Sportpsychologe Alex Scherz: «Die Sportler brauchen einen Notfallplan»
Von Martina Baltisberger
27.3.2020
Ob Triathlon oder Fussball – Sportlerinnen und Sportler müssen zurzeit zu Hause trainieren.
Bild:Instagram
Mit der Corona-Krise gestaltet sich auch der Alltag von Sportlern völlig neu. Was bedeutet die aktuelle Situation für sie? Wo liegen die Gefahren – und vielleicht sogar die Chancen? Sportpsychologe Alex Scherz klärt auf.
Keine Spiele, keine Wettkämpfe: Der Sport steht im Zuge der Corona-Krise komplett still. Viele Athleten trifft es mit der Olympia-Verschiebung besonders hart – vier Jahre lang hat man sich für den grossen Moment vorbereitet. «Jetzt braucht es einen Notfallplan», sagt Sportpsychologe Alex Scherz. Er behandelt seit zwölf Jahren Spitzensportler aus allen Sportarten – vom Fussball, Handball, Golf bis zum Triathlon. Im Interview erklärt der 47-jährige Baselbieter, welche Sportlertypen in ein Loch fallen können und was es braucht, um wieder hinauszukommen.
Alexander Scherz, die Olympischen Spiele sind nach langem Zögern verschoben worden. Ist es entlastend für die Sportler, dass jetzt Klarheit herrscht?
Es war für jeden Sportler absolut notwendig zu wissen, dass Olympia in diesem Jahr nicht stattfinden wird. Jetzt besteht Klarheit und man kann als Sportler wieder planen. Das ist wichtig.
Trotzdem entsteht eine neue Ungewissheit. Im persönlichen sportlichen Bereich, aber auch für Lebens- und Berufsplanung oder Finanzierung. Wie schwierig ist dies für SportlerInnen?
Mit dieser Herausforderung ist zurzeit die ganze Gesellschaft konfrontiert. Jeder Einzelne muss schauen, wie er die finanziellen Lasten stemmen kann. Derzeit ist alles unsicher, das erleben wir in unserer täglichen Arbeit mit den Sportlern. Ein gutes Signal kam vom Bundesrat, wonach man sich auch als Athlet finanziell absichern kann. Was die Planung betrifft, sollte man sich als Sportler auf die Tagesstruktur fokussieren. Das heisst, in erster Linie sich fit halten und den Tag so nehmen, wie er kommt. Der Sportler muss zudem mit der räumlichen Situation zurechtkommen. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit muss erlangt werden.
Alexander Scherz, Dipl. Sportpsychologe FSP
Alexander Scherz, Dipl. Sportpsychologe FSP und Coach, ist mit seiner Firma «AS-Coaching» spezialisiert auf das Coaching von Teams und Einzelpersonen, Konflikt- und Krisen-Management und die Kommunikation im Team. Als vielseitiger Sportler setzt der 47-jährige Baselbieter seine umfangreichen sportartspezifischen Erfahrungen bei seiner sportpsychologischen Tätigkeit für die sportpsychologische Praxis «Kopfsache Sport» ein.
Die Sportler sollten sich also auf das Hier und Jetzt konzentrieren und nicht zu weit in die Zukunft schauen?
Genau. Die Athleten brauchen aber gewisse Handlungsstrategien. Einen sogenannten Notfallplan – wie bei Wettkämpfen. Zum Beispiel: Wenn das und jenes passiert, was macht man dann. Wenn alles schief geht, wie reagiert man. Gewisse Sportler haben Erfahrungen darin und jene sind zurzeit im Vorteil. Man sollte sich für das Schlimmste vorbereiten, aber stets für das Beste hoffen. Ein Plan B oder C ist in dieser Situation wichtig. Momentan kann keiner sagen, wie es in zwei Monaten aussieht und ob die Saison in manchen Sportarten weitergeht. Jetzt hat man ein gewisses Zeitpolster, um Handlungsstrategien entwerfen zu können.
