Begrüssungsrituale Der Handschlag ist am Ende – was gab es davor?

Von David Eugster

1.5.2020

Die Corona-Krise zwingt uns zum Abstandhalten, der Handschlag wird so bald nicht mehr zurückkommen.
Die Corona-Krise zwingt uns zum Abstandhalten, der Handschlag wird so bald nicht mehr zurückkommen.
Bild: Getty Images

Das Coronavirus zerstört gerade unsere Begrüssungskultur, das Händeschütteln ist schon fast ein No-Go geworden. Zeit also, sich nach Alternativen umzusehen. Was gab es denn vor dem Händeschütteln?

Menschen haben das Bedürfnis, sich zur Begrüssung zu berühren. Doch Corona hat Berührungen zwischen Menschen ausserhalb des eigenen Haushalts weitgehend aus dem Alltag verdrängt.

Aber reicht denn ein «Hoi» oder «Grüezi» denn nicht aus?

Nicht ganz. Professor Angelika Linke, Kommunikationsforscherin von der Universität Zürich, meint: «Enger Körperkontakt ist in Sachen Begrüssung immer zentraler geworden. Gerade unter jungen Menschen haben das Umarmen und die Küsschen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen.»

In unserer Gesellschaft werde Nähe immer offener ausdrückt, sei es zum Beispiel durch das allgegenwärtige Duzis oder eben in Begrüssungen, in denen die körperliche Nähe die emotionale spiegeln soll. «Da bricht nun etwas Wesentliches weg», beobachtet Linke.

Einigkeit zwischen Kapitalisten und Klassenkämpfern

Besonders schmerzhaft wird der Verlust des Handschlags empfunden. Viele Forscher sind der Meinung, die Begrüssungsgeste habe ursprünglich befriedenden Charakter gehabt:

Man vertraute damit seinem Gegenüber seine Arme an und war zumindest vorübergehend nicht im Besitz seiner Schwerthand. Das Schütteln der Hände, meinen wieder andere, hätte dazu gedient, dem Gegenüber versteckte Dolche und anderes Meuchelwerkzeug aus dem Rock zu schütteln.

Der Handschlag gilt in der Geschäftswelt ebenso als Vertrauensgeste… (Symbolbild).
Der Handschlag gilt in der Geschäftswelt ebenso als Vertrauensgeste… (Symbolbild).
Bild: Keystone/Martin Ruetschi

Noch immer schütteln Politikerinnen und Politiker für Kameras Hände, um nach kriegerischen und anderen Auseinandersetzungen Einigkeit zu demonstrieren. Auch im Alltag wird der Handschlag als wichtig empfunden. Er ist ein Vertragssymbol, gilt als etwas Währschaftes, Redliches – darin konnten sich geschäftige Kapitalisten genauso wie Klassenkämpfer wiederfinden.

Die ersten Hände wurden bereits in der Antike gereicht. Doch zur Selbstverständlichkeit wurde er erst spät – der Handschlag wurde in der Geschichte immer begleitet durch andere Formen der Begrüssung, die aber um einiges formeller waren als Küsschen und Fistbumps. Im 18. Jahrhundert war der Handschlag Bekannten und guten Freunden vorbehalten –  Menschen, denen man gesellschaftlich gleichgestellt war.

… wie den (vermeintlichen) Klassenkämpfern – hier das Logo der SED, der einstigen Einheitspartei der DDR.
… wie den (vermeintlichen) Klassenkämpfern – hier das Logo der SED, der einstigen Einheitspartei der DDR.
Bild: Getty Images

Andere, Höhergestellte, musste man mit dem Ziehen des Hutes oder einer Verbeugung begrüssen. Letzteres sollte man sich nicht zu simpel vorstellen, das war kein Kindergartentheater:

Der europäische Adel pflegte sich bis ins 19. Jahrhundert, auf umständlichste Art und Weise zu begrüssen. So neigte man zu ellenlangen Anreden wie «Erlauben sie mir mein Herr Jonathan, die Ehre ist auf meiner Seite, dass ich Ihnen meine schuldigste Aufwartung mache.»

Aber auch der Körper kam zum vollen Einsatz: Das Begrüssen einer Gruppe konnte durchaus einem Tanz gleichen. Wenn ein Mann zu einem geselligen Abend hinzukam, trat er mit schnellem Schritt hinein, zog den linken Fuss heran und verbeugte sich. Dann trat er Richtung Hausherrin und Hausherr und küsste deren Hand – aber so, dass die Lippen die Hände eben nicht berührten. Dann wendete er sich zur höchstrangigen Person im Raum und verbeugte sich tief vor ihr, dann vor dem Rest der Gesellschaft.

Lächerliche Verbeugungen

Diese Körperbewegungen, die die Begrüssung begleiteten, galten damals mehr als die Sprache. So konnte man zwar das Aussprechen des Grusses weglassen, aber es galt als Frechheit, diese Körperwindungen zu vernachlässigen. Wieso diese Umstände?



Angelika Linke erklärt: «Im Adel, der nicht von körperlicher Arbeit lebte, wurde der Körper für den schönen, eleganten Auftritt gepflegt und geschult: Körperkünste wie Tanz, Fechten, Ballspiel gehörten zur adligen Grundausbildung. Das hing auch mit dem engen Bezug zwischen Adel und Militär zusammen: Männer präsentierten auch in der Gesellschaft permanente Körperkontrolle» – auch bei der Begrüssung.

Diese Formen der Begrüssung kamen ab dem 18. Jahrhundert zunehmend aus der Mode – sie galten dem aufstrebenden Bürgertum als geradezu lächerlich, wie sich in mehreren Karikaturen zeigt. Man bevorzugte Formen der Begrüssung, bei denen man sich auf Augenhöhe begegnete.

Wie lächerlich das alles aussieht: Die Verbeugung der Adligen kam nach der Französischen Revolution zunehmend unter Beschuss – hier eine Karikatur von 1802.
Wie lächerlich das alles aussieht: Die Verbeugung der Adligen kam nach der Französischen Revolution zunehmend unter Beschuss – hier eine Karikatur von 1802.
Bild James Gillray

Doch machen wir uns nichts vor: Wer einen feuchten oder schwachen Händedruck hat, weiss, welchen gemeinen Deutungen man ausgesetzt sein kann bei dieser Art der Begrüssung. Und auch der Handschlag sei keineswegs frei von Hierarchien, meint Angelika Linke: «Es stellen sich auch hier komplizierte Fragen: Ab welchem Bekanntheitsgrad und in welchen Situationen gibt man sich überhaupt die Hand? Wer streckt die Hand zuerst aus?»

Letztlich sind Begrüssungsvarianten zu bevorzugen, die symmetrisch ablaufen. Solche Varianten sind Europas Geschichte nicht allzu viele zu finden. Doch verzweifeln wir nicht, jenseits der geschlossenen Grenzen gibt es Ersatz. CNN hat hier schon etliche Vorschläge gemacht. Vielleicht begrüssen wir uns schon bald alle mit der Namaste-Geste.

Chronologie der Coronakrise
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