Das Coronavirus breitet sich im Fahrerfeld der Schweizer Landesrundfahrt weiter rasant aus. Tour-Direktor Olivier Senn spricht über die möglichen Szenarien und schliesst einen Abbruch nicht aus.
Die erste von zwei Bergankünften an der Tour de Suisse endet mit dem Tagessieg des Deutschen Nico Denz. Die Schlagzeilen an der Tour de Suisse werden Ende Woche aber durch das Coronavirus dominiert. Am Freitag konnten unter anderen Marc Hirschi, Stefan Bissegger und Leader Alexander Wlassow nicht mehr zur 6. Etappe antreten.
Mit Gino Mäder hatte am Vortag bereits ein anderer Schweizer Spitzenfahrer Forfait erklären müssen, er allerdings nicht wegen Corona, sondern wegen Magen-Darm-Problemen. Sollten die Ausfälle zunehmen, droht der Abbruch der Rundfahrt.
«Im Moment ist es so, dass vier Teams nicht mehr antreten. Es gibt daneben noch einzelne Fahrer, die nicht mehr an den Start kommen. Inklusive dem Gelben Trikot leider», so Tour-Direktor Olivier Senn gegenüber Keystone. «Morgen früh werden wir neu schauen, wo wir stehen und entscheiden. Wir gehen im Moment davon aus, dass wir durchziehen können.»
Teams und Fahrer wollen weitermachen
Nachdem am Vortag mindestens neun Fahrer positiv getestet worden waren und sich bereits das Team Jumbo-Visma komplett zurückgezogen hatte, erwischte das Virus am Freitag mit Hirschi und Bissegger unter anderem die ersten Schweizer sowie mit Alexander Wlassow den Gesamtführenden. Der Russe hatte am Donnerstag einen Etappensieg gefeiert und das Leadertrikot übernommen.
Wegen der Häufung der Fälle stiegen mit den Teams Bahrain, Alpecin und UAE Emirates drei weitere Equipen komplett aus der Tour aus. Neben Hirschi und Bissegger sind auch Silvan Dillier vom Team Alpecin und Joel Suter als Team- und Zimmerkollege von Hirschi betroffen. Zu den insgesamt 28 Fahrern, die nicht mehr zur sechsten Etappe antraten, gehörte überdies Reto Hollenstein vom Team Israel – auch er, weil sein Zimmerkollege positiv getestet worden ist.
«Es gibt keine reglementarischen Vorgaben oder Szenarien. Am Schluss geht es um die Sicherheit der Fahrer», zeigt sich Senn besorgt. «Es ist uns wichtig, auch die Meinung der Teams und Fahrer zu hören. Und es sind sich alle einig, dass das Rennen weitergehen soll. Die Teams kennen die Regeln und treffen Vorsichtsmassnahmen. Sie nehmen die infizierten Fahrer aus dem Rennen und auch deren Zimmerkollegen. Es sind aber weiterhin alle motiviert, weiterzufahren.»
Die Vertreter der UCI, die Teams und die Tour-Direktion werden die Situation am Samstag vor dem Start zur 7. und zweitletzten Etappe in Ambri neu beurteilen. Bis dahin rufen die Verantwortlichen alle Beteiligten auf, «das geltende Corona-Schutzkonzept der Tour de Suisse konsequent einzuhalten».
Nur Fahrer, keine Betreuer betroffen
Bis anhin sind gemäss Senn ausschliesslich Fahrer betroffen. «Das Worst-Case-Szenario war bisher immer, dass wir in der Organisation zu viele Ausfälle haben. Nach meiner Kenntnis hat es keinen einzigen Betreuer erwischt. Und auch wir in der Tour-Organisation sind bisher verschont geblieben. Das ist doch speziell und zeigt, wie unberechenbar das Virus weiterhin ist.»
Nach einem obligatorischen PCR-Test vor dem Auftakt der Rundfahrt testen die Teams seither in Eigenverantwortung, die meisten täglich. «Wir wissen nicht, wie sich die Fahrer angesteckt haben», so Senn.
Es droht eine sportliche Farce
Wird die 85. Ausgabe der Landesrundfahrt zu Ende gefahren, bleibt doch ein schaler Nachgeschmack. Aus sportlicher Sicht droht die Rundfahrt eine Farce zu werden. «Das ist natürlich schade, aber uns sind leider die Hände gebunden», so Senn. «Es wird langsam eine Frage der sportlichen Relevanz. Aber wir sind noch nicht an diesem Punkt und wir hoffen auch, dass wir nicht dahin kommen.»
Bitter ist insbesondere, dass zahlreiche Schweizer Topfahrer aussteigen mussten. Hirschi hatte am Donnerstag in Novazzano zwar rund eine Minute auf den Tagessieger Wlassow verloren. In der Gesamtwertung belegte Hirschi mit 1:03 Minuten Rückstand dennoch den guten 12. Rang.
Bissegger seinerseits hätte im abschliessenden Zeitfahren am Sonntag in Vaduz zu den Aspiranten auf den Etappensieg gezählt. Einen kleinen Lichtblick gibt es aus Schweizer Sicht dennoch. Stefan Küng fährt dank der kuriosen Umstände plötzlich um den Gesamtsieg mit.
Wird die Tour fortgeführt, steht am Samstag wieder ein Anstieg über einen Alpenpass an. Vom Start in Ambri führt die Strecke der siebten und vorletzten Etappe über den Lukmanier und endet nach 196 Kilometern in Malbun. Insgesamt gilt es 3190 Höhenmeter zu überwinden. Am Sonntag steht zum Abschluss ein Zeitfahren in Vaduz auf dem Programm.