Kolumne Neid ist wie ein Gift

Von Michelle de Oliveira

23.9.2019

Ist das Gras beim Nachbarn nicht immer ein bisschen grüner beziehungsweise das Leben der anderen ein bisschen schillernder?
Ist das Gras beim Nachbarn nicht immer ein bisschen grüner beziehungsweise das Leben der anderen ein bisschen schillernder?
Bild: Getty Images

Neid kann Beziehungen zerstören und Menschen handlungsunfähig machen. Die Autorin dieser Kolumne hat einen einfachen Tipp dagegen.

Noah will unbedingt dann mit dem Traktor spielen, wenn Emma ihn in der Hand hat. Und Leon will nur dann mit dem Lego-Zug fahren, wenn Sofia damit zugange ist. Sofia aber spielt eigentlich nur mit dem Zug, weil Leon Interesse daran zeigt.

Bei Kindern beobachten wir dieses Verhalten regelmässig. Man lächelt darüber und sagt vielleicht: «Typisch Kind!»

Doch: Ist es wirklich typisch Kind, oder vielleicht viel mehr typisch Mensch? Sind wir nicht alle ein bisschen Hans und Hänsinnen im Schneckenloch?

Ist das Gras beim Nachbarn nicht immer ein bisschen grüner beziehungsweise das Leben der anderen ein bisschen schillernder? Sind wir insgeheim nicht auch mal neidisch auf die Kollegin, die beruflich zwei Karrierestufen auf einmal nimmt? Oder auf das Loft am See des Arbeitskollegen? Den Designer-Sessel des besten Freundes? Das coole Auto der besten Freundin? Oder den unkonventionellen Lebensstil, die Freiheit und die zahlreichen Reisen der befreundeten Familie? Die hübsche neue Freundin des Nachbarn?

Was ich habe, das will ich nicht ...

Dabei vergessen wir oft, was wir selbst alles haben. All die Dinge, von denen wir früher geträumt hatten und die jetzt Realität sind. Doch hat man sich die Wünsche erst erfüllt, halten sie oft nicht, was wir uns davon versprochen haben. Ganz getreu dem Motto: «Was ich hab, das will ich nicht, und was ich will, das hab ich nicht.»



Dabei schwören viele auf Dankbarkeit. Wie viel glücklicher es uns mache, würden wir jeden Abend an drei Dinge denken, für die wir dankbar sind.

Eine schöne Idee, finde ich. Und dabei müssen es nicht immer die ganz grossen Dinge sein. Man kann auch dankbar dafür sein, am Morgen aufzuwachen, die Augen aufschlagen und sehen zu können. Oder für den heissen Kaffi. Oder den Zug, der vielleicht nicht auf die Minute pünktlich, aber doch sehr zuverlässig verkehrt.

Und sollte die Dankbarkeit mal nicht ausreichen, hilft vielleicht, was man den Kindern rät: «Emma, lass Noah auch mal mit dem Traktor spielen. Wir teilen unsere Sachen.»

Also warum nicht mal das schicke Auto des Bekannten ausleihen? Oder das Loft für ein paar Tage hüten, während die Hausherren in den Ferien sind? Natürlich, mit dem unkonventionellen Lebensstil und der hübschen Freundin stösst die Teilete an ihre Grenzen.



Also, wenn man sich vorstellte, mit jemandem zu tauschen, käme man zum Schluss, dass das eigene Leben dann doch ganz cool ist im Vergleich?

Aber mal ehrlich: Gibt es wirklich jemanden, mit dem Sie das Leben tauschen würden, mit allem Drum und Dran? Führt nicht vielmehr allein diese Vorstellung dazu, dass ihr eigenes Leben plötzlich viel interessanter erscheint?

Zur Autorin: Michelle de Oliveira ist Journalistin, Social Media Redaktorin, Mutter, Yogalehrerin und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich. www.yogamichelle.ch

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine Mail an: redaktion2@swisscom.com

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