Die Letzten ihrer Art Besuch im Sexkino – «Chunsch id Kabine?»

Olivia Sasse

15.2.2019

Das Kino Walche ist eines der letzten Sexkinos in Zürich.
Das Kino Walche ist eines der letzten Sexkinos in Zürich.
Bild: Bluewin/os

In Zeiten von Youporn, Pornhub und ähnlichen kostenlosen Erotik-Webseiten müsste ein Sexkino doch eigentlich leer sein – oder nicht? «Bluewin»-Redaktorin Olivia Sasse schaut nach, was im Erotik-Kino so läuft.

Ich hätte erwartet, dass der Kassierer mich komisch anschaut oder fragt, ob ich mich verlaufen habe. Doch nichts davon geschieht. Es ist Mittwoch, kurz nach halb drei nachmittags – und ich krame in meiner Tasche, um die 20er-Note hervorzuholen, die ich extra für dieses Billett aus dem Automaten gelassen hatte. Eine Abbuchung vom Zürcher Sexkino Walche will ich nicht wirklich in meinem E-Banking finden.

Hinter mir stehen diverse Regale, in denen sich DVDs mit Erwachsenen-Inhalten stapeln: Gay, Milf, Exotic, Lesben, Teeny, Fetisch, Asien, SM … Ich frage mich, wer heute noch DVDs kauft. Und noch viel mehr, wer heute eigentlich noch ins Kino geht, um Pornos zu schauen.

«Bist du öfter hier?» Doch ohne meine Antwort abzuwarten, informiert der Kassierer mich, dass das Schliessfach fünf Franken Depot kostet. Er schaut mich kritisch an und sagt: «Eine Frau und vier Männer.» Ich bin mir nicht sicher, ob er mich gerade vor Taschendiebstahl oder vor einer Orgie im Kinosaal warnen möchte. Ich habe zwar nur noch vier Franken Bargeld, aber das stört ihn nicht weiter. Er nimmt die Münze und drückt mir den Schlüssel fürs Fach in die Hand. Während ich meinen Rucksack verstaue, beobachtet mich ein Mann, der in einem Fumoir an seiner Zigarette zieht. Sein Blick wirkt eher verwundert als lüstern. Ich behalte die Jacke an und gehe vorbei an verschiedenen Kabinen, in denen man sich seinen Film selbst auswählen kann, zu den Sälen.

Ich bin nicht die einzige Frau

Keine Orgie weit und breit, aber dafür schaut mir eine menschengrosse Vulva von der Leinwand entgegen. Sie verschlingt einen Penis wie ein Tier, das nach tagelangem Hungern ein Stück Fleisch findet. Ich schaue schnell wieder weg. Nicht, weil ich grundsätzlich ein Problem mit Pornos hätte, aber das ist mir dann doch zu explizit und mit viel zu vielen Details. Ich schaue mich um und sehe in den Reihen verteilt fünf Männer sitzen. Sie schauen abwechselnd gebannt auf die Leinwand und im Saal umher.

Zwei stehen in der hintersten Reihe, wo sich abgetrennte Abteile befinden. Diese sind zwar nach vorn offen und so einsehbar, aber von den direkten Sitznachbarn abgetrennt. Die Männer sind alle eher älter, schon ein wenig ergraut, mit Strickpulli oder Jacke. In einer Ecke entdecke ich zu meiner Überraschung zwei jüngere Männer, vielleicht Ende zwanzig. Doch alles ist relativ ruhig, beinahe verhalten.

Ich bin zwar nicht die einzige Frau im Raum, aber alle anderen tragen Strapse oder haben Ausschnitte, bei denen man schon den Bauchnabel erahnen kann. Wobei ich mir nicht so sicher bin, ob wirklich alle Beine in den kurzen Röcken zu Frauen gehören. Sie gehen durch die Reihen und bieten ihre Dienste an.

