Dosis macht Wirkung Was es bei pflanzlichen Arzneimitteln zu beachten gilt

Von Runa Reinecke

24.7.2020

Pflanzliche Arzneimittel: Wer sich über Neben- und Wechselwirkungen eines Medikaments informiert, ist auf der sicheren Seite. 
Pflanzliche Arzneimittel: Wer sich über Neben- und Wechselwirkungen eines Medikaments informiert, ist auf der sicheren Seite. 
Bild: Getty Images

Haben pflanzliche Arzneimittel weniger Nebenwirkungen als synthetische? Ein Experte hat uns verraten, welche Heilpflanzen-Präparate in die Reiseapotheke gehören und wann bei Wirkstoffen pflanzlichen Ursprungs Vorsicht geboten ist.

Warum zur chemischen Keule greifen, wenn sich gewisse Beschwerden erfolgreich mithilfe pflanzlicher Arzneimittel behandeln lassen können? Wir haben mit dem Schweizer Experten für Phytopharmazie und Phytotherapie, Prof. Dr. Beat Meier, über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten pflanzlicher Arzneimittel gesprochen.

Herr Meier, die Begriffe Phytomedizin und Phytotherapie werden oft verwechselt. Worin besteht der Unterschied?

Bei der Phytomedizin geht es um die Behandlung kranker Pflanzen, während sich die Phytotherapie mit der Therapie des Menschen mit Arzneipflanzen beschäftigt. Diese Pflanzen werden verarbeitet, zum Beispiel zu Extrakten für die Herstellung von pflanzlichen Arzneimitteln. Für sie bedarf es – genau wie für synthetische Medikamente – einer Registrierung beim Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic. Und sie dürfen – von Ausnahmen (Liste E) abgesehen – nur in Apotheken, Drogerien oder vom Arzt abgegeben werden.

Da wir gerade bei Begriffen sind: Homöopathika gehören doch eigentlich nicht zu den pflanzlichen Arzneimitteln?

Zur Person: Beat Meier
Prof. Dr. sc. nat. Beat Meier (Jahrgang 1949) hat seine wissenschaftliche Karriere den Arzneipflanzen gewidmet. Er war Leiter Forschung und Entwicklung bei Max Zeller Söhne AG in Romanshorn und hat einige heute bedeutende pflanzliche Arzneimittel mitentwickelt. Er war danach bis zu seiner Pensionierung Dozent für Phytopharmazie an der ZHAW in Wädenswil. Beat Meier prägte die Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie SMGP als Gründungsmitglied, Präsident und Geschäftsleiter. Er beschäftigt sich weiterhin mit Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit pflanzlicher Arzneimittel.

Bild: zVg

Homöopathika sind eine eigene Arzneimittelklasse. Sie werden gemäss spezieller Vorschriften hergestellt. Beim Ausgangsmaterial handelt es sich meist um frisch geerntete Pflanzen. In der Phytotherapie werden die daraus hergestellten Urtinkturen mitunter eingesetzt. Die in der Homöopathie nachfolgende Potenzierung macht den Unterschied. Sie erfolgt in der Phytotherapie, die zudem oft mit getrockneten Pflanzen arbeitet, nicht. Die Methoden der Zubereitung sind zudem in der Phytotherapie viel mannigfaltiger.

Mit pflanzlichen Arzneimitteln verbindet man, dass sie sicher sind und sanft wirken. Ein Trugschluss?

Klinische Studien bestätigen im Vergleich immer wieder, dass pflanzliche Arzneimittel weniger Nebenwirkungen zeigen als synthetische. Pflanzliche Arzneimittel sind Vielstoffgemische, hohe Konzentrationen einzelner Stoffe sind unüblich. Der Mensch hat sich über die Ernährung im Lauf seiner Entwicklung diese Vielstoffgemische adaptiert. Das dürfte der Grund sein für die gute Verträglichkeit, was nicht heisst, dass alles für jeden verträglich ist.

Wie äussert sich das?

Pflanzen können Allergien auslösen. Das gilt auch für Arzneipflanzen. Bei bekannten Allergien ist ein sorgfältiger Umgang mit pflanzlichen Arzneimitteln zu empfehlen.

Manchen pflanzlichen Arzneien wird nachgesagt, sie seien organschädigend …

Es gibt Giftpflanzen, das ist allen bekannt. Diese werden in der Therapie jedoch nicht eingesetzt oder sind – gemäss dem Prinzip «die Dosis macht die Wirkung» – dem Arzt für den gezielten Einsatz vorbehalten. Sie sind entsprechend für die Selbstmedikation nicht zugelassen.

