Regula Esposito alias Helga Schneider «Ich musste meine Heimat verlassen»

Carlotta Henggeler

31.8.2024

«Mein Herz blutet immer noch», sagt Komikerin Regula Esposito, die mit ihrer Kunstfigur Helga Schneider mit ihrer Bühnenshow «Sweet & Sauer» durch die Schweiz tourt.
«Mein Herz blutet immer noch», sagt Komikerin Regula Esposito, die mit ihrer Kunstfigur Helga Schneider mit ihrer Bühnenshow «Sweet & Sauer» durch die Schweiz tourt.
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Helga Schneider tourt mit ihrer fünften Show durchs Land. Im Gespräch erzählt sie, was ihre Kunstfigur besser kann, warum sie nicht ans Aufhören denkt – und wie sie ihre Wohnung im Zürcher Kreis 4 verloren hat.

Carlotta Henggeler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Komikerin Regula Esposito hat die Kunstfigur Helga Schneider erschaffen.
  • «Privat bin ich viel unspektakulärer als Helga. Die Bühne bietet mir einen geschützten Raum, in dem ich mich ausleben kann, privat brauche ich das nicht. Privat bin ich Regula, die niemand kennt, wenn sie nicht die Perücke trägt», sagt die Zürcher Entertainerin über sich als Helga Schneider.
  • Die Zürcher Komikerin tourt mit ihrem fünften Solo-Programm «Sweet & Sauer» durch die Schweiz. Nach ausverkauften Shows gibt sie ein Comeback in ihrer Heimat, vom 3. bis 6. und am 8. September live auf der Bühne des Bernhard Theaters. Alle Daten ihrer aktuellen Tour findest du hier.

Dein aktuelles Bühnenprogramm heisst «Sweet & Sauer». Ist das Leben «Sweet & Sauer»?

Regula Esposito alias Helga Schneider: Das trifft es auf den Punkt.

Hat dein Alter Ego Helga Schneider auf der Bühne Carte Blanche?

Dadurch, dass ich eine Kunstfigur mit einer träfen Zürischnurre bin, habe ich schon mehr Narrenfreiheit auf der Spielwiese. Helga Schneider schlürft ständig Cüpli und ist immer kurz davor, die Contenance zu verlieren. Sie ist ja auch birebitzeli die Stimme des Volkes.

Darf man sich als Komödiantin über alles lustig machen?

Ja, das darf man – muss aber dazu das Gehirn einschalten. Wenn man seine Hausaufgaben gut gemacht hat, wenn man recherchiert hat, wenn man weiss, was die innere Haltung zu einem politischen Thema ist, dann ist das auch eine gescheite Aussage in einem Witz. Man kann sich – mit viel Respekt – über alles lustig machen, solange es nicht primitiv, rassistisch oder verletzend ist.

Sind die woken Zeiten eine Herausforderung?

So ist es. Es gibt viele Themen, für die die Gesellschaft heute sensibler geworden ist. Warum reden wir über Gender, Wokeness, Emanzipation oder Rassismus? Weil es in der Gesellschaft immer noch so ist, dass gewisse Menschen nicht gleich behandelt werden wie die grosse Mehrheit, die nicht in der LGBTQ-Community, nicht People of Color oder aus der Schweiz sind.

Du bist seit 30 Jahren erfolgreich als Bühnenkünstlerin unterwegs. Was kannst du heute besser?

Am Anfang ist man blind, dilettantisch, anarchisch! Die Gesetze der Bühne sind einem völlig egal. Wozu braucht ein Komiker eine Regie? Ich muss nicht wissen, wie ein Witz aufgebaut ist, ich mache das, worauf ich Lust habe. Diese Phase finde ich wichtig. Das ist wie bei einem Kind, das am Anfang noch Kind sein soll. Plötzlich kommt der Erfolg und man merkt, dass man sich mehr Gedanken machen muss.

Zum Beispiel?

Dann lernt man, wie man Kunst macht und verkauft. Der ganze wirtschaftliche Aspekt kommt hinzu, man wird zur Marke, schliesst Verträge ab. Und plötzlich ist das Ganze ein KMU. Was ich jetzt auch besser kann, ist, analytisch zu denken und Dinge einzuordnen.

Was wird durch die Erfahrung schwieriger?

Man denkt immer, je mehr Erfahrung man hat, desto ruhiger wird man. Bei mir ist es genau umgekehrt. Je mehr ich weiss, desto mehr weiss ich, wo ich hingehen kann, wo ich anecken kann. Je mehr ich glaube zu wissen, wie man Comedy macht, desto grösser wird das Lampenfieber. In unserem Beruf darf man sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen. Bei jedem neuen Auftritt, bei jedem neuen Stück sollte man mit Demut auf die Bühne gehen.

«Sweet & Sauer» ist dein fünftes Solostück. Du bist 59 Jahre alt. Bleibst du Komikerin bis zur Pension?

Mein Plan ist, so weiterzumachen wie bisher. So lange auf der Bühne zu stehen, wie es mir Spass macht, wie ich mir neue Sachen ausdenken kann und wie das Publikum mich begleitet. Ich werde nicht aufhören, wenn ich meine AHV-Rente bekomme. Die wichtigste Frage für jeden Künstler ist: Hoffentlich merke ich, wann es Zeit ist, aufzuhören. Hoffentlich merke ich, dass ich alt und peinlich bin. Solange ich im Saft stehe und Output habe, mache ich weiter.

