Zwei-Klassen-Gesellschaft Bei Verstössen von Stars drückt Facebook öfter mal ein Auge zu

Von Dirk Jacquemien

14.9.2021

Das Veröffentlichen von «Rachepornos» hatte für Neymar keine Konsequenzen.
Das Veröffentlichen von «Rachepornos» hatte für Neymar keine Konsequenzen.
Getty Images

Geleakte Dokumente zeigen auf, dass bei Facebook manche Nutzer*innen gleicher sind als andere.

Von Dirk Jacquemien

14.9.2021

Ein Facebook-Programm namens XCheck bietet Nutzer*innen die «nachrichtenwürdig», «einflussreich oder populär» sowie «PR-riskant» sind ein fast uneingeschränkte Blankokarte, gegen Facebook-Regeln zu verstossen. Das legen interne Dokumente nahe, die dem «Wall Street Journal» zugespielt worden sind.

Für die Milliarden Nutzer*innen auf Facebook, Instagram und WhatsApp gelten eine Vielzahl von Regeln. Bei Verstössen drohen Sanktionen von der Löschung eines Posts bis hin zur Sperrung des gesamten Accounts.

Die reguläre Facebook-Moderation zur Umsetzung der Regeln setzt viel auf Algorithmen und outgesourcte, unterbezahlte und völlig überlastete Mitarbeiter*innen in Grossraumbüros. Entsprechend hoch ist die Fehlerquote. Selbst CEO Mark Zuckerberg räumte 2018 ein, dass rund 10 Prozent der Moderationsentscheidungen bei Facebook falsch seien.



Facebook will VIPs nicht verärgern

Ziel von XCheck sei es, «PR-Feuer» zu verhindern, wie es ein/e Facebook-Angestelle/r in einem internen Dokument formulierte. Daher werden bestimmte Nutzer*innen oder Seiten als VIP-Account definiert. Denn die fehlerhafte Löschung eines Posts eines VIP-Accounts könnte schliesslich Wutausbrüche von Prominenten oder eine negative Berichterstattung nach sich ziehen, was Facebook vermeiden will.

Wenn nun also Algorithmen oder die outgesourcten Mitarbeiter*innen zu dem Schluss kommen, ein Post eines VIP-Accounts verstosse gegen die Regeln, passiert anders als bei normalen Nutzer*innen erst mal nichts. Stattdessen schaut sich ein extra Team, bestehend aus besser trainierten und direkt bei Facebook angestellten Mitarbeiter*innen die Angelegenheit an.

Neymar profitierte von Sonderbehandlung

In die Realität wurden jedoch vielfach die Regeln gegen VIP-Accounts dann gar nicht oder erst mit grosser Verzögerung angewendet; intern wurde dies «whitelisting» genannt. Ein Dokument zeigte sogar auf, dass nur rund 10 Prozent der Meldungen von Posts von VIP-Accounts überhaupt überprüft wurden. Bei vielen Accounts gab es zudem auch die Anweisung, dass Löschungen oder Sperrungen nur mit Einverständnis von Spitzenmanagern, teilweise Zuckerberg selbst, erfolgen dürften.

2019 veröffentlichte der brasilianische Fussball-Superstar Neymar auf Facebook und Instagram Nacktbilder einer Frau, die ihn der Vergewaltigung bezichtigte — ein klassischer Fall eines Rachepornos. Normalerweise werden Nacktbilder bei Facebook unverzüglich gelöscht. Nicht so bei Neymar. Die Fotos der Frau blieben mehr als einen Tag online und wurden knapp 56 Millionen mal angesehen — hier brauchte es erst externen Druck, bevor Facebook handelte.

Bei Fällen, in denen Nacktbilder ohne Einverständnis der abgebildeten Person gepostet werden, sehen die Facebook-Regeln eigentlich sogar eine permanente Sperre des entsprechendes Accounts vor — Neymars Facebook- und Instagram-Profile sind jedoch heute noch online. Ein Strafverfahren in dem Fall wurde mangels Beweisen eingestellt.

Facebook sieht kein Problem

Das XCheck-Programm ist in den vergangenen Jahren völlig eskaliert. 2020 gab es 5,8 Millionen VIP-Accounts, bei rund drei Milliarden Nutzer*innen ingesamt. Facebook sagt nun, man wolle diese Nummer reduzieren und ausserdem sei die Existenz des Programms doch gar nichts Neues. Man habe schon 2018 offengelegt, dass es bei manchen Accounts zu einer weiteren Überprüfung komme, bevor Sanktionen verhängt werden, so Facebooks «Integritätschef» Guy Rosen auf Twitter.

Doch damit geht Facebook der Hauptkritik aus dem Weg. Dass bei besonders exponierten Accounts etwas genauer hingeschaut wird, ist ja noch nachvollziehbar. In der Praxis genossen die VIP-Nutzer*innen jedoch eine De-facto-Immunität und konnten, anders als Normalsterbliche, die Facebook-Regeln meist ungestraft verletzten.