Kolumne am Mittag Patent Ochsner ziehen MTV den Stecker

Von Tobias Bühlmann

15.6.2021

Büne Hueber auf der Bühne des Gurten-Festivals. Im Herbst wird er mit Patent Ochsner in Bern ein MTV-Unplugged-Konzert aufzeichnen.
Büne Hueber auf der Bühne des Gurten-Festivals. Im Herbst wird er mit Patent Ochsner in Bern ein MTV-Unplugged-Konzert aufzeichnen.
Bild: Keystone/Peter Klaunzer

Im Herbst wird es die erste MTV-Unplugged-Show in der Schweiz geben. Auf der Bühne stehen Patent Ochsner – zur Freude aller bierseligen Berner, zum Graus des Autors.

Von Tobias Bühlmann

15.6.2021

«It’s better to burn out than to fade away.» – zu Deutsch: «Es ist besser, auszubrennen als zu verblassen.» Die berühmten letzten Worte von Kurt Cobain, Sänger und Frontmann von Nirvana. Von der Band, die das beste aller MTV-Unplugged-Konzerte gespielt hat.

Warum nur haben sich die MTV-Unplugged-Macher diese Worte nicht zu Herzen genommen?

Denn mit Nirvana hätten sie auf dem Höhepunkt aufhören können. Die Reihe mit einem Feuerwerk beenden. Stattdessen machen sie weiter und weiter. Dabei kamen einige respektablen Shows heraus und viele mehr, die heute zurecht längst vergessen sind.

Und MTV Unplugged geht immer noch weiter: Im Oktober wird in Bern erstmals ein Konzert der Reihe in der Schweiz aufgenommen. Mit Patent Ochsner. Ausgerechnet. Anstatt dem existenziellen Schmerz der Grunge-Götter wird es an dem Abend im Casinosaal bierselige Bern-Tümelei geben.

Ekstase – das Gefühlt, das Patent Ochsner bei Bernern auslöst. Nur nicht beim Autoren.
Ekstase – das Gefühlt, das Patent Ochsner bei Bernern auslöst. Nur nicht beim Autoren.
Bild: Keystone/Peter Klaunzer

Patent Ochsner schlugen vor 30 Jahren mit ihrer «Schlachtplatte» kurz vor dem Höhepunkt der Berner Mundart-Welle mitten in den Schweizer Pop ein. Mit «Scharlachrot» und «Bälpmoos» enthielt das Album zwei Stücke, die seither ins kollektive Deutschschweizer Gedächtnis übergegangen sind. In derselben Liga spielen vielleicht noch Polos «Alperose» und Züri Wests «I schänke dir mis Härz» – und im Gegensatz zu letzterem war «Scharlachrot» tatsächlich ein romantisch verklärter Song, und keine Schmachtnummer eines zahlungsunfähigen Freiers.

Bedeutungsschwanger und zur Pose erstarrt

Item, ich komme vom Thema ab: Der Bandname Patent Ochsner ist eine Anspielung auf die gleichnamigen Mistkübel – das war zuerst augenzwinkernde Ironie, das spätere Werk der Band näherte sich dem Kübel-Inhalt dann leider zunehmend an. Die Musik glich immer stärker sich selbst, die Texte wurden Marihuana-schwer bedeutungsschwanger, und die Saxophon-Klänge im Dreiviertel-Takt erstarrten zu einer grotesken Pose.

Dass die Ochsner-Songs von den Berner*innen gern zu Hymnen der Heimat verklärt werden, lässt meine Abneigung nur wachsen. Denn nichts ist mir, selbst aus Bern stammend, verdächtiger als der selbstgefällige Chauvinismus der Dagebliebenen. Daraus mache ich kein Geheimnis. Aber ich schweife schon wieder ab.

Wie Büne & Band auf Barhockern auf der Bühne hängen und akustische Versionen ihrer Hits aufführen, diese Vorstellung graust mich. Also nicht unbedingt die Vorstellung der Musik an sich, denn die ist ja auch auf den Alben schon ziemlich unplugged. Aber dass das unter dem doch irgendwie ehrwürdigen Label MTV Unplugged geschieht, müsste jetzt wirklich nicht sein.

Scharlachroooooot!

Und dann die Vorstellung, dass der ganze Saal bei der Zugabe mit Kirchenfenster-Augen weit offen (und feucht) das unvermeidliche «Scharlachrot» mitjault. Zu oft habe ich das auf dem Gurten bei einem der unzähligen Festival-Konzerte von Patent Ochsner erlebt. Das wird dann in etwa so aussehen wie hier bei der letzten Festivalausgabe.

Aber nun bin ich selber hängengeblieben bei der 11-minütigen Version des grössten aller Ochsner-Hits. Und habe auf einmal Tränen in den Augen. Auch wenn ich mir wünschte, dass das an den Gräserpollen in der Luft liegt, muss ich mir eingestehen: Zur Pose geworden ist meine Abneigung gegen Patent Ochsner.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.