Am 27. April 1956 schrieb der Boxsport eine seiner grössten Geschichten. Als erster und bis heute einziger Schwergewichtler beendete Rocky Marciano seine Profikarriere nach 49 Siegen ungeschlagen.
Rocky Marciano feierte den grössten Sieg im Ring, da war er ein halbes Jahr tot. Im Duell der beiden mutmasslich besten Schwergewichtsboxer der Geschichte siegte der «Brockton Blockbuster» am 20. Januar 1970 gegen Muhammad Ali in der 13. Runde durch einen Knockout. So zumindest hatte es ein Computerprogramm berechnet, das die Frage nach dem besten Schwergewichtsboxer aller Zeiten ein für alle Mal hätte klären sollen.
Der Ausgang des simulierten «Superfight» zwischen Marciano und Ali, für den sich die beiden US-Boxer nur Wochen vor Marcianos fatalem Flugzeugcrash zu geheimen Aufzeichnungen getroffen hatten, führte zu Kontroversen, die durch den dannzumal gesperrten Ali angeheizt wurden. Auf der einen Seite stehe er, Ali, der sich nicht dem alten Bild unterwerfen wolle, das Amerika von schwarzen Boxern habe. Auf der anderen Seite stehe eine «echte weisse Hoffnung». «Jeder gute amerikanische Computer weiss, wie man das zusammenrechnen muss», sagte Ali, der die «Niederlage» antizipiert hatte.
Der Seitenhieb richtete sich gegen die amerikanische Gesellschaftsordnung, nicht aber gegen Marciano, für den Ali grossen Respekt empfand. «Rocky war still, friedlich, bescheiden, nicht anmassend oder überheblich», schrieb Ali in seiner Autobiografie über seinen Vorgänger als Schwergewichts-Weltmeister. Zudem war Marciano unter Boxern eine Ausnahme, weil er den Absprung aus dem Sport rechtzeitig schaffte und tatsächlich nie mehr zurückkam. «Kein Geld der Welt bringt mich noch einmal in den Ring», hatte Marciano an jenem Freitag, dem 27. April 1956, gesagt, als er im Hotel Shelton in New York den Rücktritt verkündete.
Vorbild oder Hassfigur
Die Familie, insbesondere aber die Entbehrungen während der Trainingslager, nährten Marcianos Entscheid, die Boxkarriere sieben Monate nach der erfolgreichen sechsten Titelverteidigung gegen Archie Moore zu beenden. Kein Boxer soll in der Vorbereitung in solche Akribie verfallen sein wie Marciano. Selbst von seiner Familie liess er sich in den letzten Monaten vor einem Kampf nicht mehr besuchen. Er verbot sich jegliche Gedanken an die Zeit nach dem Boxen, weshalb ihm die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates eine «fast mönchische Hingabe» attestierte.
Überdies war Marciano aufgrund seiner Nehmerqualitäten und der Schlagkraft berüchtigt. Spätere Schwergewichts-Champions wie etwa Mike Tyson bewunderten Marciano dafür, dass er offensichtlich bereit war, fünf Schläge des Gegners einzustecken, um dafür selber einen Treffer zu landen. Wie kein anderer seiner 49 Kämpfe stand Marcianos erster WM-Titelkampf gegen Jersey Joe Walcott für diesen – seinen – Stil.
Gegen Weltmeister Walcott musste sich der Sohn italienischer Auswanderer nach einem linken Haken in der ersten Runde anzählen lassen. Er lag nach Punkten weit zurück, ehe er in der 13. Runde den Sieg mittels Knockout noch sicherstellte. «Ich bin niedergeschlagen worden, blutete und war wirklich angezählt», sagte Marciano nach dem Kampf, den er als härtesten seiner Karriere in Erinnerung behalten sollte.
Nicht von allen allerdings wurde Marciano für seinen Boxstil gefeiert. Zu ungelenk und schwerfällig, so das Urteil der Kritiker, trotz seiner für einen Schwergewichtsboxer geringen Körpergrösse von 179 Zentimeter. Auch die Siege, die Ungeschlagenheit und die vierjährige Regentschaft als Weltmeister änderten an der Polemik um seine Fähigkeiten als Boxer nichts. «Rocky Marciano könnte nicht mal meinen Tiefschutz tragen», sagte Larry Holmes, der Schwergewichts-Weltmeister der Jahre 1978 bis 1985, nachdem er Marcianos Siegesserie selber knapp verpasst hatte. Holmes unterlag nach 48 Profi-Siegen im 49. Kampf Michael Spinks nach Punkten.
Marciano hatte im Ring nie die Eleganz eines Sugar Ray Robinson, war nicht so variabel wie Muhammad Ali und verteidigte seinen WM-Titel weit weniger hartnäckig als Joe Louis, der 26-mal erfolgreich zur Titelverteidigung antrat. Er ging als Boxer mit der harten Linken und der noch härteren Rechten in die Geschichte ein, als Weltmeister, der den Absprung rechtzeitig schaffte. Und als der Boxer, der selbst nach seinem Tod nicht verlieren konnte.