Schauspieler Roeland Wiesnekker «In jungen Jahren fühlte ich mich in der Schweiz als Aussenseiter»

Von Bruno Bötschi

28.4.2024

«Kommissar Martin Brühl ist ein Eigenbrötler. Er ist ein intuitiver Mensch mit guten Menschenkenntnissen»: Roeland Wiesnekker über seine Rolle in der ZDF-Krimiserie «Der Kommissar und ...».
«Kommissar Martin Brühl ist ein Eigenbrötler. Er ist ein intuitiver Mensch mit guten Menschenkenntnissen»: Roeland Wiesnekker über seine Rolle in der ZDF-Krimiserie «Der Kommissar und ...».
Bild: ZDF/Stephan Rabold

Roeland Wiesnekker spielt in der aussergewöhnlichen ZDF-Krimiserie «Der Kommissar …» die Hauptrolle. Ein Gespräch über Angst – und warum sich der Schauspieler als junger Mensch in der Schweiz als Aussenseiter fühlte.

Von Bruno Bötschi

28.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Roeland Wiesnekker, Schauspieler aus Zürich mit holländischen Wurzeln, ist regelmässig Gast in deutschen Film- und Fernsehproduktionen.
  • Filmemacher und Publikum schätzen die gleichermassen sensible wie exzentrische Art des gross gewachsenen Darstellers.
  • In der ZDF-Krimiserie «Der Kommissar und ...» verkörpert der 56-Jährige am Montag, 29. April, 20.15 Uhr, zum vierten Mal den Berliner Kommissar Martin Brühl.
  • «In jungen Jahren gingen mir manche Rollen sehr nahe. In der Folge wurde mir klar, dass ich besser lernen muss, was zu meinem Job als Schauspieler gehört und was nicht», sagt Wiesnekker im Gespräch mit blue News.

Roeland Wiesnekker, wovor fürchten Sie sich mehr, vor Menschen oder vor Tieren?

Das kommt darauf an, was für ein Mensch oder was für ein Tier vor mir steht (lacht).

Vor welchen Tieren haben Sie Angst?

Vor allen Wildtieren.

Was ist Ihre allergrösste Angst?

Krieg.

Vor 20 Jahren lautete Ihre Antwort auf dieselbe Frage: «Die Depression.»

Das stimmt.

Was hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten in Ihrem Leben verändert, dass Sie sich heute nicht mehr vor der Depression fürchten?

Ich litt damals nicht unter einer Depression. Aber ich hatte viel Respekt vor dieser Krankheit – und habe es heute auch noch. Umso glücklicher schätze ich mich, dass ich ein einigermassen ausgeglichener Mensch bin.

Am Montag, 29. April, 20.15 Uhr, zeigt das ZDF eine neue Folge aus der Krimiserie «Der Kommissar …», in der Sie die Hauptrolle spielen. So grundsätzlich: Was ist Kommissar Martin Brühl für ein Typ Mensch?

Martin Brühl ist ein Eigenbrötler. Er ist ein intuitiver Mensch mit guten Menschenkenntnissen. Und er besitzt eine gewisse Knorrigkeit, die ich mag. Bei der Suche nach der Täterschaft geht Brühl meist nicht so vor, wie es im Polizei-Lehrbuch beschrieben wird.

Haben Sie schon einmal ein Polizei-Lehrbuch gelesen?

Nein (lacht).

In der neuen Folge «Der Kommissar und die Angst» wird die Freundin von Martin Brühl entführt. Er hat grosse Angst, dass ihr ein Leid angetan wurde. Wie schaffen Sie es, eine derartige Ausnahmesituation glaubhaft in einem Film zu spielen?

Das Spezielle am aktuellen Fall ist, dass Martin Brühl durch die Entführung seiner Freundin persönlich betroffen ist. Das macht emotional etwas mit ihm. Ich versuchte bei meiner Darstellung, diese Aufgewühltheit zu zeigen. Gleichzeitig wollte ich einen gewissen Pragmatismus vermitteln, obwohl der Kommissar oft am liebsten aus Verzweiflung einfach nur losschreien würde.

Hollywoodschauspieler Joaquin Phoenix verschmolz während der Dreharbeiten für den Film «Walk the Line» derart stark mit der Figur von Countrysänger Jonny Cash, dass er danach in der Rehabilitation landete. Haben Sie nach Drehschluss auch Mühe, eine Rolle wieder abzustreifen?

Manchmal hänge ich nach einem Drehtag der einen oder anderen Szenen nach und überlege, was ich besser hätte machen können. Oder ich denke über die Szenen nach, die wir am nächsten Tag drehen. In der Regel kann ich die Arbeit und das Privatleben aber gut trennen.

Funktioniert das schon immer so gut?

Heute viel besser als früher.

Realisierten Sie das selber oder wurden Sie von aussen darauf aufmerksam gemacht?

In jungen Jahren gingen mir manche Rollen sehr nahe. In der Folge wurde mir klar, dass ich besser lernen muss, was zu meinem Job als Schauspieler gehört und was nicht. Und wie ich mein Privatleben und meine Gesundheit besser schützen kann. Heute darf ich sagen, dass mir diese Aufteilung ziemlich gut gelingt. Und das obwohl ich mich während Dreharbeiten oft wie in einem Tunnel fühle und gern allein bin, damit ich mich auf die Rolle konzentrieren kann. Trotz allem kann ich heute auch an solchen Tagen normal mit Menschen reden, wenn ich sie auf der Strasse treffe.

Die ZDF-Krimireihe «Der Kommissar …» erhält regelmässig gute Kritiken. Was macht für Sie die Qualität dieser Filme aus?

