Bis am Montagabend konnte die Radsportwelt darauf hoffen, dass die Tour de France, ihr wichtigster Event, wie geplant Ende Juni beginnt. Nun muss auch dieser Anlass verschoben werden.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron höchstpersönlich hat auch das letzte Fünkchen Hoffnung von Christian Prudhomme auf einen Grand Départ am 27. Juni erlöschen lassen. An jenem Sommertag sollte nach Wunsch des Veranstalterchefs der Tour de France in der südostfranzösischen Hafenstadt Nizza trotz anhaltender Coronavirus-Pandemie der Startschuss zur 107. Frankreich-Rundfahrt fallen.
Während nahezu der komplette Sportsommer mit Fussball-EM, Olympia und Wimbledon für 2020 schon abgeblasen wurde, setzten sich die Tour-Verantwortlichen um Chef Prudhomme eine Frist bis 15. Mai, um bis dahin über die ursprünglich angedachte Austragung des grössten Radsportevents der Welt zu entscheiden. Diesem Vorhaben machte Frankreichs Staatspräsident am Ostermontag in seiner dritten TV-Ansprache an die Nation während der Coronavirus-Krise endgültig einen Strich durch die Rechnung.
Neben einer Verlängerung der strengen Ausgangsbeschränkungen bis mindestens zum 11. Mai erklärte Macron nämlich, dass «Veranstaltungen mit grossem Publikum frühestens Mitte Juli abgehalten werden» könnten. Ein Start wie geplant am 27. Juni in Nizza und bis zum Show-down in Paris am 19. Juli sei nicht mehr möglich, teilten die Veranstalter der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag mit.
Es wirkte eh schon wie ein Zeitspiel ohne reelle Siegchance, wie lange Prudhomme und grosse Teile der Radsport-Szene auf eine planmässige Austragung der Tour pochten. Schon im März hatte Prudhomme aufhorchen lassen, als er selbstbewusst mitteilte: «Für die Tour de France kann ich sagen: Nur zwei Weltkriege haben die Tour stoppen können.» Während der Druck auf das Internationale Olympische Komitee und die Europäische Fussballverband schon zu Beginn der Corona-Krise stetig stieg, hält sich die Kritik am Veranstalter ASO bislang in Grenzen. Prudhomme will sogar eine Tour mit Publikum sehen, was angesichts hunderttausender Zuschauer an den Strassen unmöglich scheint.
Verschiebung statt Absage?
«Im Namen Tour de France ist das wichtigste Wort Frankreich», hatte der 59 Jahre alte Prudhomme jüngst einem Internet-Portal gesagt. «Die Gesundheitssituation im Land ist das, was zählt.» Finde die Tour nicht statt, «bedeutet es, dass das Land in einer katastrophalen Situation ist». Frankreich ist von der Pandemie hart getroffen – bis Dienstag zählte das Land über 15'000 Todesfälle. Das hat nun auch Prudhomme überzeugt, der Start in Nizza ist nicht realisierbar. Eine verschobene Tour quer durchs Land mit vollen Strassen und riesigen Fanzonen? Wohl auch eher nicht.
Nachdem bereits alle Frühjahrsklassiker sowie der Giro d'Italia verschoben werden mussten, beginnt nun das Ringen um Termine im restlichen Jahr. Es gilt die Tour, den Giro, die Spanien-Rundfahrt und fünf grosse Klassiker im Kalender unterzubringen, was aber sehr schwierig wird. Das grösste Ziel der Beteiligten ist, die Tour in diesem Jahr irgendwie zu retten, um die wichtige TV-Übertragung zu garantieren und das Sponsorengeld zu sichern.
In den Überlegungen dürfte die Tour vor der Vuelta, dem Giro und den Klassikern Vorrang haben. Der Grund dafür sind nicht nur Prestige und Historie, sondern vor allem das Geld. Die Tour de France ist der wichtigste Rad-Event im Jahr, sowohl für die Teams wie für die Sponsoren. Zahlreiche Verantwortliche und auch Fahrer haben schon signalisiert, dass der Tour-Termin eine nachrangige Rolle spielt.
Die Organisatoren um Prudhomme sind nun also gefordert, einen Entscheid zu treffen, statt einer Absage wird es zunächst wohl eine Verschiebung geben, um Zeit zu gewinnen. «Der 11. Mai wird der Beginn einer neuen Etappe sein», sagte Macron am Ostermontag. Wann der Startschuss zur ersten Etappe der Tour de France 2020 fällt, steht seit diesen Worten noch in den Sternen.