Kein Training Stefan Reichmuth ringt mit Lockdown: «Irgendwann schlägt es auf die Psyche»

SDA

7.5.2020 - 20:05

Stefan Reichmuth kann derzeit nur in reduziertem Ausmasse trainieren
Stefan Reichmuth kann derzeit nur in reduziertem Ausmasse trainieren
Source: Keystone

Freistil-Ringer Stefan Reichmuth macht keinen Hehl daraus, dass das ausgesetzte Zweikampf-Training und der Wettkampf-Lockdown aufgrund der Corona-Krise ihm zu schaffen machen.

«Du bist gewohnt, auf einen Wettkampf hin zu arbeiten. Das Training ohne Wettkampftermin geht eine Zeitlang, aber irgendwann schlägt es auf die Psyche. Wahrscheinlich hat man nun quasi ein Jahr weniger in der Karriere», sagte der 25-jährige Luzerner gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Der letztjährige WM-Dritte im Limit bis 91 kg ist sich bewusst, dass die aktuelle Situation einmalig ist. «Kein Mensch aus welcher Generation auch immer, mit dem ich gesprochen habe, hat Vergleichbares je erlebt.»

Vor rund zwei Monaten befand sich Reichmuth noch in freiwilliger Quarantäne, um daheim in Grosswangen mit zwei georgischen Gastringern ein möglichst hohes Level an Zweikampf-Training aufrechtzuerhalten. Jene Zweikampf-Trainings absolvierte er im März zwei Wochen lang wegen bereits geschlossenen Hallen unter freiem Himmel.

Es folgte die Olympia-Absage, mit der Reichmuth gerechnet hatte. Für Reichmuth selbst war die Olympia-Verschiebung um ein Jahr «nichts als fair». Er weiss von Ringer-Kollegen in Italien oder Spanien, «die schon damals nur in der Stube sitzen durften».



Workout mit Toilettenpapier

Aber auch für Reichmuth persönlich hat sich mittlerweile einiges geändert. Zweikampf-Trainings sind nun auch für ihn verboten. Immerhin könne er aber sein Konditionstraining draussen gestalten, mittels Laufen oder auf dem Bike. Zur Abwechslung des manchmal monotonen Solo-Trainings präsentierte er im Rahmen der sport@home-Serie von SRF ein anspruchsvolles Indoor-«Ringer-Workout». Dabei gab Reichmuth auch eine Bauchmuskel-Übung mit einer Toilettenpapier-Rolle zum Besten.

Zweimal pro Woche zieht Reichmuth noch in einem privaten Kraftraum in Grosswangen zusammen mit Ringer-Kollege Sami Scherrer gezielte Einheiten durch. Aber längst kribbelt es ihn ihm. Jahrelang verbrachte er rund 200 Trainingstage pro Jahr im Ausland, wo er sich dank hochkarätigen Sparringspartnern auf ein Top-Level hievte. «Die letzten zehn Jahre war ich noch nie so viele Wochen am Stück daheim.»

Das eigene Training, das Video-Studium oder alle zwei Wochen das Mental-Training mit dem Spezialisten Reto Faden reichen ihm nicht mehr aus. Motivationsförderung, die Tages- und damit Trainings-Struktur sowie eine positive Grundeinstellung oder Herangehensweise stehen in jenen Sessions im Vordergrund.

Dennoch: Aus dem aktuellen «Trott» möchte Reichmuth ausbrechen. «Ich hoffe, dass es doch sehr zeitnah mit den Sportzentren in Magglingen oder Tenero eine Lösung ergibt, die der Verband oder Swiss Olympic ausarbeitet, und es ein Quarantäne-Trainingscamp unter uns Schweizern gibt. Ich hoffe, dass da nun etwas kommt.»

Es müsse etwas gehen, denn in einem Jahr würden die Olympia-Medaillen verteilt. Und da will Reichmuth auf jeden Fall ein gewichtiges Wort mitreden. Ohne Matten-Training gewinne man keine Olympia-Medaille. «Ich habe nicht Angst, dass ich zu viel verliere. Ich habe mehr Angst, dass Athleten aus Ländern wie Russland mehr trainieren können, weil ihnen entsprechende Möglichkeiten eröffnet werden. Und eine frühere Aufnahme des Zweikampf-Trainings könnte Vorteile bringen beziehungsweise Auswirkungen auf das Olympia-Abschneiden von 2021 haben», denkt Reichmuth.



«Irgendwann den Weltmeister-Gürtel umschnallen»

Im Nachklang der Olympia-Verschiebung gab das IOC auch bekannt, dass die bereits erkämpften Olympia-Quotenplätze ihre Gültigkeit für Tokio 2021 behalten. Gut für Reichmuth, auch wenn er ohnehin damit gerechnet hatte. Gleichzeitig heisst es aus Tokio aber auch, dass ohne Impfstoff bis Anfang 2021 die Spiele definitiv abgesagt werden könnten.

An eine potenzielle Olympia-Absage für 2021 will Reichmuth indes noch keine grossen Gedanken verschwenden. «Wenn es dann wirklich so käme, müsste ich es halt so nehmen. Für mich steht aber ausser Frage, dass ich ohnehin bis Olympia 2024 in Paris Profi-Ringer bleibe.»

Doch für Reichmuth zählt nicht nur eine Olympia-Medaille. Es gäbe noch zwei vor ihm liegende Plätze an Weltmeisterschaften, die er noch nicht erreicht hätte. Für ihn ist klar: «Irgendwann willst du dir auch noch den Weltmeister-Gürtel um die Hüfte schnallen.»

Dass heuer vom Weltverband doch noch Weltmeisterschaften angesetzt werden könnten, diese Möglichkeit will Reichmuth zumindest nicht ausschliessen. Noch stärker bezweifelt Reichmuth, dass die Mannschafts-Meisterschaft ab September ausgetragen werden kann, in der er für Willisau antritt. «Wenn es halt in diesem Jahr nichts mehr an Wettkämpfen gibt, dann wenigstens und hoffentlich ab Januar wieder», sagte Reichmuth.

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