2018 hast du eine Saison beim Zirkus Knie gespielt. Das ist eine Art Ritterschlag. Was wäre eine Steigerung?

Aus dem Bauch heraus sage ich: Noch weitere acht bis zehn Jahre solid zu unterhalten, danach einen guten Abgang machen.

Was heisst einen guten Abgang hinlegen?

Ich bin ein altes Guetsli, die junge Generation ist schon doppelt so alt und hat einen enormen kreativen Output. Der Humor verändert sich, die Welt auch durch die sozialen Medien. Wenn man bis 65 oder 68 auf der Bühne stehen kann, ist das schon top!

Du hast vorhin die sozialen Medien erwähnt. Um mit der Zeit zu gehen, bist du auf TikTok?

Oh nein, dafür ist mir meine Lebenszeit zu schade. Natürlich verfolge und nutze ich das. Aber im Vergleich zu den jungen Comedians bin ich en alti Mueter, ein digitaler Oldie und gehöre der Silver Society an.

Was kann Helga Schneider besser als Regula Esposito?

Schnurre, die Leute unterhalten. Privat bin ich viel unspektakulärer als Helga. Die Bühne bietet mir einen geschützten Raum, in dem ich mich ausleben kann, privat brauche ich das nicht. Privat bin ich Regula, die niemand kennt, wenn sie nicht die Perücke trägt.

Kannst du noch irgendwo hingehen, ohne erkannt zu werden?

Ich kann nach der Show an der Bar etwas trinken, das ist kein Problem. Solange ich den Mund nicht aufmache, kann ich mir anhören, was die Leute über mich sagen. Achtung, nach der Show stehe ich neben euch und höre zu!

Wenn du neue Gags ausprobierst, ist dein Schatz, der Fussballtrainer Fredy Bickel, dein Versuchskaninchen?

Wenn ich etwas geschrieben habe, muss er zuhören. Dann wird es kritisch. Dann überlegt er sich, wie ehrlich er sein soll und ob er auch mal sagen soll, dass es ein fertiger Seich ist. Und dann denke ich: Bitte sag nicht, dass du das für einen totalen Seich hältst. Dann haben wir eine konstruktive Diskussion.

Ein wichtiger erster Indikator also.

Ein erster Versuch ist schon wichtig, eine Art Spiegel, um zu sehen, ob eine Idee Fleisch am Knochen hat. Mein Partner Fredy ist sehr kritisch und ein guter Beobachter.

Oft hört man: In Beziehungen ist es fundamental, den gleichen Humor zu haben. Stimmt das?

Humor ist die Grundlage einer guten Beziehung. Es gehört zu einer gesunden Psychohygiene, dass man auch über sich selbst lachen kann. Humor ist ein emotionales Ventil, wie Weinen. Lachen und Weinen sind zwei sehr ähnliche Dinge. Es gibt eine Endorphinausschüttung, es gibt eine Zellteilung, Humor hilft, Dinge zu verarbeiten. Wenn ich in einer Beziehung mit meinem Partner nicht lachen kann, hält das keine Woche.

Du hast dich mit über 50 Jahren in deinen jetzigen Partner verliebt. Fühlt sich späte Liebe anders an?

Auch mit 50 mutiert man wieder zum verliebten Teenager. Dieser hormonelle Prozess ist immer der gleiche. Das kann einem auch noch mit 80 passieren.

Du bist zu deinem Partner aufs Land gezogen. Wie fühlt sich das als eingefleischter Stadtmensch an?

Auf dem Land fühlt es sich extrem gut an, weil ich zu einem Menschen gezogen bin, den ich liebe und mit dem ich zusammenleben möchte. Wir wohnen sauschön. Aber ich wäre nicht aufs Land gezogen, wenn meine Wohnung in Zürich nicht gekündigt worden wäre.

Ein Zürich-Kind?

Ja, ich habe immer zu Fredy gesagt, ich bin ein Stadtmensch, du bist ein Landei, du bleibst da. Solange wir uns diesen Luxus leisten können, machen wir das so. Aber Zürich kann ich mir leider nicht mehr leisten, ich habe lange gesucht. Oder sagen wir so: Ich bin nicht bereit, allein für eine Wohnung in Zürich 4 bis 5000 Franken auf den Tisch zu legen.

Das klingt traurig.

Ja, mein Herz blutet immer noch, weil ich meine Heimat verlassen musste. Aber ich bin reich beschenkt durch meine Beziehung. Und einmal im Monat muss ich meine Quartierleute besuchen, dumm schnurre, Kafi trinken, shoppen, Stadtluft schnuppern.

Im Oktober 2025 ist die letzte Vorstellung von «Sweet & Sauer». Wie fühlt es sich an, sich von einem Stück zu verabschieden, das man eineinhalb Jahre lang gespielt hat?

Es ist eine emotionslose Entscheidung. Aus meiner Erfahrung weiss ich, dass ein Stück so lange funktioniert – und dazu kommt die innere Einstellung. Es gibt Künstler, die spielen mehrere Jahre das gleiche Stück. Mein Ziel ist es, alle zwei Jahre ein neues Stück auf die Bühne zu bringen.

Belohnst du dich danach mit einer Pause?

Ich belohne mich in kleinen Raten, mache keine langen Pausen und verreise. Ich sage dann eher: Schatz, wir haben diese Saison gut abgeschlossen, lass uns eine Woche nach Sardinien fahren.


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