Teil 5 Jubel (5/40)

Beni Thurnheer

12.6.2018

Das aussergewöhnlichste menschliche Verhalten zeigt sich in den Sekunden nach einem Torerfolg.

Die Mühen des Trainings, die Anstrengungen während der Partie wurden belohnt, die Perspektiven – Sieg! Ruhm! Geld! Meisterschaft! – sind rosig, und da ein Tor immer plötzlich fällt, überbordet die Freude im ersten Moment, Der Schütze flippt aus, möchte die ganze Welt umarmen und vollführt die tollsten Kapriolen.

Die meisten rennen mit hoch erhobenen Armen in unverändertem Tempo weiter, in Richtung Fans, Trainer oder zum Mitspieler, welcher den entscheidenden Pass gespielt hat. Sie überwinden Absperrungen und Werbebanden, springen in die Höhe und scheinen mit dem ausgestreckten Arm eine Fliege von einer imaginären Zimmerdecke herunterholen zu wollen. Andere Schützen ahmen mit weit ausgestreckten Armen ein Flugzeug nach, spielen Luftgitarre, schlittern bäuchlings übers nasse Gras. Junge Väter mimen das Schaukeln eines Kleinkindes, Ehemänner küssen ihren Ring. Besonders fitte Athleten zeigen einen lupenreinen Salto oder gar ganze Sprungkombinationen!

Aufführungen wie im Theater

Ein beliebtes Jubelobjekt ist die Cornerflagge. Der Kameruner Roger Milla war an der WM von 1990 der Erste, der auf weltweiter Bühne die Eckfahnen in seinen Jubel mit einbezog. Immer nach einem Torerfolg raste er zu ihnen und tanzte seinen Makossa, eine Art afrikanischen Samba, um sie herum. Unterdessen mussten die Eckfahnen so ziemlich alles über sich ergehen lassen, was man sich nur vorstellen kann: Sie wurden gebeugt und getätschelt, geküsst und ausgerissen, in die Luft geschleudert und herumgetragen. Sie wurden bekniet, umkreist oder zum Winken benutzt.

Doch auch die Mitspieler sind rasend vor Glück! Sie jagen den Erfolgreichen, werfen sich auf ihn und begraben ihn unter sich. Umarmungen und Küsse sind an der Tagesordnung (und werden gerne als Homoerotik überinterpretiert).

Manchmal führen die Teams sogar veritable Theaterszenen vor: Dem Torschützen werden beispielsweise pantomimisch die Schuhe geputzt! Oder die Fans werden abwechslungsweise dazu aufgefordert, lauter (Hand am Ohr) oder leiser (‹Psst›-Zeichen mit dem Zeigefinger auf den Lippen) zu sein, was diese natürlich regelmässig ignorieren.

Am beliebtesten war es lange Zeit, sich nach dem erfolgreichen Torschuss seines Leibchens zu entledigen und sich in Heldenpose zu werfen: Schaut euch meinen gestählten Oberkörper an, sooo stark bin ich! Zum Leidwesen vieler Frauen wurde dieser Mini-Striptease verboten. Denn statt des nackten Körpers kamen oft T-Shirts mit religiösen oder politischen Botschaften zum Vorschein: Jesus liebt Dich! Stop it, Chirac! Ami go home! Sogar der blosse Fussballerleib selber wurde beschrieben! Klar, dass die Firmen, welche für jeden Zentimeter Reklame auf den offiziellen Tenüs grosse Summen hinblättern, intervenierten. So ist denn von alledem heute nur noch die Andeutung des Leibchenausziehens übrig geblieben, inklusive das Verhüllen des Kopfes mit dem Stoff, jedoch ohne aus den Ärmeln zu schlüpfen.


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