Interview Claudia Cardinale: «Für mich war nur ein einziger Mann wichtig»

Aurélia Brégnac

28.1.2019

Sie ist die Glamourikone der 60er-Jahre. War die Muse der grössten Regisseure in der Geschichte des Kinos, von Luchino Visconti über Federico Fellini bis hin zu Sergio Leone. Claudia Cardinale befindet sich gerade für Dreharbeiten an einer Serie in Bulle FR und hat zwischen zwei Szenen Zeit für ein Gespräch mit «Bluewin» gefunden.

Frau Cardinale, können Sie uns von der Serie namens «Bulle» erzählen, die Sie gerade hier in Bulle FR drehen?

Es geht um eine Familie, um vier Generationen, mit vielen Charakteren. Ich spiele die Rolle der Grossmutter und habe eine Tochter. Ein Familienmitglied erkrankt an Krebs, und das stellt das ganze Gleichgewicht der Familie auf den Kopf. Die Rolle jedes einzelnen wird in Frage gestellt. Es sind wirklich sehr gute Schauspieler dabei, insbesondere der kleine Junge aus Freiburg, der grossartig ist. Diese Blase (auf Französisch «bulle», Anm. d. Red.) wird platzen...

An welche Dreharbeiten in Ihrer Karriere erinnern Sie sich besonders gerne?

An «Der Leopard» von Visconti, und auch «Achteinhalb» von Fellini. Bei Fellini gab es keinen Text, kein Drehbuch, alles wurde improvisiert ... Ich habe auch viele Filme mit Marcello Mastroianni gedreht, genauso wie mit Alain Delon und Jean-Paul Belmondo. Mit ihm war es unglaublich! Wir treffen uns noch ab und zu ... Das letzte Mal, als ich Alain sah, sagte er: «Hier ist Tancredi. Lass dich umarmen, Angelica ...» (die Vornamen der Figuren, die die beiden im «Leopard» von Luchino Visconti aus dem Jahr 1963 spielten, Anm. d. Red.) (lacht)

Was waren Ihre Erfahrungen mit diesem Status als Glamourikone, den Sie all die Jahre innehatten?

Wissen Sie, bei mir zu Hause habe ich Statuetten und Preise aus der ganzen Welt. Aus den USA, Italien, Frankreich, Tunesien ... Ich werde übrigens meinen nächsten Film in Tunesien drehen. Aber ursprünglich wollte meine Schwester Blanche – die sehr hübsch war, blond mit blauen Augen –, Filmschauspielerin werden. Nicht ich. Als man mir das vorgeschlagen hat, bin ich schnell weggelaufen. Denn ich war wild. Papa hat letztlich die Entscheidung für mich getroffen. Ich hatte eine aussergewöhnliche Familie. Meine Eltern haben sich kennengelernt, als sie sehr jung waren. Als Papa mit 94 Jahren gestorben ist, sagte Mama zu mir: «Wir haben miteinander geschlafen, kurz bevor er gestorben ist.» Das ist ewige Liebe, obwohl sie sehr verschieden waren.

War dieser Erfolg letztlich nie eine Last?

Ich habe es mir nie zu Kopf steigen lassen. Übrigens hielt mich die Polizei in den USA, in Los Angeles, die ganze Zeit an, weil ich keinen Bodyguard hatte. Ich wollte keinen. In Paris gehe ich aus, ich kaufe ein ... Die Leute sprechen mich an, sie sind sehr nett, sogar die Frauen. Eines Tages wartete vor meiner Tür ein Mann auf mich, er sagte: «Als ich klein war, war ich verliebt in dich. Und ich habe in ganz Frankreich nach einer gesucht, die dir ähnlich sieht, und ich habe sie geheiratet.» (lacht)

Sie sind eine engagierte und fortschrittliche Frau und Schauspielerin, Sie treten für Toleranz ein und haben sich immer für die Verteidigung der Rechte von Frauen und Homosexuellen eingesetzt. Erzählen Sie uns von diesem Engagement.

Ich bin insbesondere Unesco-Botschafterin für Frauenrechte. Ich engagiere mich bei «Amnesty International» gegen die Todesstrafe. Und auch für die Kinder in Kambodscha. Jedes Jahr finden grosse Feierlichkeiten für die Krankenhäuser und Schulen der Kinder von Kambodscha statt. Ich reise übrigens auch oft nach Genf. Und ich wurde ins Weisse Haus eingeladen.

Claudia Cardinale 1961 bei Dreharbeiten in Paris.
Claudia Cardinale 1961 bei Dreharbeiten in Paris.
Keystone

Meinen Sie, dass diese Anliegen heute, im Jahr 2019, vorangekommen sind oder eher Rückschritte gemacht haben?

