Twitch-Desaster Wie das US-Militär junge Männer anlocken will und sich selber torpediert

Von Martin Abgottspon

16.9.2020

Das US-Militär will junge Amerikaner da abholen, wo sie sich am meisten aufhalten.
Das US-Militär will junge Amerikaner da abholen, wo sie sich am meisten aufhalten.
Getty Images

Seit geraumer Zeit wirbt das US-Militär auf der Streaming-Plattform Twitch um neue Rekruten. Dabei lässt die Army allerdings kein Fettnäpfchen aus.

Die Idee ist an sich nicht schlecht und modern zugleich. Anstatt sich in Uniform an irgendwelche Rednerpulte in Schulen zu stellen und junge Amerikaner von der Armee zu überzeugen, begibt sich die US Army dahin, wo sich angehende Rekruten auch aufhalten. Das sind soziale Medien und Streaming-Plattformen.



So betreiben verschiedene Streitkräfte wie die Army oder die Navy seit geraumer Zeit auch Kanäle auf der Spiele-Plattform Twitch. Das Setting sieht etwa so aus: Ein Armeemitglied in den Dreissigern sitzt vor seinem Hochleistungs-Gaming-PC, im Hintergrund hängt eine US-Flagge, während der Streamer meist einen Shooter wie «Call of Duty» oder «Valorant» spielt. Zeitgleich schwärmt er über die Armee und beantwortet Fragen der jungen Zuschauer.

Fragwürdige Wettbewerbe

Das Konzept funktioniert offenbar ganz gut. Gerade in Zeiten von Corona, in welchen viele junge Amerikaner vor einer ungewissen Zukunft stehen, bietet die Armee einen sicheren Hafen. Dass man tatsächlich Rekrutierungen durchführt, wird natürlich verneint. Das würde ja auch gegen die Richtlinien der Plattform verstossen.



Trotzdem wird das aggressive Werbeverhalten in den Staaten heiss diskutiert. Vor allem, weil die Armee eigentlich nur Jugendliche ab 16 Jahren kontaktieren darf. Da Twitch jedoch schon ab 13 Jahren freigegeben ist, verschwimmen hier die Grenzen. Und ein Wettbewerb, bei welchem man einen Xbox-Controller gewinnen kann und einen zeitgleich zu einem Bewerbungsformular für die Armee führt, ist für 16-Jährige genauso attraktiv wie für 13-Jährige.

Kritiker werden verstummt

Für solche Promotionen hat Twitch die Navy dann auch abgemahnt und sie darauf hingewiesen, dass man mit solchen Gewinnspielen klar gegen die Richtlinien verstosse. Es war aber bei Weitem nicht der einzige Fehltritt. Kritische Fragen umging man beispielsweise ganz einfach, indem man Dutzenden von Usern einen Maulkorb verpasste. Nicht wirklich im Sinn der freien Meinungsäusserung.

Weil sich die Vorfälle häuften und der Druck wuchs, entschied sich die Navy dann, eine Pause einzulegen. Man wollte offenbar über die Bücher, um nun einige Dinge besser zu machen. Das ist jedoch auch eher schlecht als recht gelungen, wie ein weiterer Vorfall vom letzten Wochenende nun aufzeigte.

Rassismus und Kriegsverherrlichung

Bei einer Runde «Among Us», ein Spiel, das aktuell auf Twitch sehr populär ist, fielen gleich mehrere Mitspieler mit fragwürdigen Nicknames auf. Ein User nannte sich beispielsweise «Gamer Word», was eine eindeutige Referenz zu einem rassistischen Ausdruck ist. Ein weiterer Mitspieler hiess «Japan 1945» und ein Dritter «Nagasaki».

Natürlich dauerte es auch hier wieder nicht lange, bis sich einige Zuschauer über das Gezeigte empörten. Und zwar zu Recht. «Sehr witzig, sich über Kriegsereignisse zu amüsieren, bei denen 250'000 Menschen starben!»

Zwar versuchten die Streamer, noch zu retten, was zu retten war, und im Nachhinein gab man an, dass man keinen Einfluss auf die Namen habe, welche sich Spieler aus der Community geben. Eine schwache Ausrede für eine Institution, welche in dieser Rolle definitiv mehr Vorbildfunktion übernehmen sollte. Aber vielleicht geht man ja nochmal über die Bücher.

Zurück zur Startseite