Wie ist die Stimmung bei den Sportlern, die Sie behandeln? Bleiben sie zuversichtlich oder gibt es Sportler, die in ein mentales Loch fallen?
Sowohl als auch. Es kommt auf die Erfahrung drauf an. Eine Pandemie hat noch niemand erlebt. Aber es gibt Sportler, die bereits persönliche Krisen durchgemacht haben. Diese können auf gewisse Ressourcen zurückgreifen und wissen, was ihnen damals geholfen hat. Es gibt aber auch junge Sportler, die mit dieser Situation grosse Probleme haben. Die Unsicherheit macht ihnen zu schaffen. Und ältere Athleten denken darüber nach, ob dies nun ihr Karriereende bedeutet. Gewisse Sportler erleben auch eine Ohnmacht. Es macht sie wahnsinnig – sie wissen nicht, was sie machen sollen. Athleten sind sich gewohnt, aktiv zu sein und jetzt sind sie dazu verdammt, «nichts» zu machen.
Man muss die Sinnhaftigkeit wieder finden und sehen, dass Sport nicht alles ist. Es ist ein sehr wichtiger Teil, aber nicht alles. Der Sportler sollte den Fokus neu richten. Auch andere Leute in anderen Berufen sind zurzeit betroffen. Man kann als Sportler auch anderen helfen oder sich an anderen Projekten beteiligen. So erreicht man eine gewisse Selbstwirksamkeit – anstelle eines Ohnmachtsgefühls.
Welcher Typ Sportler übersteht eine solche Phase am besten, welche Charaktereigenschaften muss er mitbringen?
Selbstbewusstsein hilft in dieser Situation. Aber Erfahrung ist besonders essenziell. Wenn man weiss, dass man in der Vergangenheit auch schon etwas aus eigener Kraft erreicht hat. Ausserdem sollte man jetzt möglichst flexibel bleiben – in der Denkweise. Man kann ja schliesslich noch nicht genau planen, wie es in Zukunft weitergehen soll. Dennoch sollten gewisse Sportler die Zeit auch nutzen, sich erste Gedanken um die Karriere nach der Karriere zu machen. Letztlich ist es eine Einstellungssache. Das positive Denken ist wichtig. Man sollte die ganze Situation nicht nur als Krise, sondern eben auch als mögliche Chance sehen.
Was sagen Sie zur folgenden These: Wer es schafft, die Krise als Herausforderung zu betrachten und nicht mit der Situation hadert, der wird danach umso stärker zurückkehren.
Ich würde ihr zustimmen. In einer Krise findet man vielleicht Fähigkeiten an sich, von denen man bisher nichts gewusst hat. Wenn man sich diesen bewusst wird, kann eine Krise eine Person widerstandsfähiger machen. Die Erfahrungen sind sehr wertvoll.
Haben Sie in diesen Corona-Zeiten mehr zu tun?
Wir haben momentan nicht mehr zu tun, aber die Kommunikationswege haben sich verändert. Ich musste mich selbst auch zurechtfinden. Es gibt zurzeit keine Gruppensitzungen mehr, es läuft vieles über Telefonate und Mail-Kontakt ab. Selten werden noch Einzelsitzungen unter Einhaltung strikter Gesundheitsauflagen des BAG durchgeführt.
Das sagen Schweizer Athleten zum Olympia-Aus 2020
Mujinga Kambundji (Leichtathletin): In dieser Zeit gibt es Dinge, die viel grösser und wichtiger sind als der Sport. Am wichtigsten ist, dass wir alle bei guter Gesundheit bleiben können. Mir war klar, dass dieser Entscheid kommen wird.
Bild: Keystone
Nino Schurter (Mountainbiker): Auch wenn ich eine sehr gute Vorbereitung hatte und Form und Timing gepasst hätten, tritt dies alles in den Hintergrund. Im Moment und für die nahe Zukunft zählen höhere Werte und Ziele.
