Radprofis zieht es nach draussen, das zeigt sich auch in Corona-Zeiten. Für die Deutsche Tanja Erath aber war der Hometrainer der Türöffner für die Profikarriere.
Fussballer duellieren sich auf der Konsole, Formel-1-Piloten messen sich in Simulatoren, Radfahrer tragen virtuelle Rennen aus: Ausnahmesituationen erfordern aussergewöhnliche Lösungen. Wirklich anfreunden mit der virtuellen Parallelwelt können sich bei Weitem nicht alle. Auch die Radfahrer, bei denen die Alternative vergleichsweise nahe an die Realität herankommt, tun sich schwer.
Virtuelle Rennen wie das «Digital Swiss 5» mögen für die Athleten ein willkommener Ersatz in der Notsituation sein, als echte Alternative sieht sie kaum einer. Zwar freuten sich die Schweizer Teilnehmer an der Videokonferenz im Vorfeld über die Möglichkeit, in irgendeiner Form Rennen zu bestreiten.
Der Tenor entsprach indes jenem von Nino Schurter. Er bevorzuge es, draussen in der Natur zu fahren, sagte der Mountainbike-Olympiasieger. Die Rolle nutze er vor allem zum Ein- und Ausfahren vor und nach Wettkämpfen sowie im Winter, wenn das Wetter besonders garstig sei. Andere wie der Mountainbiker Filippo Colombo waren zum Zeitpunkt des Lockdown nicht einmal im Besitz einer Rolle.
Eraths spezieller Weg
Doch es gibt auch im Radsport das andere Extrem. Schurter berichtete etwa von seinem ehemaligen deutschen Mitstreiter Wolfram Kurschat und dessen exzessivem Rollentraining. Vielleicht noch eine Spur weiter ging Kurschats Landsfrau Tanja Erath. Die heute 30-Jährige kann durchaus als Königin der Rolle bezeichnet werden. Ende 2017 kam sie über den Hometrainer zu einem Profivertrag beim Spitzenteam Canyon-SRAM.
Erath nahm während ihres Medizinstudiums an der sogenannten Zwift Academy teil, einem Projekt eines Anbieters für virtuelle Radrennen mittels Smart-Trainer. Dort setzte sie sich gegen mehr als 2000 Konkurrentinnen durch und sicherte sich den Profivertrag, welcher der Siegerin in Aussicht gestellt worden war (diverse Rad-Portale berichteten). Erfolge stellten sich danach auch auf der Strasse und auf der Bahn ein. Unter anderem ist Erath amtierende deutsche Meisterin in der Mannschaftsverfolgung und trug sie an der Baskenland-Rundfahrt das Trikot als beste Sprinterin.
Angetrieben vom Film «Höllenritt»
Aus dem Nichts kam Eraths Durchbruch natürlich nicht. Als Hobby-Triathletin auf Bundesliga-Niveau war Erath schon in früheren Jahren fit. Schon damals war das Radfahren ihre grosse Stärke. Vielleicht auch deshalb, weil ihr das Training auf der Rolle dank dem Dokumentarfilm «Höllenritt» über die Tour de France 2003 so leicht fiel. Hunderte Male habe sie den rund zweistündigen Streifen mit Erik Zabel und Rolf Aldag in den Hauptrollen während ihren Einheiten auf dem Hometrainer gesehen, erzählte Erath dem Triathlon- und Ausdauersport-Portal «pushinglimits.de» einst – so oft, dass sie fast jedes Wort habe mitsprechen können.
Seit dem Profivertrag sei sie nicht mehr häufig auf der Rolle gesessen, sagte Erath unlängst im «Deutschlandfunk». Wegen der aktuellen Corona-Einschränkungen kehrte sie nun aber zu ihren Wurzeln zurück. Zu 98 Prozent fahre sie aktuell auf dem Hometrainer in ihrer Wohnung, obwohl sie in Deutschland draussen trainieren dürfte. «Zum einen aus Solidarität mit meinen Teamkolleginnen, die im richtigen Lockdown sind in Italien und Spanien. Zum anderen möchte ich die Wahrscheinlichkeit zu stürzen und in der Notaufnahme zu enden, so gering wie möglich halten. Und die Chance ist auf der Rolle einfach geringer als draussen», so Erath.