Expertinnen-Interview Schlafmedizinerin warnt: «Ein Drittel der Schweizer schläft schlecht»

Marianne Siegenthaler

8.1.2019

Wachliegen im Bett vermeiden: Menschen mit Schlafstörungen sollten nur dann schlafen gehen, wenn sie wirklich müde sind.
Wachliegen im Bett vermeiden: Menschen mit Schlafstörungen sollten nur dann schlafen gehen, wenn sie wirklich müde sind.
Bild: iStock

Schlafstörungen sind weit verbreitet. Wie man zu einem gesunden Schlaf findet, auch das erklärt die Fachärztin und Schlafmedizinerin Annkathrin Pöpel im Interview. 

Frau Dr. Pöpel, wie haben Sie letzte Nacht geschlafen?

Ich habe verhältnismässig gut geschlafen, war sehr müde, schlief schnell ein und erwachte zweimal kurz.

Und wie ist Ihr Schlaf im Allgemeinen?

Auch ich schlafe manchmal stressbedingt schlecht, aber was noch viel einschneidender ist: Ich brauche acht Stunden Schlaf, um ausgeschlafen zu sein – und in meinem Alltag ist das ein permanenter Challenge, auf diese Schlafmenge zu kommen. Auch ich bin ein Kind der «24h always on»- Gesellschaft und halte mich durch vielerlei selbst vom Schlafen ab.

Sind denn acht Stunden Schlaf ideal?

Die Schlafdauer ist individuell sehr unterschiedlich. Bei 95 Prozent der Bevölkerung liegt sie zwischen sechs bis neun Stunden.

Und wann sollen wir zu Bett gehen?

Idealerweise passt man die Schlafzeit an den Chronotyp an, das heisst Frühaufsteher gehen eher früher zu Bett, Langschläfer entsprechend später.

Was ist sonst noch wichtig für einen guten Schlaf?

Ein bequemes Bett, Dunkelheit, Ruhe, eine abgesenkte Raumtemperatur und warme Füsse.

Annkathrin Pöpel: «T.A. Edison patentierte 1880 die Glühbirne, seitdem schlafen die Menschen geschätzt drei Stunden weniger pro Nacht.»
Annkathrin Pöpel: «T.A. Edison patentierte 1880 die Glühbirne, seitdem schlafen die Menschen geschätzt drei Stunden weniger pro Nacht.»
Bild: Sanatorium Kilchberg

Weshalb ist ein gesunder Schlaf wichtig?

Schlaf ist ein so genannter Resilienzfaktor. Das heisst, er ist notwendig für die körperliche Regeneration, fürs Lernen beziehungsweise die Konsolidierung von neuerworbenen Gedächtnisleistungen sowie für die Verarbeitung von Emotionen.

Wie viele Menschen in der Schweiz sind von Schlafstörungen betroffen?

Knapp ein Drittel der Schweizer Bevölkerung leidet an Ein- oder Durchschlafstörungen.

Wer ist am häufigsten betroffen?

Frauen mehr als Männer, und mit steigendem Lebensalter nehmen Schlafstörungen tendenziell zu. Am meisten leiden Menschen über 85 und älter.

Weshalb schlafen Frauen schlechter als Männer?

Das hat viele Gründe. Wir wissen, dass hormonelle Schwankungen Schlafstörungen verursachen können. Frauen haben häufiger als Männer einen gestörten Schlaf durch die Kinder. Und Frauen nehmen insgesamt Beschwerden – auch andere als Schlafstörungen – sensibler wahr als Männer und suchen sich auch eher Hilfe von aussen als diese.

Welche Arten von Schlafstörungen gibt es?

Zu den Schlafstörungen an sich gehören die nicht-organische Insomnie, die Schlafapnoe, das Restless-Legs-Syndrom, seltener auch Narkolepsie und Schlafwandeln. Auch Schichtarbeit beeinträchtigt häufig den Schlaf. Schilddrüsenfunktionsstörung, Depressionen, Parkinson-Krankheit, Schlaganfall sowie Demenz sind Krankheiten, die zu Schlafstörungen führen können. Das gilt auch für chronischen Substanzkonsum von Alkohol, Cannabis oder anderen Drogen wie zum Beispiel Ecstasy.

T.A. Edison patentierte 1880 die Glühbirne, seitdem schlafen die Menschen geschätzt drei Stunden weniger pro Nacht.
T.A. Edison patentierte 1880 die Glühbirne, seitdem schlafen die Menschen geschätzt drei Stunden weniger pro Nacht.
Bild: Getty Images

Manche Menschen wachen nachts öfters auf, weil sie auf die Toilette müssen. Wie häufig gilt da noch als normal?

Wer regelmässig mindestens zweimal pro Nacht auf die Toilette geht, sollte das abklären lassen. Insgesamt nimmt mit steigendem Alter der nächtliche Harndrang zu, aber auch bei älteren Menschen können sich dahinter Krankheiten verbergen, die man behandeln kann.

