Kolumne am Mittag Max Daetwyler – der erste Schweizer Kriegsverweigerer 

Von Bruno Bötschi

7.9.2020

Mit seiner weissen Fahne führt Max Daetwyler einen Anti-Atom-Protestmarsch von Lausanne nach Genf an, aufgenommen an Ostern im April 1963.
Mit seiner weissen Fahne führt Max Daetwyler einen Anti-Atom-Protestmarsch von Lausanne nach Genf an, aufgenommen an Ostern im April 1963.
Bild: Keystone

Seine Mission begann mit einer militärischen Verweigerung. Der Thurgauer Max Daetwyler, der heute seinen 134. Geburtstag feiern könnte, kämpfte als Friedensapostel gegen den Krieg – von Zürich bis Berlin, von Moskau bis Washington.

5. August 1914 auf dem Kasernenhof in Frauenfeld: Füsilier Max Daetwyler verweigert anlässlich der Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg den Fahneneid. «Ich bin gegen den Krieg, ich schwöre nicht!», ruft der Mann, der bereits sechs WKs absolviert hat.

Daetwyler wird verhaftet und zwei Tage später in die Psychiatrische Klinik Münsterlingen eingewiesen. Dort erklärt man ihn zum «unzurechnungsfähigen Psychopathen» (so der Eintrag im Einweisungsjournal der Klinik). Aus der Armee wird er ausgeschlossen.

Bis zur Verweigerung lebt Daetwyler ein unbescholtenes Leben. Der Spross einer kinderreichen Hoteliersfamilie aus dem thurgauischen Arbon ist ein braver und fleissiger Schweizer Bürger. Er lernt Textilkaufmann, arbeitet danach im Gastgewerbe. Er kellnert in Rom, Paris und London. Als er 1914 zum Aktivdienst aufgeboten wird, ist er Geschäftsführer eines Restaurants in Bern.

«Ich war geächtet»

«Ich war geächtet und sollte es mein Leben lang bleiben», hält Daetwyler später in seinen Tagebuchblättern fest. Als geisteskrank abgeschrieben zu werden, sei «gleichbedeutend mit einem Todesurteil über das geistige, moralische Leben des Betreffenden», merkt er an.

Daetwyler lässt sich jedoch nicht unterkriegen, vielmehr entwickelt er in den Jahren danach eine schier rastlose pazifistische Tätigkeit. Fast schon genial ist dabei sein Sinn für publikumswirksames Marketing.

1917 ruft er in Zürich zur Schliessung zweier Munitionsfabriken auf. Nach zwei Monaten Untersuchungshaft kommt er in die Anstalt Burghölzli. Der Gutachter befindet: «geistig nicht normal». Nach der Entlassung macht Daetwyler unbeirrt weiter und fordert 1920 als Vorreiter der GSOA eine Initiative «zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht».

1940 schreibt er an Adolf Hitler und bietet ihm seine Hilfe an, um den Zweiten Weltkrieg zu beenden («Ich werde mir gerne die Mühe nehmen, Sie aufzusuchen»). 1943 protestiert er gegen die Hinrichtung zweier mutmasslicher Spione durch das Schweizer Militär.

Der kompromisslose Pazifist Daetwyler kassiert unzählige Haft- und Geldstrafen für seine Aktionen. Etwa, als er 1964 auf dem Roten Platz in Moskau eine weisse Fahne entrollt und so seine Verhaftung provoziert.
Der kompromisslose Pazifist Daetwyler kassiert unzählige Haft- und Geldstrafen für seine Aktionen. Etwa, als er 1964 auf dem Roten Platz in Moskau eine weisse Fahne entrollt und so seine Verhaftung provoziert.
Bild: Keystone

Nach dem Krieg reist er nach Ostberlin und versucht, Walter Ulbricht die Berliner Mauer abzukaufen (1'000 Franken als Anzahlung hat er dabei). Daetwyler wirbt in Havanna für ein «neutrales Kuba wie die Schweiz». Er marschiert mit einer weissen Fahne (seinem Markenzeichen) von New York nach Washington D.C. und verkündet: «One God, One Sun, One Earth, One Fatherland of Men!»

«Wohl bekanntestes helvetisches Original»

Frieden stiften – das ist die Triebfeder Daetwylers. Bis in seine alten Tage. Der kompromisslose Pazifist kassiert unzählige Haft- und Geldstrafen für seine Aktionen. Etwa, als er 1964 auf dem Roten Platz in Moskau eine weisse Fahne entrollt und so seine Verhaftung provoziert.

Die Aktivitäten erregen zwar Aufsehen, oft wird er aber auch belächelt. Doch nichts scheint seinen Willen, für die Ächtung des Krieges zu wirken, beugen zu können. Stattdessen baut Daetwyler seinen Aktionsradius immer weiter aus – auf der Suche nach dem direkten Kontakt mit den Mächtigen der Welt.

Audienzen gewähren die Politgrössen dem Thurgauer Friedensaktivisten indes nur selten. 1932 trifft Daetwyler Mahatma Gandhi in Genf. Dass er mit seinen «Predigten» längst nicht so viel Gehör findet, wie erhofft, beschäftigt ihn offenbar dermassen, dass er Gandhi beim Treffen fragt, warum dieser so viele Anhänger habe und er selbst nur so wenige.

Daetwyler bleibt zeitlebens ein Querkopf, der scheinbar unbeirrt seinen Weg geht. Als er am 26. Januar 1976 in Zumikon stirbt, schreibt die Schweizerische Depeschenagentur in der Nachricht zu seinem Tod vom «wohl bekanntesten helvetischen Original». 2004 errichtet Zumikon eine lebensgrosse Statue des Mannes (mit weisser Fahne) zum Gedenken an den Helden des Friedens.

Bibliografie: Max Daetwyler – Der Friedensapostel, Stephan Bosch, 384 Seiten, ISBN 978-3-907625-33-0, ca. 42 Fr.


Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

Zurück zur Startseite