Gerardo Seoane steht in Leverkusen stark in der Kritik. Der CEO des Bundesligaklubs spricht öffentlich über mögliche Nachfolger des Schweizer Trainers. Nun folgt die Champions League in Porto.
Die Tristesse, sie war schnell zurück. Viel schneller, als den Verantwortlichen von Bayer Leverkusen lieb sein kann. Vor knapp drei Wochen gewann die Werkself am zweiten Spieltag der Champions-League-Gruppenphase gegen Atlético Madrid 2:0. Der Sieg gegen das spanische Schwergewicht wurde gern als Befreiungsschlag gedeutet, als Beweis dafür, dass die Mannschaft eben doch über internationale Klasse und das Potenzial verfügt, mit europäischen Top-Teams mitzuhalten. Vor allem war es auch ein Sieg für Trainer Gerardo Seoane, der endlich ein Erfolgserlebnis vorweisen und argumentieren konnte, mit dem Team auf dem richtigen Weg zu sein.
Jetzt, nach einem Unentschieden gegen Werder Bremen und einem 0:4 bei Rekordmeister Bayern München am Freitag, ist man sich darüber überhaupt nicht mehr sicher. Im Gegenteil. Die Zweifel daran, dass Gerardo Seoane noch der richtige Trainer für Bayer Leverkusen ist, scheinen dieser Tage so gross wie nie.
Die Leistungsträger schwächeln
Fünf Punkte haben die Leverkusener nach acht Partien in der Bundesliga auf dem Konto und rangieren auf dem zweitletzten Platz. Es ist der schlechteste Saisonstart seit 40 Jahren. Nur Schlusslicht Bochum, das erst einen Zähler gesammelt hat, verhindert den Sturz ans Tabellenende. Es ist eine überraschende Entwicklung ins Negative, eine, auf die zu Saisonbeginn gar nichts hingedeutet hat. Denn bei Bayer sind grossmehrheitlich dieselben Leute am Werk, die es in der Vorsaison als Dritte in die Gruppenphase der Champions League geschafft haben.
Stürmer Patrik Schick, in der letzten Saison mit 24 Treffern aus 27 Spielen die offensive Lebensversicherung, hat in dieser Spielzeit erst zweimal getroffen in der Liga. Moussa Diaby, auch er eine prägende Figur auf dem Weg in die Königsklasse mit insgesamt 25 Torbeteiligungen, steht nach acht Partien bei einer Vorlage. Und Lukas Hradecky, seit vier Jahren ein sicherer Wert im Tor von Leverkusen, gab zuletzt doch bei einigen Gegentreffern nicht die beste Figur ab.
In der letzten Rückrunde war Bayer hinter Cupsieger Leipzig die zweiterfolgreichste Mannschaft gewesen, und es schien logisch, dass sich dieser Aufwärtstrend mit praktisch unverändertem Personal und demselben Trainer fortsetzen würde. Entsprechend forsch wurden die Saisonziele definiert. Im Cup möglichst weit kommen, in der Meisterschaft die Qualifikation für die Champions League wiederholen und wenn möglich sogar die Bayern im Kampf um den Titel herausfordern. Nach einem knappen Viertel der Meisterschaft scheinen diese einstigen Ziele wie der Wunschtraum eines verklärten Fans.
Überraschend deutliche Worte vom CEO
Die Ambitionen im Cup mussten schon nach der ersten Runde und einem blamablen 3:4 gegen Elversberg aus der dritthöchsten Liga begraben werden. Eine Aufholjagd bis zu den Champions-League-Plätzen scheint zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch, und dass sich Leverkusen derzeit meilenweit weg vom Niveau Bayern Münchens befindet, wurde am Freitag augenscheinlich. «Chancenlos», sei die Mannschaft gewesen, meinte Sportdirektor Simon Rolfes im Anschluss, sprach gleichzeitig seinem Trainer aber das Vertrauen aus.
Dass die Rückendeckung für Seoane in der Führungsriege indes nicht lückenlos sein dürfte, offenbart sich am Sonntag. CEO Fernando Carro ist zu Gast im «Doppelpass», der bekannten Diskussionsrunde auf dem deutschen Kanal «Sport 1». Es ist eine Sendung mit der Leitfrage «Schafft Leverkusen mit Seoane noch die Wende?». 56 Prozent der TV-Zuschauenden, die sich an dieser Umfrage beteiligen, sind der Meinung: Nein.
Nun ist die Skepsis der gemeinen Fans nicht das, was über die Zukunft Seoanes in Leverkusen entscheidet. Das Wort von Geschäftsführer Carro hat diesbezüglich deutlich mehr Gewicht, und was der 58-jährige Spanier sagt, kann nicht als riesiger Vertrauensbeweis gedeutet werden. «Wir haben bestimmte Ziele, die stark gefährdet sind. Eines davon haben wir schon verpasst. Wir müssen alles Mögliche versuchen, unsere Situation zu verbessern.» Und dann sagt er einen Satz, der in der Runde für Verwunderung sorgt, weil Gedanken selten so deutlich ausgesprochen werden. «Wir sind nicht blauäugig, und Sie können davon ausgehen, dass wir nicht unvorbereitet sind.»
Wunschkandidat Tuchel?
Will heissen: Die Leverkusener Führungsetage beschäftigt sich damit, wer Seoane beerben könnte, sollte der Turnaround dem 43-jährigen Luzerner nicht in Bälde gelingen. Natürlich kommt in solchen Diskussionen schnell der Name Thomas Tuchels ins Spiel, der Chelsea vor einem knappen Monat nach Meinungsverschiedenheiten mit der Klubführung verlassen musste. Angesprochen auf den 49-jährigen Deutschen hat Carro ein Schmunzeln im Gesicht und bezeichnet ihn als «exzellenten Trainer». Es würde nicht überraschen, wenn er seine Fühler auch Richtung Tuchel ausgestreckt hat.
Zu Seoane sagt er: «Wir glauben an ihn. Wir sind überzeugt von den Fähigkeiten, die er hat. Aber wir brauchen einfach Ergebnisse.» Am Dienstag steht in Porto die Champions League im Programm, am Samstag folgt das Heimspiel gegen Aufsteiger Schalke. Es dürfte Gerardo Seoanes Woche der Wahrheit werden.