Schlafen wir heutzutage weniger als die Menschen früher – und wenn ja, warum?

T.A. Edison patentierte 1880 die Glühbirne, seitdem schlafen die Menschen geschätzt drei Stunden weniger pro Nacht. Studien legen nahe, dass wir in den letzten 50 Jahren immer weniger schlafen, aber insgesamt ist die Datenlage uneinheitlich. Es gibt Untersuchungen bei Naturvölkern, die zeigen, dass auch diese Menschen nicht wesentlich mehr schlafen als Menschen aus Industrienationen.

Kann man auch zu viel schlafen?

Es gibt den Begriff der Hypersomnie. Das bedeutet, dass Menschen mehr als neun Stunden pro Tag schlafen und dennoch permanent müde und schläfrig sind, das heisst eine erhöhte Tagesschläfrigkeit haben. Wir wissen, dass der Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Gesundheit etwa einer U-Kurve entspricht. Das heisst, zu wenig Schlaf ist gesundheitsschädlich, aber zu viel auch. Das kann für die einzelne Person unterschiedlich sein, wenn jemand sechs Stunden Schlaf braucht, um ausgeschlafen zu sein, dann sollte er nicht unbedingt viel mehr schlafen, aber wenn jemand neun Stunden braucht, um ausgeschlafen zu sein, dann sollte er sich die Zeit nehmen.

Was halten Sie von Power Napping beziehungsweise einer Siesta?

Mittagschlaf ist eine Form von Pause innerhalb der Wachzeit. Mittagschlaf ist tendenziell lebensverlängernd und eine sinnvolle Massnahme. Es ist generell zu empfehlen, tagsüber kleine Pausen zu machen, nicht nur zum Essen, auch zur Erholung. Die Siesta in den mediterranen Ländern ist nicht nur der Chronobiologie geschuldet, sondern auch den Temperaturen. Ich würde für einen Mittagschlaf in unseren Breitengraden eine Dauer von zehn bis 30 Minuten empfehlen. Individuelle Abweichungen sind möglich.

Wann ist es Zeit, Schlafstörungen abzuklären?

Generell – wenn das Problem mehrere Wochen oder Monate besteht und die Lebensqualität beeinträchtigt und zum Beispiel Folgendes vorliegt: Deutliche Einschränkung der körperlichen, geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit. Ausserdem in der Nacht eine ungenügende Menge an Tiefschlaf, zu lange Einschlafdauer, häufiges Aufwachen, unregelmässiger Rhythmus, Früherwachen. Tagsüber sind es Tagesmüdigkeit, Schläfrigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Stimmungsschwankungen und nicht zuletzt soziale Probleme sowie Sorgen betreffend Schlaf, die  Auslöser für eine Abklärung sein können.

Manche versuchen das Schlafproblem mit Rotwein, Schlaftabletten, Beruhigungstees, Joints oder CBD-Tropfen zu lösen. Was ist davon zu halten?

Alle die genannten Substanzen helfen den Menschen zu entspannen, aber die meisten sind für die sogenannte Schlafarchitektur schlecht, da sie in aller Regel nur den Leichtschlafanteil erhöhen, aber nicht den Tiefschlafanteil. Alkohol und Schlaftabletten schwächen das vegetative Nervensystem und führen längerfristig damit in eine Negativspirale. Beruhigungstees sind eine sinnvolle Alternative, helfen aber nicht allen Menschen. Bei CBD-Tropfen gibt es noch keine wissenschaftlich aussagekräftigen Informationen in Bezug auf Wirkung auf den Schlaf.

Und welches sind Ihre persönlichen Tipps für einen guten Schlaf?

Einhalten des Tag/Nacht-Rhythmus, den eigenen Chronotyp kennen und mit ihm leben, nicht gegen ihn. Regelmässige Schlafzeiten, eine ausreichende, individuell abgestimmte Schlafdauer. Vermeiden von Lärm ist ebenso wichtig wie eine entspannende Abendgestaltung. Im Weiteren keinen oder nur wenig Alkohol oder Kaffee am Abend und der Verzicht auf exzessiven Sport abends. Empfehlenswert sind zwei bis drei Stunden Ausdauersport pro Woche für den Normalbürger. Menschen, die längere Zeit in ihrem Leben Leistungssport betrieben haben, benötigen mehr. Auch regelmässiges Anwenden von Entspannungsverfahren ist hilfreich.

Zur Person: Annkathrin Pöpel

Dr. med. Annkathrin Pöpel ist Fachärztin Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Somnologin und leitet das Zentrum für Psychosomatik Zürich im Sanatorium Kilchberg. Die Spezialsprechstunde für Schlafstörungen und Chronotherapie ist Teil des interdisziplinären Schlafzentrums Zürichsee.

In fünf Schritten zum erholsamen Schlaf: Referat von Annkathrin Pöpel: Mittwoch, 27. Februar 2019, 19 Uhr, Volkshaus Zürich, Eintritt Fr. 30.–, Anmeldung: Link.

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