«Für immer die Alpen» Endlich ein grosser Roman über das kleine Fürstentum

Von Sebastian Fischer, dpa

22.3.2020

In Schieflage: Die Liechtensteiner Flagge weht vor Schloss Vaduz.
In Schieflage: Die Liechtensteiner Flagge weht vor Schloss Vaduz.
Bild: Keystone

Herrliche Einblicke in die liechtensteinische Volksseele: Der Roman «Für immer die Alpen» erzählt vom irrsinnigen Leben eines Bankdatendiebs. Ein Buch voller Verve und mit einem Helden, der keiner sein darf.

Endlich Liechtenstein! Das zwischen der Schweiz und Österreich eingeklemmte Fürstentum bekommt seinen grossen Roman. Der kommt allerdings in Form eines Possenspiels daher: Benjamin Quaderer legt in seinem Debüt «Für immer die Alpen» ein ganzes Land auf die Streckbank.

Dem 30-Jährigen, selbst in Liechtenstein aufgewachsen, gelingt eine Art moderner Till Eulenspiegel. Eine absurde Persiflage, die im Literaturfrühling ihresgleichen sucht. 



In der Nahaufnahme ist es ein grotesker Entwicklungsroman über den ausgebufften Johann Kaiser, dessen Leben darauf hinausläuft, dass er Kundendaten von Schwarzgeldkonten illegal an den deutschen Fiskus verrät. In der Totale schafft Quaderer die Karikatur eines Heimatschwanks über eines der reichsten Länder, das von Romanciers bisher weitgehend übergangen wurde.

Ein Held, der keiner sein darf

Johann, der Mitte der 1960er-Jahre als Säugling einen Mordversuch seiner Zwillingsschwestern überlebt, wird zum hochintelligenten Gauner. Sein Leben ist gezeichnet von Identitätswechseln, Parforce-Fluchten und leichtherzig-fatalen Abenteuern. Einer, der am Ende vielleicht ein Held sein will, aber nie einer sein darf.

Quaderer, der in Österreich geboren wurde (weil seine Mutter nicht in Vaduz entbinden wollte), verfasst seit seinen Kindertagen Geschichten. Er studiert literarisches Schreiben in Wien und Hildesheim. Als nach fünf Jahren Arbeit sein 600-Seiten-Wälzer vor ihm liegt, lässt der Wahlberliner wissen: «Ich betrachte mein Frühwerk hiermit als abgeschlossen.»

Dazu gehören genauso 15'000 Kurznachrichten auf Twitter. Darunter findet sich wonniges Pingpong wie mit Buchpreisträger Sasa Stanisic («Herkunft»): «Ich bin da aufgewachsen», schreibt Quaderer über die Berge, «schon gruslig.» Stanisic: «Ja geburt wappnet vor gebirg nich.»

Der Twitter-Austausch zwischen Quaderer und Stanisic.
Der Twitter-Austausch zwischen Quaderer und Stanisic.
Screenshot

Die Alpen, immer wieder dieses Massiv. «Neben ihrer Stetigkeit gehört es zum Wesensmerkmal von Bergen», heisst es im Roman, «dass sie denjenigen, die in ihrem Schoss leben, die Sicht auf den Horizont nehmen». Doch Protagonist Johann findet sich damit nicht ab. Als kleiner Junge, der trotz Eltern im Waisenhaus aufwächst, zieht er um die Häuser, als Teenager dann in die Welt.

Wie Hannibal einst auf Elefanten über die Alpen ritt, macht sich der 14-jährige Johann mit dem Moped auf nach Barcelona, um seine Mutter zu suchen. Dort geht er auf die Schweizer Schule. Um Anerkennung unter den versnobten Mitschülern zu erhalten, erfindet er kurzerhand eine neue Familiengeschichte. Er macht sich zum Spross des weltbekannten Liechtensteiner Werkzeugbauers Hilti. Eine Lüge, die ihm später im Leben noch arge physische Folter bereiten wird.

Reales Vorbild

Quaderers Vorbild für seine Hauptfigur ist der reale Datendieb Heinrich Kieber. Der soll in den Nullerjahren Informationen über schwarze Konten deutscher Steuerhinterzieher bei der Fürstenbank LGT verkauft haben. Das hatte zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Vaduz und Berlin geführt. Seit 2008 wird international nach ihm gefahndet. Doch lebt der heute 54-Jährige wohl dank Hilfe des deutschen Bundesnachrichtendienstes unter neuer Identität.

«Literatur hat den Vorteil der Fiktion», sagt Quaderer im Gespräch mit seinem Lektor. Auch wenn ihr etwas Reales zugrunde liege, gebe es immer Lücken. «Dort kann Literatur reingehen und spekulieren. Sie kann versuchen, zu erklären, wie etwas geschehen sein könnte.»



Stilistisch greift der Berliner, der sich einmal als Perfektionist bezeichnete, in die Vollen. Manchmal kommt man seiner Überlust an sprachlichem Elan gar nicht hinterher. In der Tradition von David Foster Wallace oder Ronald M. Schernikau bewegt sich der 30-Jährige zwischen Bildungsroman und postmodernem Erzählen. Da gibt es Stränge in Fussnoten, groteske Pointen, gleichzeitig erzählte Parallelstorys, Protokollepisoden und Handlungslücken – alles, ohne zu überfordern.

«Seitdem das Buch in Druck ist», twittert Quaderer, «bin ich davon überzeugt, dass es besser gewesen wäre, alles komplett anders zu machen». Reinstes Understatement ist das. Denn «Für immer die Alpen» ist feinstes Pläsier. Nur Johanns Worte sollten nicht aus den Augen verloren werden: «Es könnte alles auch ganz anders gewesen sein.»

Benjamin Quaderer: «Für immer die Alpen», Luchterhand, 592 S., 22,00 Euro, ISBN 9783630876139

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