VR als Therapie Schweizer Hollywood-Regisseur erfreut schwerkranke Kinder

Von Marlène von Arx

7.5.2019

Weniger leiden dank Virtual Reality: Der Urner Claudio Fäh ermöglicht Kindern mit neuer Technologie einen angenehmeren Abschied aus dem Leben. Im Kurzfilm «Child of the Earth» hält er die emotionale Reise fest.

Angefangen hatte es mit einer Gabe von Google: «Meine Frau Martina ist Hospiz-Ärztin und erzählte eines Abends, dass sie Google Cardboards, also diese simplen Virtual Reality-Karton-Geräte, geschenkt bekommen hätten. Sie meinte, die seien vielleicht interessant für ihre Patienten, insbesondere für Kinder», erinnert sich Claudio Fäh.

Aber was würde man in diesen Kartons abspielen? Der Altdorfer rief kurzerhand seinen Freund Ben Grossmann, Oscar-Preisträger für die visuellen Effekte von Martin Scorseses «Hugo», an. Grossmanns New-Media-Firma Magnopus hatte gerade eine VR-Experience zur Internationalen Space Station herausgegeben. Vielleicht könnte man ja diese «Mission: ISS» für die Google Cardboards adaptieren.

Doch Grossmann war zwar von der Idee, aber nicht von der Abspiel-Qualität der Google Cardboards begeistert. Stattdessen versprach er, gratis ein qualitativ hochstehendes, mobiles VR-Gerät zu bauen, das man zu den Patienten nach Hause bringen konnte. Die Kinder-Palliativ-Pflege «Trinitykids Care» organisierte darauf Freiwillige, die dieses Gerät zu den Patienten brachten.

Zittern vor Freude

Der siebzehnjährige Kevin Flores war der erste, der so seinen kranken Körper für eine Weile vergessen und auf eine virtuelle Reise gehen konnte. Kevin leidet an Cystischer Fibrose, eine Erbkrankheit, die die Schleimdrüsen im ganzen Körper befällt und das Atmen erschwert. «Beim ersten VR-Flug ins All hatte er gezittert vor Freude. Seine Familie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn zuletzt so glücklich gesehen hatten», erzählt Claudio Fäh.



Ins Weltall zu entfliehen und auf die Erde zurückzublicken hat eine symbolische Kraft, die auch dem Schweizer nicht entging: «Ich glaube, es gibt den Menschen, die dem Tod nahe sind, die Gelegenheit, aus einer anderen Perspektive auf die Menschheit und das Leben zurückzuschauen. Auch mich hat diese Erfahrung aufgerüttelt und gezeigt, was wirklich wichtig ist im Leben. Nämlich, dass wir alle zueinander gehören und zueinander schauen müssen. Und dass es einem unglaublich viel gibt, wenn man mit einfachen Mitteln jemandem helfen oder eine Freunde machen kann.»

«Selbst bei der NASA»

Claudio Fäh war es schnell klar, dass er Kevins Freude filmisch festhalten wollte. Für den Kurzfilm «Child of the Earth» benutzte er Förderungsgelder aus der Schweiz, die ihm nach dem Erfolg von seinem Film «Northmen» zustanden, die Zürcher Produktionsfirma C-Films produzierte, die Hollywood-Schweizer Fabian Stadler (Kamera) und Peter Staubli (Ton) halfen sofort und ohne Gage mit. «Sobald die Leute merkten, dass man einem Kind, dem nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt bleibt, den Tag verschönern kann, taten sich sofort die Türen auf», so der zweifache Vater, «selbst bei der NASA.»



Der Regisseur hoffte nämlich, für den Film einen Astronauten, der selber mit VR Bewegungsabläufe im All trainiert, interviewen zu können. Innerhalb von nur einer Woche hatte er bereits die Zusage von Scott E. Parazynski, der mehrmals im All und der persönliche Arzt von John Glenn bei seinem letzten Flug ins All war. Der NASA Hall of Fame Astronaut wollte Kevin auch persönlich treffen. Kevin hatte viele Fragen an Parazynski, der den Kontakt mit Video-Botschaften weiter aufrechterhielt. Sie waren Kevins Trost und Motivation, als das Ende nahte. Vergangenen November starb Kevin.

Für ein paar Augenblicke abgelenkt

Fast ein Jahr hatte der ans Haus gebundene Jugendliche sich über die wöchentlichen VR-Erlebnisse freuen können. «Dann vergesse ich, was ich habe. Dann habe ich keine Sorgen«, sagt er im Film. Am Dokumentar-Film Festival von Palm Springs, wo «Child of the Earth» im März gezeigt wurde, bestätigten seine Eltern die positive, nachhaltige Wirkung bis zum jeweilig nächsten Besuch, die das VR-Erlebnis auf Kevin hatte.

Inzwischen werden nicht nur Kinder dank VR (die VR-Experience des Pixarfilms «Coco» ist besonders beliebt) für ein paar Augenblicke von ihrem schweren Schicksal abgelenkt, sondern auch Erwachsene. «Zufällig war darunter auch ein ehemaliger Ingenieur, der Teile für die ISS gebaut hatte«, so Claudio Fäh. «Am Ende seines Lebens konnte er quasi in die Space Station fliegen und sein Lebenswerk besuchen.»

Der Filmemacher möchte mit «Child of the Earth» weitere Spitäler und Hospize inspirieren, Patienten ganzheitlich zu betrachten und VR-Erlebnisse anzubieten, auch wenn sie kein medizinisches Heilmittel darstellen. «Es geht nur darum, jemandem das Leben etwas zu verbessern. Und hoffentlich können wir mit unserem Film Augen öffnen und zeigen, dass man neue Technologien in einem ungewohnten Umfeld einsetzen und damit einen enorm positiven Effekt erzielen kann. Ich hätte jedenfalls nie gedacht, wie tief diese Erfahrung alle Beteiligten, nicht zuletzt auch mich selber, berühren würde.»

Den Trailer und den ganzen Film «Child of the Earth» gibt es hier.

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