Kaffee-Roboter und Wildsau Kaffee-Roboter und Wildschwein: Warum dieser «Tatort» brillant war

tsch

16.9.2018

Was war gruseliger: Der immer freundliche Kaffeeroboter, der seinen menschlichen Meister meuchelte – oder jene Bestie, die im dunklen Wald eine Joggerin zur Strecke brachte? Was nach einem freundlich absurden Weimarer «Tatort» klingt, war in Wirklichkeit der bislang beste – und nur in Nuancen lustige – «Tatort» aus Berlin.

Was war geschehen?

Die Berliner Ermittler Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) bekamen es gleich mit zwei Fällen zu tun. Tom Menke (Martin Baden), Betreiber eines vollautomatisierten Kaffeeshops, wurde in seinem «Robista» benannten Laden getötet. Hatte ihn der stets freundliche Roboter auf dem Gewissen? Die Enge innerhalb der Kaffeezelle schloss im Prinzip weitere Täter aus. Naturbloggerin Charlie (Stefanie Stappenbeck) fand indes die Leiche einer jungen Joggerin im Wald. In ihren Wunden: Wildschweinhaar. Ein tragischer Unfall oder Mord?

Wer hat sich diesen kreativen Plot ausgedacht?

Drehbuchautorin und vierfache Grimmepreisträgerin Beate Langmaack («Blaubeerblau», «Zeit der Helden») scheint klassische Krimis nicht besonders zu mögen. Ihre Filme sind eher gelungene Abhandlungen über das Menschsein als klassische Tätersuchspiele. Im zweiten Franken-«Tatort» mit dem Titel «Das Recht, sich zu sorgen» verschachtelte die Hamburger Autorin einmal drei Fälle zu einem 90-Minuten-Krimi. Diesmal kam sie mit zwei voneinander unabhängigen Todesfällen aus.

Warum war dieses Drehbuch gut?

Langmaacks Geschichten sind niemals durchsichtig oder platt. Stets darf man sich auf subtiles Erzählen, grimmigen Humor und zeitgeistige Seitenhiebe freuen. «Tiere der Grossstadt», das Regisseur Roland Suso Richter («Tatort: Kopper») und sein Kameramann Max Knauer («Grzimek») in kinoreif schöne Bilder übersetzte, schien manchmal fast überzulaufen – mit seinen wunderbar pointierten Dialogen und poetischen Figuren. Doch der Film bekam stets die Kurve – zu zwei rätselhaft spannenden Kriminalfällen.

Wie lautete der philosophische Denkauftrag?

Dass die Botschaft dieses an Denk- und Gefühlsanstössen reichen «Tatort» keineswegs kristallklar war, ist eine Qualität. Immer noch neigt das deutsche TV ja dazu, seine Ideen etwas zu pädagogisch und explizit auszusprechen. Ein Thema des Films war die immer schwerer zu treffende Abgrenzung zwischen Mensch und Maschine. Samt Exkursen ins Animalische, das zumindest dem Menschen innewohnt. So förderte Karows Recherche in der Welt der Robotik die gar nicht mehr so kühne These hervor, dass sich der Mensch selbst längst auf dem Weg befindet, ein Cyborg zu werden. «Das Smartphone ist doch jetzt schon eine natürliche Verlängerung unseres Körpers», bellte Karow, während ihm ein Robotik-Guru, Entwickler des künstlichen Barista unter Mordverdacht, zum Abschied seine von Gedanken gesteuerte Metallhand reichte. Fantastisch!

Wer war der alte Zeuge?

Als Gegensatz zur kühlen Logik der künstlichen Intelligenz fand sich auch angenehm Unlogisches in diesem Krimi: Menschen, die unglaubliche, von Liebe und Schmerz gesteuerte Gefühlstaten begingen oder Figuren wie jenen steinalten Rentner, der im Hochhaus über dem Platz des «Robista»-Automaten wohnte und in der Nacht das Leben auf der Strasse im Sinne einer eher poetischen Realität beobachtete. Seinen Schauspieler, den 89-jährigen Leipziger Horst Westphal, darf man getrost als Spätstarter in Sachen Filmkarriere bezeichnen. 2008 feierte er mit fast 80 Jahren seine erste Kinohauptrolle. In Andreas Dresens Beziehungsdrama «Wolke 9» verkörperte er den betagten Liebhaber einer verheirateten Frau.

Warum sind die Berliner «Tatorte» besser geworden?

Nach Abschluss der ersten vier Fällen, die «so ein bisschen horizontal» rund um Karows Vergangenheit kreisten, hat die Qualität des Berlin-Krimis klar zugenommen. Waren die beiden etwas überkandidelt gedachten Ermittler bis zum «Tatort: Dunkelfeld» noch in mittelprächtigen Drehbüchern gefangen, können die famosen Schauspieler Meret Becker und Mark Waschke ihre individuelle Klasse nun mehr ausleben. Der Berliner «Tatort» ist auf dem Weg, eine Reihe mit durchaus experimentierfreudigen Einzelstücken unterschiedlicher Kreativer zu werden. Gut so! Für fortlaufende Erzählungen gibt es schliesslich zuhauf gute Serien.

Wer schrieb den seltsam schönen Soundtrack?

Zur dichten Atmosphäre trug der grossartige Soundtrack von Nils Frahm («Victoria») bei. Für seinen ersten «Tatort» erfand der Hamburger Starkomponist elektronisch melancholische Klangwelten, die für den Schmerz des Personals dieses Krimis noch mal eine eigene Dimension zu erschaffen schienen. Die verstörende Klangkunst des 35-Jährigen fällt auch deshalb auf, weil Frahm kein typischer Film- oder Fernsehkomponist ist. Sein Stil passt perfekt zu diesem künstlerisch wuchtigen Fall aus Berlin.

Der neuste «Tatort» lief am Sonntag, 16. September, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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