Wenn die Gay Pride in Paris stattfindet, schreien die Demonstranten, die an meinem Haus vorbeigehen, unter meinem Fenster: «Bist du auf unserer Seite? Wir sind auf deiner Seite!». Sie danken mir dafür, dass ich sie unterstütze. Als ich in den USA war, habe ich zwei Filme mit Rock Hudson gedreht. Damals galt: Wenn du schwul warst, hast du nicht gearbeitet. Also habe ich so getan, als wäre ich mit ihm zusammen. Wir gingen Arm in Arm spazieren. Er sagte zu mir: «Claudia, sie denken, dass wir zusammen sind ...» Als er dann an Aids erkrankte, rief er mich an und sagte: «Komm her, ich liege im Sterben. Ich möchte, dass du an meiner Seite bist.» Und ich bin aus Rom angereist, um bei ihm zu sein. Ich erinnere mich übrigens daran, dass ich einmal mit Rock Hudson einen Film in Miami gedreht habe. Im Fluss war ein riesiger Kaiman, ganz in der Nähe. Ich war etwas verrückt und habe mich ins Wasser geworfen, um ihn zu umarmen. Er (Rock Hudson, Anm. d. Red.) ist in Ohnmacht gefallen! (lacht) Tiere haben mich nie angegriffen! Als wir «Der Leopard» vorgestellt haben, gab es jemanden, der mit einem Leoparden aus dem Zirkus vorbeikam. Ich stand bei Visconti. Und ich ging hin, um dem Tier ein Küsschen zu geben. Visconti fing an zu schreien: «Das ist keine Katze!» (Lacht). Für eine Wohltätigkeitsgala lag auch ein Leopard auf meinem Bett und kuschelte mit mir. Das Foto davon wurde für eine unglaubliche Summe verkauft, für diese Wohltätigkeitsveranstaltung. Meine Assistentin sagte zu mir: «Du bist verrückt, du liegst neben einem Leoparden!» In dem Film war Alain (Delon, Anm. d. Red.) in mich verliebt und Burt Lancaster auch. Ich ging zu ihm und gab ihm einen Kuss. Alain war verrückt vor Eifersucht.

In der Filmbranche wurde letztes Jahr unaufhörlich über die Weinstein-Affäre diskutiert, und dann über die Bewegungen «MeToo» oder «BalanceTonPorc» bei uns. Herrschte diese Art sexueller Belästigung bereits, als Sie Ihre Karriere starteten?

Nein, nein, ich habe so etwas nie erlebt, und auch nichts akzeptiert. Visconti sagte einmal «An dir ist ein Junge verloren gegangen.» (lacht) Diese Frauen haben Jahre später etwas gesagt. Man muss stark sein als Frau ...

Sie wurden offensichtlich von den Männern sehr umworben. Dennoch haben Sie in einem Interview mit «Le Monde» erzählt, dass Sie nur einen einzigen Mann in Ihrem Leben hatten: Pasquale Squitieri, der Vater Ihrer Tochter und Ihr Partner in einem Dutzend Filme.

Ja, in meinem Leben war für mich nur ein einziger Mann wichtig, Pasquale Squitieri, ein Neapolitaner. Wir bekamen eine Tochter, die ich Anaïs nennen wollte. Aber ihrem Vater war es wichtig, dass sie Claudia heisst ...

Im selben Interview haben Sie gesagt, dass Sie Schauspielerinnen, die «etwas machen lassen», also sich einer Schönheits-OP unterziehen, und «die sich schlussendlich alle ähneln oder am Ende entstellt sind», nicht «ertragen». Ist das heutzutage in der Filmindustrie eine Plage?

Ich mag das überhaupt nicht. Sie lassen sich alle riesige Lippen machen. Sie lassen sich so etwas machen. (Sie ahmt das Ergebnis eines Liftings nach, Anm. d. Red.) Ich mag das gar nicht. Man muss ertragen, dass die Zeit vergeht, man kann sie nicht aufhalten. Es gibt viele solche Schauspielerinnen ... Manchmal erkennt man sie nicht wieder. Sie können sich nicht damit abfinden, dass die Zeit vergeht ... Ich bin gegen all das. Mir sagte Mama immer: «Man sieht nie deine Falten, weil du die ganze Zeit lachst!» (lacht)

Von welcher Rolle träumen Sie heute?

Ich arbeite viel mit jungen Regisseuren, die ihren ersten Film drehen. Für mich ist das Wichtigste das Drehbuch. Das Schreiben ist sehr wichtig. Es kommt darauf an, was ich bekomme. Ich habe Dramen gedreht – und Komödien ... Ich war sogar einmal die Hure, in «Der rosarote Panther». (lacht) Es ist schön, auf der Leinwand zu jemand anderem zu werden. Das bist nicht mehr du selbst.

Aber Sie haben Nacktszenen immer abgelehnt...

Ja, weil ich meinen Körper nicht verkaufen wollte. Ich habe mich immer geweigert, mich in Filmen auszuziehen.

Obwohl doch zur damaligen Zeit Glamour und Sinnlichkeit, verkörpert von Brigitte Bardot, angesagt waren ...

Ja, ich habe einen aussergewöhnlichen Film mit Brigitte gedreht, «Petroleum-Miezen» (erschien 1971, Anm. d. Red.)Man sagte damals, es sei «BB gegen CC», «die Blondine gegen die Braunhaarige» ... Ich habe zu Frauen immer eine gute Beziehung gehabt. Ich mag keine Schauspielerinnen, die sich zu viel auf sich einbilden. Ich habe mich selbst nie als Star gesehen.

Was ist Ihrer Ansicht nach die wichtigste Eigenschaft, wenn man berühmt wird?

Die Normalität.

Die sechs Episoden der Serie «Bulle», die von Anne Deluz geschrieben und produziert wurde und in der Claudia Cardinale mitspielt, werden 2020 von RTS gezeigt.

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