Südkoreaner*innen in Schweizer Tracht «Ich konnte nicht anders, als auch zu jodeln»

Von Caroline Fink, Ulsan, Südkorea

21.4.2022

Wer glaubt, dass nur in der Schweiz gejodelt, Alphorn geblasen und Fünfliber geschwungen wird, dem sei verraten: Das stimmt so nicht. Auch in Südkorea frönen viele Menschen diesen Leidenschaften.

Von Caroline Fink, Ulsan, Südkorea

21.4.2022

Vergangene Woche fand in der südkoreanischen Stadt Ulsan ein Bergfilmfestival statt – mit in der Jury: blue-News-Kolumnistin Caroline Fink, selbst Filmerin und Fotografin.

Fink erwartete vieles, doch nicht dies: eine südkoreanische Alphorn-Formation. Doch an einem Morgen staunte sie nicht schlecht, als im Garten ihres Hotels eine Ländlerformation aufspielte – bestehend aus elf Südkoreaner*innen in Schweizer Tracht.

Fink liess das Frühstück stehen, um der Sache nachzugehen. Fotografierte die Szenerie und organisierte eine Übersetzerin, um den Dirigenten Bang Yun Sik, und beiden Alphornbläserinnen Kim Suk Bam und Kim Insoog zum Gespräch zu bitten.

Bang Yun Sik, Sie leiten die Alphorn-Kapelle, die gerade im Hotelgarten probt. Erklären Sie mir, was ich hier gerade erlebe?

Sie erleben die zehn besten Alphornspieler Koreas. Wir werden anlässlich des hiesigen «Ulju Mountain Film Festivals» – ein Bergfilmfestival – auftreten und Workshops für interessierte Besucher*innen anbieten.

Wenn dies die zehn besten sind, folgere ich: Es muss noch mehr Alphornbläser in Südkorea geben.

In der Tat. Wir sind rund 50 Südkoreaner*innen, die Alphorn spielen.

Wo haben Sie und die anderen das gelernt?

Die meisten von uns hier in Südkorea. Ich selbst war zudem mehrmals in der Schweiz, um mich ausbilden zu lassen.

Und wie kamen Sie auf dieses Instrument?

Nun, zum ersten Mal sah ich ein Alphorn in einer Werbung für einen Schokoladenkuchen im südkoreanischen Fernsehen. Ich war damals noch ein Bub und tief beeindruckt von diesem Instrument. Und auch der Alphornbläser imponierte mir: Es war der Südkoreaner Kim Hong Chul. Der Vater des Jodels in unserem Land.

Begannen Sie bereits als Junge mit dem Unterricht?

Nein, nein. Erst Jahre später. An der Universität erhielt ich die Chance, in einem Club Jodeln zu lernen.

Sie jodeln demnach auch?

Ja. Die meisten von uns begannen mit dem Jodeln und fanden so den Weg zum Alphorn und weiteren Instrumenten.

Alphorn-Workshop in Südkorea

Alphorn-Workshop in Südkorea

Am Rand ihrer Auftritte organisieren die koreanischen Alphornspieler*innen auch Workshops, bei denen Neugierige Schweizer Trachten anprobieren und sich im Alphornblasen versuchen können.

14.04.2022

Sie spielen noch weitere Instrumente?

Ich spiele nebst dem Alphorn auch Schwyzerörgeli und Kontrabass, musiziere mit Glocken und kann Talerschwingen.

Echt jetzt, Sie können Fünfliber schwingen?

Genau! Ich hatte das Glück, nach der Uni als professioneller Musiker in der Formation von Kim Hong Chul – der Mann aus der Werbung – aufgenommen zu werden. Mit seiner «Korean Modi Kapelle» tourte ich als Kontrabassist durch die Schweiz und hatte grosse Auftritte wie etwa bei «Viva Volksmusik» im Schweizer Fernsehen. Anschliessend liess ich mich bei mehreren Aufenthalten in der Schweiz weiterbilden – auch im Taler schwingen.

Und Sie, Kim Suk Bam, wie kamen Sie zum Alphorn?

Mich faszinierte dieser lange, tiefe Klang vom ersten Moment an. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, wusste ich sofort: Dieses Instrument wollte ich spielen.

Und Sie, Kim Insoog?

