Emma Raducanu heisst die neue britische Tennis-Hoffnung. Nach ihrem Achtelfinal-Einzug bei der Grand-Slam-Premiere in Wimbledon stürmt die 18-Jährige am US Open in New York in die Viertelfinals.
Emma Raducanu war am Montag eine gefragte Person. Der Medienraum in den Katakomben des Arthur Ashe Stadions füllte sich wie selten in diesen Tagen, als die Nummer 150 der Welt nach ihrem Sieg gegen Shelby Rogers vor die Weltpresse trat. Souverän und mit einem Lächeln beantwortete Raducanu die Fragen der Reporter der «New York Times», des «Telegraph» oder der «Sun». Es schien, als sei das Frage-Antwort-Spiel für den Teenager das Normalste der Welt, dabei hatte die Britin erst vor drei Monaten in Nottingham ihr Debüt auf der WTA-Tour gegeben.
Raducanu knüpft in Flushing Meadows nahtlos an ihre Leistungen von Wimbledon an und beweist, dass ihr Sommermärchen im All England Club keine Eintagesfliege war. Dort hatte die 18-Jährige einen Hype ausgelöst, als sie – als Nummer 338 des Rankings mit einer Wildcard ausgestattet – bei ihrer Grand-Slam-Premiere in die Achtelfinals stürmte, wo es allerdings zum Anticlimax kam. Gegen Ajla Tomljanovic gab Raducanu im zweiten Satz wegen Atemproblemen auf Anraten der Ärzte auf.
Dem Rummel entflohen
Doch Raducanu war auf der Insel plötzlich in aller Munde, was dem sportbegeisterten Teenager Türen öffnete. Sie besuchte den EM-Halbfinal der Fussballer im Wembley zwischen England und Dänemark und stattete dem Grand Prix von Silverstone in der Formel 1 einen VIP-Besuch ab. Erst in den USA konnte sie sich dem Rummel ein wenig entziehen.
Seit sechs Wochen reist sie inzwischen durch das Land der einst unbegrenzten Möglichkeiten. Sie besuchte San Francisco mit der Golden Gate Bridge, spielte in San Jose, ehe sie in Chicago ihren ersten Sieg auf Hartplatz feierte. Richtig durch startete sie aber erst in New York. Als Qualifikantin gewann sie alle sieben Spiele ohne Satzverlust, auch Stefanie Vögele blieb in der Startrunde gegen die Britin ohne Chance.
Im Big Apple gehört die Tochter eines Rumänen und einer Chinesin zu den Publikumslieblingen. Nach ihrem Achtelfinal-Sieg waren Unterschriften und Selfies mit der in der Kanada geborenen Raducanu sowohl auf dem Platz, als auch später auf der Anlage sehr gefragt. London, Toronto, Bukarest, Shenyang heisst es im Instagram-Profil der Kosmopolitin, dem knapp eine halbe Million User folgen – die Tendenz ist steigend.
Gerade die Amerikaner mögen Cinderella-Storys. Erst vor wenigen Monaten hatte Raducanu noch ihre Abschlussarbeiten in Mathematik und Wirtschaft geschrieben und ihre erste Partie auf der Tour bestritten, mit einem Sieg gegen Bencic würde sie bereits an den Top 50 des WTA-Rankings anklopfen. Und noch ist das Turnier nicht vorbei.
Der Himmel als Grenze
Von einem Wunderkind zu sprechen, wäre allerdings Fehl am Platz. Martina Hingis, Monica Seles und Tracy Austin gewannen ihr erstes Grand-Slam-Turnier bereits vor ihrem 17. Geburtstag. Und Raducanus nächste Widersacherin Belinda Bencic war 16 Monate jünger als die Britin, als sie 2014 – ebenfalls in New York – ihren ersten Grand-Slam-Viertelfinal erreichte.
Diese Zeiten sind vorbei. Der Sport wird immer athletischer, die Spitze auch bei den Frauen immer breiter. Die als nächste Serena Williams gepriesene Cori Gauff, die bereits als 13-Jährige der Tennis-Welt ein Begriff war, musste am diesjährigen US Open ebenfalls feststellen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Auch das britische Tennis lechzt nach einem neuen Aushängeschild. «The sky is the limit», sagte Raducanus Coach Nigel Sears in Wimbledon über seinen Schützling. Die Worte von Andy Murrays Schwiegervater schüren Hoffnungen in der stolzen Tennisnation. Johanna Konta und Heather Watson sind beide um die 30, Daniel Evans, Cameron Norrie und Kyle Edmund fehlt das gewisse Etwas, um einst um die grossen Titel mitzuspielen. Und Andy Murrays Karriere neigt sich dem Ende zu. Da kommt Emma Raducanu gerade richtig.