Es ist das Gesamtpaket. Die Drehbücher sind immer speziell. Es gibt oft nicht absehbare Wendungen. Es spielen wunderbare Kolleginnen und Kollegen mit. Die Episoden sind schön gefilmt und geschnitten. Zudem mag ich die Themen, die behandelt werden, und auch die Filmmusik ist meist speziell.

«Wenn du einmal eine solche Rolle überzeugend gespielt hast, wirst du danach immer wieder für ähnliche Charakteren angefragt»: Roeland Wiesnekker als Kommissar Martin Brühl zusammen mit Sara Fazilat (als Frauke Buhr) und Marc Pen Buch (als Eli Wiesner).
«Wenn du einmal eine solche Rolle überzeugend gespielt hast, wirst du danach immer wieder für ähnliche Charakteren angefragt»: Roeland Wiesnekker als Kommissar Martin Brühl zusammen mit Sara Fazilat (als Frauke Buhr) und Marc Pen Buch (als Eli Wiesner).
Bild: ZDF/Stephan Rabold

In einem Interview vor vier Jahren sagten Sie: «Es gibt zu viele einfach gestrickte Krimis.»

In einfach gestrickten TV-Krimis wird jemand ermordet, danach gibt es diverse Verdächtige, bevor die Täterschaft durch die Polizei ermittelt wird. Ich habe grundsätzlich nichts gegen diese Art von 0815-Krimis. Auch ich schaue mir solche Filme hin und wieder gern an.

Welche zum Beispiel?

Ach, einfach irgendeine dieser 5000 Kriminalserien, die es auf der Welt gibt (lacht).

In den letzten 20 Jahren spielten Sie immer wieder Ermittler mit Problemen. Sind Ihnen als Schauspieler verlorene Seelen näher als strahlende Helden?

Wenn du einmal eine solche Rolle überzeugend gespielt hast, wirst du danach immer wieder für ähnliche Charakteren angefragt. Es ist sozusagen das Gesetz des Marktes. Ich habe in den letzten Jahren aber auch immer wieder solche Angebote bewusst abgelehnt.

Warum?

Weil ich dieser Rollen überdrüssig wurde – mit wenigen Ausnahmen.

Welchen?

Wenn das Drehbuch gut war oder die Rolle sehr speziell. Aber Fakt ist auch: Gebrochene Charaktere sind oft herausfordernder und spannender zu spielen.

Welchen strahlenden Helden würden Sie gern einmal mimen?

Da muss ich kurz überlegen … Romeo (lacht).

Sie wurden einst als Langstrassen-Cop im ­Kinofilm «Strähl» und als Steve Meier in der SRF-Serie «Lüthi und Blanc» bekannt. Was bedeuten Ihnen diese Rollen heute?

«Strähl» war wichtig für meine Karriere als Schauspieler, weil der Film auch international gezeigt wurde. «Strähl» sorgte dafür, dass ich in Deutschland bekannt wurde. Kurz danach bekam ich in der TV-Serie «Blackout – die Erinnerung ist tödlich» eine Hauptrolle angeboten. Ohne «Strähl» wäre das kaum passiert.

Und «Lüthi und Blanc»?

Mit dieser Serie vom Schweizer Fernsehen SRF wurde ich landesweit bekannt – aber noch viel wichtiger für mich persönlich war, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben als Schauspieler ein regelmässiges Einkommen hatte. Das war schon sehr angenehm.

Sie haben holländische Wurzeln, sind in der Schweiz aufgewachsen und lebten mehrere Jahre in Berlin. Was bedeutet für Sie Heimat?

Zürich ist meine Heimat, weil hier meine Familie und viele meiner Freundinnen und Freunde leben. Ansonsten habe ich ein eher kompliziertes Verhältnis mit dem Begriff «Heimat».

Wieso das?

In jungen Jahren fühlte ich mich in der Schweiz oft als Aussenseiter, weil ich nicht die Schule besuchte, wo die Mehrheit hinging. Ich besuchte die Rudolf-Steiner-Schule. In Holland, wo ich übrigens schon lange nicht mehr war, würde es mir möglicherweise ähnlich gehen. Ich spreche zwar gut Holländisch. Man merkt aber trotzdem, dass ich nicht in Holland aufgewachsen bin.

Nachdem Sie einige Jahre in Berlin gelebt hatten, kehrten Sie 1997 wieder zurück nach Zürich. Warum?

Der Hauptgrund war, dass ich in Berlin nicht genügend Jobs gefunden habe. Es war zwar eine Aufbruchstimmung in der Stadt spürbar und ich hatte einige Engagements am Theater, aber so richtig bekam ich nirgendwo einen Fuss rein. Statt jeden Abend in der gleichen Bar rumzuhängen, entschied ich deshalb, es sei besser, produktiver und auch gesünder, wenn ich zurück nach Zürich gehen würde.

Heute sind Sie regelmässig in deutschen Produktionen zu sehen: Hat sich der Markt verändert oder sind Sie so gut geworden?

Beides (lacht). Ich konnte in den vergangenen Jahren in Deutschland ein Bäumli pflanzen, das Wurzeln schlagen konnte und jetzt langsam wächst.

Was macht Ihnen in der Schweiz am meisten Angst?

Mühe habe ich mit dem Gefälle zwischen Land und Stadt. Das ist auch deshalb schade, weil viele Stadtmenschen gern aufs Land fahren. Ich fände es zudem cool, wenn die Menschen in der Schweiz ein besseres Bewusstsein dafür hätten, was sonst noch auf der Welt alles läuft.

Wie meinen Sie das?

Deutsche Journalisten fragen mich regelmässig, wie es denn so in der schönen Schweiz laufe? Ja, es stimmt, viele Sachen funktionieren bei uns besser als in Deutschland. Das ist aber noch lange kein Grund, von oben herab auf andere Länder und Menschen zu schauen.

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