Eine grossgewachsene Dame mit einer dunklen Haarmähne lächelt mich an und mustert mich unverhohlen. Entweder will sie abchecken, ob ich eine Konkurrenz bin, oder sie überlegt sich, ob sie ein Angebot für Frauen hat – was nicht der Fall zu sein scheint, sie spricht mich nicht an. Eine andere Frau begrüsst einen der Männer mit drei Küsschen. Sie sprechen vertraut miteinander, wie alte Bekannte. Sie geht, ohne dass weiter Hüllen fallen.

«Beautiful, you are beautiful», ertönt eine Stimme hinter mir. Ich tue so, als würde ich konzentriert auf die Leinwand blicken. Ich kann das Publikum nicht einschätzen, mehrere Kollegen hatten mir davon abgeraten, allein hierhin zu gehen, vor allem als Frau. «Du allein hier?» Es ist einer der jüngeren Männer, der mit mir spricht. Er trägt einen Bart und hat die dunkelblonden Haare nach hinten gegelt. Er sieht gut aus und scheint mir eigentlich eher Generation Tinder als Generation Sexkino zu sein. Aber wer bin ich schon, das zu beurteilen. Ich bin schliesslich auch hier. Kurz überlege ich, ob ich mir eine Begleitung erfinden soll, sage dann aber: «Ja, ich bin allein hier. Und ich möchte auch, dass es so bleibt.» Er nickt und geht. Ich bin erleichtert, das war einfach.

«Ah, du luegsch nur?»

Die Stimme der Frau, die zu der Monstervulva gehört, bedankt sich gerade für den Sex in jenem für solche Filme üblichen Jargon. Ich rolle mit den Augen. Es wundert mich nicht, dass es hier kaum weibliche Kundschaft gibt. Ich wechsele in einen anderen Saal, und dort räkelt sich gerade eine Frau in einem knappen, roten Santa-Claus-Kostüm. Ich muss zwei tiefe Atemzüge nehmen, damit ich nicht einfach laut vor mich hin pruste. Auch hier bleibe ich im Gang stehen. Es gibt zwar viele leere Plätze, doch ich will mich nicht auf einen der schwarzen Lederstühle setzen. Ich bin mir sicher, dass es hier im Schwarzlicht aussehen würde wie auf den Arbeitsklamotten eines Malers.

Ein runzliges, freundliches Gesicht taucht vor mir auf. Der Mann könnte vom Alter her locker mein Grossvater sein. Seine Wollmütze bedeckt nur die Hälfte seiner Ohren, ich kann ihn mir gut vorstellen beim Donnerstag-Jass mit Freunden oder am Sonntag beim Tatort schauen – ein wenig bünzlig eben. «Chunsch id Kabine?» Er schaut mich erwartungsvoll an, aber ich schüttele den Kopf. «Ah, du luegscht nur?» Ich nicke, und er geht.

Ich wurde definitiv schon aufdringlicher angemacht als hier. Beispielsweise als ich selbst noch in einem normalen Kino arbeitete. Da stellte sich einmal bei der Billettkontrolle ein junger Mann so nahe vor mich, dass ich zwischen ihm und der Wand eingequetscht war. Er hob seine Hände, streckte mir seinen Schritt entgegen und fragte mich: «Machsch au Täschekontrolle? Ich ha nämlich öpis grosses debii». Solche Flachwitze, echt. Da sind die Männer im Walche direkt angenehm.

Zwar bin ich mir immer noch nicht so ganz sicher, was diese Männer ins Sexkino zieht: Die grosse Leinwand, eine schnelle Nummer, die Prostituierten, oder ganz einfach nur die Tatsache, dass man hier nicht allein ist. Doch der Ruf von Sexkinos scheint um einiges verruchter zu sei, als sie es in Wahrheit sind. Vielleicht habe ich auch nur einen ruhigen Tag erwischt, genauer rausfinden werde ich das wohl nicht mehr. Bevor der nächste Film startet, verlasse ich das Kino.

Viel länger als 15 Minuten bin ich nicht geblieben. Denn mein Besuch war zwar nicht so unangenehm wie erwartet, aber doch alles andere als sexy.

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