Ich habe insgesamt ein Faible für die Schweizer Kultur. Die Musik, die Berglandschaften und Blumen – Enzian, Edelweiss, Alpenrosen – finde ich wunderbar. Deshalb lernte ich jodeln und entdeckte so das Alphorn.

Ist es schwierig, in Südkorea jodeln zu lernen?

Nein, es gibt Jodelclubs in ganz Südkorea. Manche davon existieren seit über 40 Jahren.

Ihr Leiter, Bang Yun Sik, ist Profimusiker. Sie auch?

Nein, alle ausser unserem Leiter sind Amateure. Wir kommen beruflich aus ganz unterschiedlichen Gebieten. Ich zum Beispiel führe eine Produktionsfirma für Animationsfilme. Meine Kollegin hier, Kim Insoog, leitet eine Kindertagesstätte. Andere in der Gruppe sind Schulrektoren und eine Dame ist die Präsidentin des Südkoreanischen Frauen-Alpenclubs.

Eine sehr diverse Gruppe.

Ja, und wir kommen aus dem ganzen Land.

Bang Yun Sik, wie oft üben Sie mit Ihren Leuten? Südkorea ist doch immerhin doppelt so gross wie die Schweiz.

Alle üben in ihren Regionalgruppen. Vor grossen Auftritten sende ich den Mitgliedern der Kapelle die Stücke, die ich mit ihnen spielen möchte. Sie studieren diese ein und wir treffen wir uns dreimal, bevor wir gemeinsam auftreten.

Bei diesen Auftritten tragen Sie, wie heute, Schweizer Trachten.

Ja, die haben unsere Mitglieder selbst genäht.

Die sind nicht aus der Schweiz?

Nur einzelne Elemente sind aus der Schweiz, der Rest ist handgenäht in Südkorea.

Und ihr Hemd?

Das ist aus der Schweiz. Genauer: Aus dem Kanton Uri – sehen Sie den aufgestickten Uri-Stier?

Tatsächlich! – Waren alle Mitglieder Ihrer Kapelle bereits einmal in der Schweiz?

Nicht alle, aber die meisten.

Verraten Sie mir: Was verbindet unsere zwei Länder aus Ihrer Sicht?

Ganz klar: Die Liebe zur Musik und zu den Bergen. Wir Südkoreaner*innen gehen gerne wandern und singen oft und gerne. Deshalb mögen wir das Jodeln. Als ich zum ersten Mal einen Jodel hörte, fühlte es sich an, als wäre dies meine Berufung. Ich konnte nicht anders, als auch zu jodeln!

Und welche Unterschiede erleben Sie zwischen unseren beiden Ländern?

Südkoreaner*innen erledigen alles super schnell und effizient. Man spricht sogar von unserer «Palli-Palli-Kultur». Palli heisst schnell. Schweizer hingegen nehmen sich Zeit, um etwas zu erledigen. Alles dauert länger und wird sehr gründlich ausgeführt. Schweizer sind denn auch viel geduldiger. Etwas, das wir von ihnen lernen können.

Und was können wir von Südkorea lernen?

Das Gegenteil: Dinge rascher zu erledigen.

Da kann ich Ihnen nur recht geben. Bei meiner Kooperation mit dem Festival war ich immer diejenige, die mit ihren Arbeiten auf sich warten liess, während die Südkoreaner*innen offenbar alles über Nacht erledigt hatten.

Ja, in Südkorea liefern wir Qualität und Präzision, auch wenn wir schnell arbeiten. So wurden wir zu einer treibenden Kraft im Bereich der Informatik und Informationstechnologie.

Zum Schluss nochmals zurück zur Musik: Wenn Südkoreaner*innen Alphorn spielen, welches südkoreanische Instrument sollten wir Schweizer erlernen?

Ich denke, südkoreanische Perkussionsinstrumente wären ein guter Anfang. Es gibt diverse Trommeln, die in unserer traditionellen Musik eine wichtige Rolle spielen. Und: Sie sind ziemlich einfach zu erlernen!

 Glockenspiel einer südkoreanische Alphorn-Kapelle

Glockenspiel einer südkoreanische Alphorn-Kapelle

Die südkoreanische Alphorn-Kapelle spielt auch andere «traditionelle» Schweizer Instrumente, wie die «Kuhglocken». In der Schweiz kaum bekannt, haben sie dieses Glockenspiel perfektioniert.

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