«Das ist Heuchelei» Wie der Fall Quintana die Schwächen der Dopingbekämpfung entlarvt

Jüri Christen und Luca Betschart

19.8.2022

Gammenthaler zum Fall Quintana: «Das ist Heuchelei»

Gammenthaler zum Fall Quintana: «Das ist Heuchelei»

Nairo Quintana wird die Einnahme einer verbotenen Substanz nachgewiesen, gesperrt wird er deshalb nicht. Für Rad-Experte Henri Gammenthaler zeigt der Fall des Kolumbianers die Problematik im Kampf gegen Doping.

19.08.2022

Nairo Quintana wird die Einnahme einer verbotenen Substanz nachgewiesen, gesperrt wird er deshalb nicht. Für Rad-Experte Henri Gammenthaler zeigt der Fall des Kolumbianers die Problematik im Kampf gegen Doping.

Jüri Christen und Luca Betschart

Zwei Blutproben während der Tour de France im Juli werden Nairo Quintana zum Verhängnis. Dem Kolumbianer wird die Einnahme des verbotenen Opioids Tramadol nachgewiesen, weshalb der Sechste des Gesamtklassements nachträglich disqualifiziert wird.

Quintana will davon aber nichts wissen und gegen das Urteil vorgehen. «Ich habe Tramadol in meiner gesamten Karriere noch nie verwendet», beteuert er auf Twitter. Um sich voll auf seine Verteidigung konzentrieren zu können, lässt er gar die am Freitag startende Vuelta sausen. Denn zur spanischen Rundfahrt wäre der Kolumbianer trotz des jüngsten Regelverstosses tatsächlich startberechtigt gewesen.

«Ich bin schon viele Jahre im Radsport dabei und fuhr selber lange Velo. Aber das ist die grösste Heuchelei, die ich je erlebt habe. Ein Dolchstoss in mein Herz», ärgert sich Rad-Experte Henri Gammenthaler im Gespräch mit blue Sport über diese Tatsache.

Immer mindestens einen Schritt zu spät

Henri Gammenthaler
Bild: zVg

Henri Gammenthaler analysiert das Radsport-Geschehen für «blue Sport». Der Zürcher war einst selbst Fahrer, später TV- und Radio-Experte und Kommentator der Tour de Suisse.

Den simplen Grund dafür erklärt die UCI in ihrer Stellungnahme gleich selbst: «Verstösse der Einnahme von Tramadol sind Verstösse gegen die medizinischen Regeln des UCI. Sie stellen keine Verstösse gegen die Anti-Doping-Bestimmungen dar.» Weil Tramadol nicht auf der Verbotsliste der Welt-Doping-Agentur (WADA) zu finden ist, kommt Quintana nach seinem ersten Vergehen ohne Sperre davon.

Gammenthaler nervt zudem, wie die UCI das erst seit 2019 geltende Tramadol-Verbot begründet. «Um die Sicherheit und Gesundheit der Fahrer angesichts der Nebenwirkungen dieser Substanz zu schützen», heisst es seitens des Verbandes. Gammenthaler merkt an: «Solange Tramadol nicht auf der Doping-Liste steht, schützt man in erster Linie potenzielle Betrüger, weil keine Sperre zu befürchten ist. Und sicher nicht die Fahrer.» Zudem zeige es eindeutig auf: «Die Dopingjäger hinken stets einen oder mehrere Schritte hinterher.»

So schätzt der langjährige Beobachter der Szene die Chancen klein ein, die Radelite in naher Zukunft von Dopingmissbräuchen fernzuhalten. «Die Ärzte wissen ziemlich genau, was man spritzen darf, um nicht einen positiven Test abzuliefern», ist Gammenthaler überzeugt und gibt zu bedenken: «Für mich ist wahnsinnig, dass dies nie thematisiert wird. Dass niemand davon reden will, weil es um viel Geld geht. Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing – und das ist nicht gut für den Sport.»

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