiert, wie man im Radsport sagt.

Wie kommen Sie darauf?

Froome ist kein gewöhnlicher Radrennfahrer. Er ist der Auffassung, dass er der Beste seiner Zeit und auf allen Stufen professioneller als alle anderen ist. Ich sehe da Parallelen zu Lance Armstrong.

Bitte präzisieren Sie diese Aussage.

Armstrong sagte, nachdem er endlich zugegeben hatte, systematisch gedopt zu haben, dass er einfach der Beste darin gewesen sei. Alle anderen hätten auch gedopt. Er sei einfach professioneller dabei vorgegangen. Noch heute fühlt er sich gekränkt, wenn er hört, dass er nur dank Doping soweit gekommen sei. Ich fürchte, Chris Froome denkt da in eine ähnliche Richtung. Hat man diese Haltung einmal verinnerlicht, entspricht sie der subjektiven Wahrheit.

Froome war beim Giro nicht der konkurrenzlose Fahrer früherer Rundfahrten. Er stürzte, verlor zu Beginn der Rundfahrt viel Zeit.

Ja, und dann kam sein fulminanter Ritt auf dem 19. Teilstück, der Königsetappe, der mich stark an Floyd Landis, der 2006 nach einer ähnlichen Flucht an der Tour de France nachträglich disqualifiziert wurde, erinnerte. Eine solche Leistung grenzt an ein Wunder. Nur bin ich der Meinung, dass es in einer der härtesten Sportarten der Welt keine Wunder gibt.

Wenn man das Giro-Klassement analysiert, fragt man sich: Warum verlieren die Schweizer Profis Reichenbach, Frankiny und Morabito mindestens eine, schlimmstenfalls gar vier Stunden auf den Sieger?

Natürlich haben die Schweizer in ihren Teams andere Funktionen als ein Froome bei «Sky». Da kann sich in Sachen Rückstand einiges zusammenläppern, wenn man als «Wasserträger» amtet. Eine andere Frage ist wichtiger: Wie konnte der bisherige Leader Simon Yates in einer Etappe 38 Minuten verlieren?

Ja, wie ist das möglich?

Es ist natürlich. Es ist menschlich. Ein Einbruch bei einer dreiwöchigen Tour ist nichts weiter als normal. Würde alles mit rechten Mitteln zu und her gehen, würden wir viel mehr davon sehen.

Welche Rolle spielt Froomes Team «Sky» in Ihrem Urteil?

Es ist doch klar, dass «Sky» das höchste Interesse daran hat, Froome als Sieger zu sehen. Sky ist meisterhaft darin, die Illusion zu erhalten, den Radsport revolutioniert zu haben. 2010 versprach Team-Chef David Brailsford, die Tour de France mit britischen Fahrern zu gewinnen. Natürlich sauber – ohne Doping. 2012 gewann Bradley Wiggins dann das Rennen – er hatte schon im Jahr zuvor eine Ausnahmeregelung für Triamcinolon (Kortison, Anm. d. Red) erhalten. Angeblich wegen Heuschnupfens. Dann übernahm Chris Froome und gewann 2013, 2015, 2016 und 2017. Im September des letzten Jahres dann die positive Doping-Probe.

Das ist nicht ganz korrekt. Froome wurde nicht des Dopings überführt, weil das Asthmamittel Salbutamol nicht auf der Dopingliste steht. Der Radsport-Verband UCI spricht hier von einem «abnormalen Test». Froome ist den Beweis immer noch schuldig, dass die hohen Werte auf natürlichem Weg zustande gekommen sind.

Die Situation ist doch schon seit langem völlig grotesk. Und die UCI einfach nicht mehr glaubhaft. Auch die Konkurrenten Froomes fordern Klarheit: Entweder ein Fahrer wird getestet, überführt und gesperrt oder freigesprochen. Diese Grauzone schadet dem Sport – und sie erweckt den Eindruck, dass die UCI kein Interesse daran hat, Klarheit zu schaffen.

Weshalb?

Es ist ganz einfach: Es geht um viel Geld. Sehr viel Geld. Und niemand will mit dem Mythos brechen, wonach die Rad-Idole Übermenschliches zu leisten im Stande sind. Der Radsport lebt und zieht immer noch die Massen in seinen Bann. Schauen Sie sich die grossen Rennen an. Hunderttausende Fans stehen entlang der Strassen. Das ist für die UCI ein Segen.

Das heisst aber auch, dass sich die Fans nicht daran stören, dass der Sport schon so lange ein Imageproblem hat?

Genau. Wir haben uns doch längst daran gewöhnt. Geld, Erfolg und Anerkennung sind der Nährboden für Dopingmissbrauch. Nicht nur im Radsport, aber der ist besonders prädestiniert.

Wie geht es nun mit Froome weiter? Er hat jetzt die Tour, die Vuelta und den Giro in Serie gewonnen.

Natürlich ist er auch in diesem Jahr der erste Favorit auf den Sieg in Paris. Alles in seinem Team ist daraufhin ausgerichtet. Ich rechne nicht damit, dass die Salbutamol-Affäre bis dahin geklärt sein wird. Eher werden wir Jahre später Gewissheit haben, aufschreien und uns dann wieder dem Alltag widmen. Bis dahin haben wir bestimmt auch neue Idole.


Über Henri Gammenthaler

Henri Gammenthaler (77) ist ausgewiesener Radrennsport-Experte und dem Sport seit Jahrzehnten verbunden. Früher als Amateur-Radrennfahrer erfolgreich, wechselte er nach seiner sportlichen Karriere die Seiten und ist seither mitunter als freischaffender Sportreporter tätig. Henri Gammenthaler kennt das Metier wie kein Zweiter, war jahrelang Reporter der Tour de Suisse und kommentierte hunderte Rennen mit unvergleichbarer Expertise, Humor und Fachkompetenz. Er berichtet auf bluewin.ch über den Radsport.

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