Bild: Keystone
Jérémy Desplanches (Schwimmer): Das ist die einzig richtige Entscheidung. Ich bin trotzdem hin- und hergerissen, denn ich bin Sportler. Und als Sportler sage ich: Verdammt! Denn für Olympia gab ich alles, wirklich alles. Aber aktuell ist der Sport nicht das Wichtigste, sondern die Gesundheit der Menschen.
Bild: Keystone
Nicola Spirig (Triathletin): Ich kann noch nicht sagen, wie es bei mir weitergeht. Ich werde nun die neue Situation gemeinsam mit meiner Familie und meinem Team besprechen und analysieren.
Bild: Getty
Kariem Hussein (Leichtathlet): Im Moment gibt es Wichtigeres auf der Welt und andere Prioritäten. (…) Ich sehe das Gute. Das gibt mir ein Jahr mehr, um mich vorzubereiten und ich bin weiterhin voll motiviert, dann halt einfach in einem Jahr anzugreifen.
Bild: Keystone
Oliver Hegi (Kunstturner): Ich unterstütze den Entscheid voll und ganz, denn die Gesundheit geht vor.
Bild: Keystone
Max Heinzer (Degenfechter): Ich bin froh um diese Klarheit. Von der Motivation her war es in den letzten Wochen schwierig.
Bild: Keystone
Léa Sprunger (Leichtathletin): Die Olympischen Spiele in Tokio 2021 werden wahrscheinlich mein letztes Grossereignis der Karriere sein.
Bild: Keystone
Giulia Steingruber (Kunstturnerin): Ich finde den Entscheid absolut vernünftig und richtig in dieser speziellen Weltsituation.
Bild: Keystone
Nina Betschart (Beachvolleyballerin): Es ist hart. Als Sportler macht man sich Gedanken, ob man die Qualifikation für die Spiele schafft oder hofft, dass man in dieser Zeit verletzungsfrei bleibt. Aber man überlegt sich nie im Leben, dass die grossen Olympischen Spiele nicht stattfinden könnten.
Bild: Keystone
Claudio Imhof (Bahnradfahrer): Die Verschiebung ist der einzig richtige Entscheid. Ich hatte in den letzten Tagen gehofft, dass es so weit kommen würde.
Bild: Getty
Elena Quirici (Karate-Kämpferin): Aus meiner Sicht platzt trotzdem ein riesiger Traum. Zuletzt habe ich nicht mehr gearbeitet – ich habe ein Jahr als Vollprofi für Olympia geschuftet, wollte erst danach wieder einsteigen. So richtig die Entscheidung ist, so bitter ist sie auch für mich.
Bild: Getty
Maria Ugolkova (Schwimmerin): Aktuell kann ich sowieso nicht mehr trainieren, alle Schwimmbäder sind ja geschlossen. Es wäre also auch nicht fair, weil andere Athleten in anderen Ländern dies noch können.
Bild: Keystone
Das sagen Schweizer Athleten zum Olympia-Aus 2020
Mujinga Kambundji (Leichtathletin): In dieser Zeit gibt es Dinge, die viel grösser und wichtiger sind als der Sport. Am wichtigsten ist, dass wir alle bei guter Gesundheit bleiben können. Mir war klar, dass dieser Entscheid kommen wird.
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Nino Schurter (Mountainbiker): Auch wenn ich eine sehr gute Vorbereitung hatte und Form und Timing gepasst hätten, tritt dies alles in den Hintergrund. Im Moment und für die nahe Zukunft zählen höhere Werte und Ziele.
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Jérémy Desplanches (Schwimmer): Das ist die einzig richtige Entscheidung. Ich bin trotzdem hin- und hergerissen, denn ich bin Sportler. Und als Sportler sage ich: Verdammt! Denn für Olympia gab ich alles, wirklich alles. Aber aktuell ist der Sport nicht das Wichtigste, sondern die Gesundheit der Menschen.
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Bild: Keystone
«Blind Date»: Teleclub Skype-Talks mit Sportlern
Suri und Klose im Skype-Interview: «Malen nach Zahlen ist sensationell»
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