Kolumne am Mittag Herr Levrat, bitte führen Sie die Post in die Anarchie

Von Gil Bieler

5.5.2021

Christian Levrat übernimmt ab dem 1. Dezember die Leitung des Post-Verwaltungsrats.
Christian Levrat übernimmt ab dem 1. Dezember die Leitung des Post-Verwaltungsrats.
Bild: Keystone/Walter Bieri

Was soll nur aus der guten alten Post werden, wenn ein Linker den Laden übernimmt? Ein Abendspaziergang gab dem Kolumnisten schon einen Vorgeschmack auf die Ära Levrat. 

Von Gil Bieler

5.5.2021

Der ergraute Herr ist verärgert. Gut vernehmbar meint er zu seiner Frau: «Das kommt also dabei heraus, wenn ein Linker am Ruder ist.» Er schüttelt kurz den Kopf, dann setzen die beiden ihren abendlichen Spaziergang fort.

Die Wahl von Christian Levrat zum neuen Verwaltungsratspräsidenten der Post hat viel zu reden gegeben. Das überrascht nicht, wenn ein ehemaliger Gewerkschafter und SP-Parteichef einen Konzern mit über 62'000 Mitarbeitenden leiten soll. Plötzlich Manager.

Tiefschürfende Gedanken und Analysen wurden zu dieser Personalie schon zuhauf geschrieben. Am pointiertesten äusserte sich aber ein anonymer Tagger in meinem Quartier: Auf einen Post-Briefkasten schmierte er (oder sie) ein dickes Anarchie-Symbol. Mit Filz – eine klare Anspielung, oder? Das überraschende vielschichtige Werk sprang erst dem ergrauten Herrn und später mir ins Auge.

Sieht so die Zukunft der Post aus? 
Sieht so die Zukunft der Post aus? 
Bild: gbi

Anarchie bei der Post? Ja, warum denn nicht? Als alter Klassenkämpfer sollte Levrat mal gründlich aufräumen beim gelben Riesen. A-Post, B-Post und seit Neuem auch noch A-Post plus – was ist das bloss für eine Klassengesellschaft? Bitte subito den Einheitstarif einführen, Herr Levrat.

Überhaupt, was soll das mit dieser B-Post? Der deutsch-türkische Comedian Kaya Yanar, der seit Jahren in Zürich lebt, mokierte sich in einem seiner Programme einst wunderbar über diese helvetische Eigenart: «Grüezi. Ich möchte diesen Brief gerne nach Deutschland schicken. Aber bitte nicht zu schnell.» Wer, so wollte Yanar wissen, habe denn ein Interesse an einer lahmen Post? Ich weiss es ehrlich gesagt auch nicht. Wobei, wäre ein SVP-Parlamentarier neuer Post-Chef, könnte Yanar womöglich gar keine Briefe mehr ins Ausland schicken. Schon gar nicht ins EU-Land. 

Item, der neue oberste Pöstler heisst ohnehin Levrat, und was er als Erstes anpackt, muss sich zeigen: Per 1. Dezember soll der Freiburger sein Amt antreten. Erfahrungsgemäss dürfte dem SP-Urgestein zwar mehr am Poststellennetz und den Arbeitsbedingungen gelegen sein als am Einheitstarif – aber die Augen offen zu halten, lohnt sich allemal.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.