TV-Kritik «Sorry für alles»: Ist Ihr Leben gar nicht Ihr Leben?

Von TV-Experte Gion Cavelty

8.8.2019

Fernsehen zur Primetime soll immer unterhalten, hat ZDF hier aber den richtigen Ansatz gefunden? Der Sender manipuliert das Leben eines Menschen und bleibt dabei zu brav, findet TV-Experte Gion Mathias Cavelty.

Haben Sie sich auch schon gefragt: Was, wenn mein Leben nur inszeniert und von A bis Z manipuliert ist – von irgendwelchen Kräften, die von einem für Sie unsichtbaren Regiestuhl aus alles dirigieren? Alle Menschen, denen Sie täglich begegnen, bloss Schauspieler sind? Ihr Leben gar nicht Ihr Leben ist?

Was würde passieren, wenn Ihnen plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippen und Ihnen ins Ohr flüstern würde: «Dein Leben war bis hierhin eine einzige Verarschung! Dort ist die Kamera!» (also so ähnlich wie im genialen Film «The Truman Show» mit Jim Carrey)? Wäre das für Sie ein Schock? Oder eine Erlösung?

Nun: Am Mittwochabend lief im ZDF die erste Folge eines neuen Verstecke-Kamera-Formats namens «Sorry für alles», das im weitesten Sinne auf den oben angeschnittenen Fragen basiert. Zwei völlig normale Alltagspersonen wurden darin nacheinander ins Scheinwerferlicht gerückt, deren Leben von den Fernsehmachern nach eigenen Angaben zuvor «während eines Monats auf den Kopf gestellt» wurde.



«Wir haben die unglaublichsten Situationen eingefädelt. Und unsere versteckten Kameras waren immer dabei. Nichts war so, wie es schien. Wo immer Dennis hinkam, haben wir schon gewartet», leitete Moderator Steven Gätjen die Show ein.

Dennis – das war das erste Kandidat, ein sehr sympathischer vierzigjähriger Buchhändler und Loriot-Fan aus Kerpen.

Wie sah Dennis' auf den Kopf gestelltes Leben in den letzten vier Wochen konkret aus? Dies illustrierten fünf Szenen:

- In einem Restaurant bekam Dennis eine völlig versalzene Vorspeise serviert, während alle Gäste rundherum allerbestes Essen bekamen; seine zu seinem Begleiter gemurmelte Reaktion: «Das könnte das Widerlichste sein, was ich jemals gegessen habe. Ich kotze gleich.» Dies war insofern erstaunlich, als das Restaurant von Star-Koch Johann Lafer geführt wird, der sich dann auch persönlich bei den Gästen erkundigte, wie es ihnen schmecke – alle ausser Dennis antworteten (nach Drehbuch) mit «Phantastisch!», «Unglaublich!» oder «Ein Erlebnis!». So ging das weiter; Dennis' Hauptgang war als einziger ungeniessbar (Dennis zu seinem Begleiter: «Das ist Hundefutter»), ebenso das Dessert («Ich kann das nicht essen»).

- In einem Fitness-Studio gab es eine manipulierte Trainings-Session

- Dennis wurde ungeahnt zum Superstar – wildfremde Leute verwechselten ihn auf der Strasse mit dem russischen Volksmusiker «Peter Prosti» (natürlich eine Erfindung); Dennis posierte mit ihnen dann für Selfies und schrieb fleissig Autogramme

- Und dann gab's noch zwei Episoden, in denen ein Kalb und der Komiker Thomas Hermanns eine Rolle spielten.

Das Ganze war recht amüsant, blieb aber kreuzbrav und -bieder.

Psychologische Kriegsführung statt simple Streiche

Wie weit man bei Gesellschaftsexperimenten mit der versteckten Kamera tatsächlich gehen kann, zeigt zum Beispiel der englische Mentalist Derren Brown (tatsächlich scheint die Redaktion von «Sorry für alles» auch ein bisschen bei ihm abgeschaut zu haben). Sein zweifellos umstrittenster Coup ist die TV-Produktion «The Push – Wie einfach wird ein Mensch zum Mörder» (auf Netflix zu sehen). Darin schafft er es durch raffinierteste Manipulation, unbescholtene Bürger tiefer und tiefer in ein vermeintliches Verbrechen zu verstricken, sodass ihnen am Schluss nur noch einen Lösung bleibt: Einen Unschuldigen vom Dach eines Hochhauses in den sicheren Tod stossen (sie denken, es sei ein echter Mensch – es ist natürlich nur eine perfekt hergerichtete Puppe). Das ist wirklich krass mitanzusehen.

Trotzdem ist «Sorry für alles» eine Show, die einen durchaus zum Nachdenken über sein eigenes Leben bringen kann – und inwiefern es manipuliert sein könnte (oder nicht). Behalten Sie die nächsten Tage vielleicht mal Ihren Wellensittich ein bisschen im Auge ...

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