Interview Terchoun: «Die Frauen zielen genauer als die Männer»

Patrick Lämmle

17.6.2019

Die Schweizer Nationalspielerin Meriame Terchoun hat den Hattrick der Italienerin Cristiana Girelli (rechts) gegen Jamaika am TV gesehen.
Die Schweizer Nationalspielerin Meriame Terchoun hat den Hattrick der Italienerin Cristiana Girelli (rechts) gegen Jamaika am TV gesehen.
Bild: Keystone/Getty

Meriame Terchoun ist im WM-Fieber. Die Schweizer Nationalspielerin nimmt uns mit in die Welt des Frauenfussballs, erklärt, worüber sie sich ärgert und was ihr bei den Frauen besser gefällt als bei den Männern.

Meriame Terchoun, die Schweiz ist nicht an der WM dabei, wie sehr schmerzt das?

Das ist schon sehr bitter. Nur ein Pünktchen hat gefehlt, doch Schottland war am Tag X einfach besser. Mehrere Faktoren spielten eine Rolle, vielleicht waren wir uns schon zu sicher, dass wir es packen. Und es war sicher für die Stimmung im Team nicht optimal, dass bereits bekannt war, dass die Trainierin (Martina Voss-Ecklenburg, Anm. d. Red.) die Nati Richtung Deutschland verlassen wird. Viel mehr kann ich nicht dazu sagen, weil ich ja wegen eines Kreuzbandrisses nicht mit dem Team unterwegs war.

Verfolgen Sie die WM trotzdem?

Ja klar, sehr intensiv sogar. Ich habe schon gegen einige WM-Teilnehmerinnen gespielt, auch mit der Nationalmannschaft. Etwa gegen Deutschland, Frankreich oder England, alles grosse Teams. Diese bekannten Gesichter zu sehen, das ist schon sehr speziell. Mit einigen habe ich auch schon zusammengespielt.



Wie informieren Sie sich? Es wird ja nur spärlich über die WM berichtet.

Das mag in der Schweiz so sein, aber zum Glück kann man problemlos auch ausländische TV-Sender empfangen und auf der FIFA-Webseite gibt es Highlights von jedem Spiel. In Frankreich ist die Berichterstattung sensationell und umfangreich. Auch in England und Deutschland bietet man den Fans ein schönes Programm. Mir gefällt es auch, dass viele Expertinnen zu Wort kommen und über Fussball fachsimpeln. So sehen alle, dass Frauen wirklich eine Ahnung von Fussball haben und den Männern auf Augenhöhe begegnen.

Was antworten Sie jemandem, der sagt, Frauenfussball sei nicht attraktiv?

Früher konnte ich Frauenfussball auch nicht schauen, doch der Sport hat sich extrem entwickelt. Technisch und taktisch ist das Niveau sehr hoch. Die Männer sind einfach physisch deutlich stärker, das wird auch so bleiben.

Meriam Terchoun (rechts) mit ihren Nati-Kolleginnen Sandra Betschart, Ramona Bachmann und Rachel Rinast.
Meriam Terchoun (rechts) mit ihren Nati-Kolleginnen Sandra Betschart, Ramona Bachmann und Rachel Rinast.
Bild: Keystone

Hat es Spass gemacht, zu sehen, wie die Amerikanerinnen Thailand mit 13:0 vom Platz fegten?

Nein, sowas ist nicht gut für unseren Sport. Es ist zwar schön so viele Tore zu sehen, aber es zeigt auch, wie gross das Gefälle noch ist. In einigen Ländern muss noch sehr viel getan werden.

Gibt es etwas, das Ihnen besser gefällt als bei den Männern?

Mir gefällt, dass das Spiel etwas langsamer ist. Du siehst viel besser, was taktisch auf dem Rasen abgeht. Und du kannst erkennen, was die Spielerinnen für Ideen haben, das finde ich sehr interessant. Und die Frauen sind fairer, es gibt weniger Schauspieleinlagen und Diskussionen. Ich hoffe, dass das so bleibt.

Bei vielen Teams scheinen die Torhüterinnen ein Schwachpunkt zu sein. Täuscht der Eindruck?

Vielleicht gibt es ein gewisses «Goalieproblem». Das beginnt schon in der Ausbildung. Es bräuchte viel mehr spezifische Trainings auf dieser Position. Und natürlich sind die meisten Torhüterinnen im Vergleich zu den männlichen Kollegen deutlich kleiner. Vielleicht wollen auch deshalb grundsätzlich weniger Frauen Torhüterin werden. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass die Frauen genauer zielen als die Männer.

Da würden nicht alle zustimmen …

Es gibt aber eine Erklärung dafür. Die Frauen haben weniger Kraft, das kann nur durch die Schussgenauigkeit kompensiert werden. Deshalb wird extrem viel Wert auf die Schusstechnik gelegt.

Der FC Zürich ist in der Schweiz bei den Frauen eine Macht. Wie oft trainieren Sie?

Viermal in der Woche, dann kommt noch ein Spiel hinzu. Wenn man in einer Sportschule ist, dann kommen noch drei Morgentrainings hinzu.

Das ist vom Aufwand her in etwa mit Teams aus der 1. Liga zu vergleichen. Dort verdienen die Spieler in der Regel mindestens 1000 Franken im Monat, teils sogar deutlich mehr. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie dies hören?

Das macht mich sauer. Wir verdienen im Jahr ca. 3'000 bis 5'000 Franken. Wir können nicht den Fokus auf den Fussball legen, wir gehen alle arbeiten und betreiben nebenher diesen grossen Aufwand. Da kommt auch die Regeneration zu kurz. Aber ich denke, das wird sich in Zukunft ändern.

Was muss passieren, dass der Frauenfussball hierzulande populärer wird?

Mediale Präsenz ist sehr wichtig. SRF zeigt immerhin den Cupfinal und die Qualifikationsspiele der Nationalmannschaft, aber da könnte man sicher noch mehr zeigen. Als Beispiel: Warum kann man nach den Männerresultaten nicht auch noch die Resultate der Frauen einblenden. Wenn wir in den Medien mehr Präsenz erhalten würden, dann werden wir auch für Sponsoren interessant. Und wenn mehr Geld fliesst, dann könnten auch die besten Frauen vom Fussballspielen leben.

Nun noch einmal zurück zur WM, wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Im Grossen und Ganzen ist es ein tolles Turnier. Die Spiele sind sehr gut besucht und wenn man will, dann kann man sich auch alle Spiele am TV ansehen. Wir sind sicher schon wieder ein grosses Stück weiter als bei der WM 2015 und die Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Der Frauenfussball ist auf einem guten Weg, aber es gibt noch viel zu tun.

Wer wird Weltmeister?

Es gibt ein paar Titelaspirantinnen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wie bei den Männern am Ende Frankreich jubelt. Sie spielen auf konstant hohem Niveau und der Heimvorteil ist bei einem Turnier nicht zu unterschätzen.

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