Anhörung von Whistleblowerin Scharfe Kontrolle von Facebook nötig

dpa

6.10.2021 - 05:43

Facebook-Whistleblowerin sagt vor US-Kongress aus

Facebook-Whistleblowerin sagt vor US-Kongress aus

Die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen hat am Dienstag vor dem US-Kongress ausgesagt. Sie gab dabei unter anderem an, dass Facebook wisse, dass die Dienste des kalifornischen Konzerns der psychischen Gesundheit mancher, vor allem junger, Nutzer schade. Der Social-Media-Riese verberge «absichtlich wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit, der US-Regierung und Regierungen auf der ganzen Welt». Das Unternehmen stelle nicht nur sein Gewinnstreben über den Kampf gegen Hassrede und Falschinformationen, Facebook sei sich auch bewusst, dass etwa der Tochterdienst Instagram der psychischen Gesundheit von Mädchen im Teenageralter schade. Mögliche Lösungsansätze seien bekannt, würden aber nicht umgesetzt. Die ehemalige Facebook-Managerin sagte vor einem Unterausschuss für Handel des Senats aus. In einer Zeit, in der Überparteilichkeit in den USA eine Seltenheit ist, waren sich Vertreter von Demokraten und Republikaner einig, dass bei Facebook grosse Veränderungen notwendig sind. Die Enthüllungen über fragwürdige Geschäftspraktiken dürften Facebooks Ruf weiter schädigen und den regulatorischen Druck weiter erhöhen.

06.10.2021

Eine selbstbewusste Whistleblowerin belastet ihren Ex-Arbeitgeber Facebook im US-Senat schwer. Das Online-Netzwerk schade Kindern, leiste der gesellschaftlichen Spaltung Vorschub – und müsse daher stärker an die Kandare genommen werden, fordert die frühere Produktmanagerin.

6.10.2021 - 05:43

Die frühere Facebook-Managerin Frances Haugen hat im US-Senat vor negativen Auswirkungen des Online-Netzwerks auf Minderjährige und die Gesellschaft gewarnt. «Facebooks Produkte schaden unseren Kindern, fachen Spaltung an und schwächen unsere Demokratie», sagte Haugen am Dienstag vor dem Unterausschuss für Handel und Verbraucherschutz in Washington. Ihrem Ex-Arbeitgeber warf sie zudem vor, zwar um den Schaden zu wissen, den etwa Instagram bei einigen Jugendlichen anrichte, jedoch aus Profitgier Veränderungen unterlassen zu haben. Daher müsse der Kongress handeln. «Die werden diese Krise nicht ohne Ihre Hilfe lösen», sagte Haugen den Senatoren.

Zwar habe Facebook öffentlich eingeräumt, dass Kontrollmechanismen bei den Systemen notwendig sein, die die Nutzerbindung verstärkten. Doch habe das Unternehmen einige der Kontrollfunktionen abgeschaltet, erläuterte Haugen.

Einen Grossteil der Anhörung verwandte die Ex-Produktmanagerin darauf, den Senatoren ihre frühere Arbeit bei Facebook zu erklären, die die sich um Algorithmen drehte. Diese seien für den Konzern sehr wichtig, da sie steuerten, was auf den Nachrichtenfeeds von Nutzerinnen und Nutzern auftauche. Eine Änderung an den Informationsströmen im Jahr 2018 habe zu mehr Spaltung, bösem Blut und Hetze im Online-Netzwerk geführt, das doch einst geschaffen worden sei, um Menschen einander näherzubringen, sagte Haugen.



Feindseligkeiten gut für Geschäft

Trotz der Feindseligkeit, die die neuen Algorithmen schürten, sei Facebook zum Schluss gekommen, dass sie die Nutzer dazu verleiteten, sich immer wieder einzuloggen. Dies wiederum habe dem Technologiekonzern geholfen, sein Geschäft mit digitalen Anzeigen anzukurbeln, über die das Unternehmen seine Haupteinnahmen generiere. «Die Führung des Unternehmens weiss, wie man Facebook und Instagram sicherer machen könnte, aber sie nehmen die nötigen Änderungen nicht vor, weil sie ihre astronomischen Profite vor Menschen stellen», sagte Haugen.

Die ehemalige Facebook-Produktmanagerin Frances Haugen sagte am Dienstag im US-Senat aus.
Die ehemalige Facebook-Produktmanagerin Frances Haugen sagte am Dienstag im US-Senat aus.
Bild: Keystone/EPA/Drew Angerer

Senator Richard Blumenthal pflichtete ihr bei. Der Konzern habe von der Verbreitung von Falschinformationen und dem Säen von Hass profitiert, sagte der Unterausschuss-Vorsitzende. «Facebooks Antwort auf Facebooks zerstörerischen Einfluss scheint immer mehr Facebook zu sein, wir brauchen mehr Facebook – was mehr Schmerz bedeutet, und mehr Geld für Facebook.»