Vor zwei Jahren geriet ein pflanzliches Arzneimittel in die Schlagzeilen. Der darin enthaltene Schöllkraut-Extrakt wurde mit Leberschädigungen in Verbindung gebracht ...

Swissmedic überwacht die zugelassenen Arzneimittel. Ich empfehle, sich generell an die in der Packungszettel vorliegenden Informationen zu halten. Sie lauten für diese Zubereitung, die von den Ärztinnen der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie mit sehr viel Erfolg eingesetzt wird, wie folgt: «Wenn bei Ihnen eine Lebererkrankung vorliegt oder dies früher einmal der Fall war oder wenn Sie mit anderen Arzneimitteln/Wirkstoffen behandelt werden, welche die Leber beeinträchtigen können, sollten Sie vor Einnahme dieses Arzneimittels Ihren Arzt befragen.»

Bei pflanzlichen Arzneimitteln gilt grundsätzlich, was auch für synthetische Wirkstoffe gilt: Man sollte nichts einnehmen, ohne sich zuvor genau über Wirkung, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten informiert zu haben.

Wechselwirkungen, ein gutes Stichwort. Pflanzliche Stoffe können die Wirkung anderer Medikamente beeinflussen beziehungsweise abschwächen. Welche dieser Wechselwirkungen sind besonders problematisch?

Einige synthetische Arzneimittel verfügen über eine sogenannte schmale therapeutische Breite. Hier ist generell, zum Beispiel auch bei Ernährungsumstellungen, Vorsicht geboten: Bereits kleinste Veränderungen können den Stoffwechsel dieser Substanzen beeinflussen, was zu Unter- respektive Überdosierungen führen kann.

Vor zwei Jahrzehnten sorgte eine Interaktion (Wechselwirkung) mit einem Immunsuppressivum* für Schlagzeilen, das durch ein Johanniskrautpräparat verursacht wurde. Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass es Johanniskrautpräparate gibt, die dieses Interaktionspotenzial nicht aufweisen.

Generell gilt: Wer regelmässig Medikamente einnehmen muss, sollte jede ergänzende Therapie mit dem behandelnden Arzt besprechen.

Eine gute Übersicht über den aktuellen Stand der Forschung bezüglich möglicher Wechselwirkungen von 121 Arzneipflanzen in englischer Sprache bietet die Plattform escop.com. Dabei zeigt sich, dass bei den meisten Arzneipflanzen Wechselwirkungen selten sind und wenn sie auftreten, dann vielfach als Folge einer unsachgemässen Anwendung mit zu hohen Dosierungen.

Viele schwören auch in den Ferien auf pflanzliche Arzneimittel. Was gehört in die Reiseapotheke?

Eigentlich alles, was man auch zu Hause regelmässig anwendet. Zieht man sich zum Beispiel beim Wandern eine kleine Verletzung zu, dann hilft ein Flüssigkeitsextrakt der Kamille. Kamille wirkt entzündungshemmend und desinfizierend. Bei schweren Beinen nach langem Sitzen im Zug oder im Auto verschafft ein kühlendes Arnikagel Linderung.

Gut bei Reisekrankheit und in Bezug auf Schiffsreisen klinisch erprobt, sind Ingwerpräparate und eine unangenehme Reiseverstopfung lässt sich mit dem abführend wirkenden Extrakt der Arzneipflanze Senna behandeln. Ein Spray, zum Beispiel mit Salbei und Echinacea, empfiehlt sich für Halsschmerzen, die infolge Zugluft oder trockener Schleimhäute auch in den Ferien recht oft auftreten können.

Möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern zum Schluss verraten, mit welchen pflanzlichen Arzneimitteln Sie selbst besonders gute Erfahrungen gemacht haben?

Da ich in meinem Leben bisher das Glück hatte, von einer guten Gesundheit profitieren zu können, kann ich in erster Linie bei Erkältungskrankheiten auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Bei ersten Symptomen verwende ich die Zubereitung aus Echinacea purpurea (Kraut und Wurzel, Frischpflanzenextrakt), bei Husten ein pflanzliches Arzneimittel das einen Efeuextrakt als Wirkstoff enthält. Auch die oben erwähnte Kamillentinktur steht in meiner Hausapotheke.

*Immunsuppressiva werden eingesetzt, um die Funktion des Immunsystems zu vermindern. Eingesetzt werden sie unter anderem bei Autoimmunerkrankungen und Transplantationen.

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