Haugen sagte, sie glaube zwar nicht, dass ihr Ex-Arbeitgeber darauf aus gewesen sei, eine zerstörerische Plattform aufzubauen. Doch «am Ende trägt Mark die Verantwortung», ergänzte sie mit Blick auf Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Schliesslich kontrolliere er mehr als 50 Prozent der Stimmrechtsanteile. «Es gibt aktuell niemanden, der Mark zur Rechenschaft zieht, ausser er selbst.»



Senat prüft möglichen Schaden für junge Nutzer

Der Unterausschuss im Senat prüft Facebooks Umgang mit Informationen aus internen Forschungen zu möglichem Schaden für einige junge Nutzer durch die Foto- und Videoplattform Instagram, vor allem für Mädchen. Laut Untersuchungsberichten, die Haugen zuvor durchstach, führt der durch Darstellung scheinbar perfekter Körper erzeugte Gruppendruck bei jungen Menschen zu psychischen Problemen und einer ungesunden Körperwahrnehmung. In einigen Fällen seien Essstörungen und sogar suizidale Gedanken die Folge. «Facebook weiss, dass sie junge Nutzer zu Magersucht-Inhalten führen ... Es ist wie bei Zigaretten. Teenager haben keine Selbstkontrolle. Wir müssen die Kinder schützen.»

Ehe sie ihre Arbeit in Facebooks Abteilung für zivilgesellschaftliche Integrität aufgab, hatte Haugen heimlich Zehntausende Seiten aus den internen Forschungspapieren kopiert. Jüngste Berichte im «Wall Street Journal», die auf von ihr zugespielten Unterlagen beruhten, sorgten für Empörung. Daraufhin gab sich Haugen in einem am Sonntag vom Sender CBS ausgestrahlten Interview zu erkennen. Als das PR-Debakel für Facebook sich ausweitete, legte der Konzern die Entwicklung einer Instagram-Version für Kinder von zehn bis zwölf Jahren auf Eis.

Das Online-Netzwerk hatte Haugens Vorwürfe in einer ersten Reaktion als irreführend bezeichnet. Es gebe keine Beweise, die die Annahme stützten, dass Facebook die Hauptursache für die Polarisierung in der Gesellschaft sei. Selbst mit der ausgeklügelsten Technologie und Zehntausenden Mitarbeitern, die für die Wahrung von Sicherheit und Integrität auf der Plattform sorgten, «werden wir nie zu 100 Prozent immer den Überblick haben», erklärte Nick Clegg, Vizepräsident für Politik und öffentliche Angelegenheiten bei Facebook, im Interview der CNN-Sendung «Reliable Sources» am Sonntag. Dies habe mit der «unmittelbaren und spontanen Form der Kommunikation» bei Facebook zu tun.



Schadenbegrenzung via SMS und Facebook-Post

Mitten in der Anhörung vor dem Unterausschuss im Senat berichtete die Senatorin Marsha Blackburn, dass sie eben eine SMS-Nachricht von Facebook-Sprecher Andy Stone bekommen habe. Er weise darauf hin, dass Haugen damals weder mit Kindersicherheit noch mit Instagram oder mit der Forschung zu diesen Themen befasst gewesen sei. Damit stellte Facebook praktisch ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit infrage. Diese Taktik des Online-Netzwerks zeige, «dass sie keine gute Antwort auf all diese Probleme haben», kommentierte Gautam Hans, Experte für Technologie und freie Meinungsäusserung an der Vanderbilt University.

Auch Facebook-Mitgründer und -Chef Mark Zuckerberg schaltete sich aus der Ferne ein. Er wies Haugens Vorwurf zurück, das weltgrösste soziale Netzwerk fache aus Gewinnsucht die Wut seiner Nutzer an. «Das Argument, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch», versuchte Zuckerberg am Dienstag in einem Facebook-Post Haugens Aussagen zu entkräften. «Wir verdienen Geld mit Anzeigen und die Werbekunden sagen uns immer wieder, dass sie ihre Anzeigen nicht neben schädlichen oder wuterregenden Inhalten sehen wollen.» Er kenne keinen Tech-Konzern, der Produkte herstelle, die Menschen wütend oder depressiv machten, argumentierte Zuckerberg wenig überzeugend.

dpa