Bötschi fragt Ursus Wehrli: «Streiten ist dann nützlich, wenn man sich dabei gut zuhört»

Von Bruno Bötschi

27.4.2023

Ursus Wehrli: «Ich mache kein Video»

Ursus Wehrli: «Ich mache kein Video»

Komiker und Autor Ursus Wehrli findet Videos im Netz überbewertet. Er will deshalb keines aufnehmen. Die blue News Lesenden sollen dafür «lieber eine Kuchen backen, den Nachbarn überraschen oder die Welt verändern».

24.04.2023

Er ist einer der bekanntesten Komiker der Schweiz und Teil von Ursus & Nadeschkin. Werber haben keinen Humor, sagt Ursus Wehrli – lieber spricht er über sein Faible für unnütze Dinge und die Streitkultur mit seiner Bühnenpartnerin.

Von Bruno Bötschi

27.4.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ursus Wehrli ist einer der bekanntesten Komiker der Schweiz. Er steht seit 36 Jahren mit seiner Bühnenpartnerin Nadja Sieger alias Nadeschkin auf der Bühne.
  • Jetzt hat der 53-Jährige das Buch «Unnütze Dinge» veröffentlicht, ein Katalog von Sachen, die niemand braucht, und trotzdem keiner will.
  • Ein Gespräch über seine Tätigkeit als Autor, die Streitkultur mit seiner Bühnenpartnerin und das Faible der Menschen für unnütze Dinge.

Ursus Wehrli, ich stelle dir in den nächsten 45 Minuten möglichst viele Fragen. Und du antwortest bitte möglichst kurz und schnell. Wenn dir eine Frage nicht passt, sagst du einfach «weiter».

Mhm.

Stehen oder sitzen?

Ach, jetzt kommen die Entweder-oder-Fragen. Ich bin kein Freund von Entweder-oder-Fragen, weil ich mich immer zwischen rechts und links oder schwarz und weiss entscheiden muss.

Villa oder Vermicelles?

Das ist einfach: Vermicelles.

Komiker oder Autor?

Autor.

Ist dies die Ankündigung deines Rücktritts als Komiker?

Ich mag die Berufsbezeichnung «Komiker» nicht so sehr. Besuche ich Shows von anderen Komikern, denke ich oft: «Aha, ich bin also auch einer von denen.» Dabei habe ich das Gefühl, einer anderen Familie anzugehören.

Zu welcher Familie gehörst du denn?

Ich bin zwischen den Schubladen daheim.

Denkst du morgens nach dem Aufwachen manchmal: Keine Lust, das Leben ist unnütz, heute bleibe ich im Bett?

Hin und wieder passiert das. Nach wenigen Minuten kommen mir jedoch mindestens zehn Dinge in den Sinn, wegen denen es sich lohnt aufzustehen.

Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: blue News

blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.

Wie nützlich sind Interviews?

Recht unnützlich.

Schauspieler Moritz Bleibtreu findet Interviews mit Künstler*innen überflüssig. Er sagt: «Es gibt Menschen, die ich über Jahrzehnte für ihre Arbeit bewundert habe, doch dann haben sie in einem Interview irgendwas erzählt, und ich habe auf einen Schlag meinen Respekt verloren.»

Das geht mir leider auch so. Deshalb überlege ich mir bei jeder Anfrage genau, ob ich ein Gespräch führen will oder nicht. Aber natürlich bin auch ich eitel und gebe deshalb immer wieder Interviews.

Vor welcher Künstlerin oder welchem Künstler hast du zuletzt den Respekt verloren?

Während der Corona-Pandemie veröffentlichten viele Künstler in den sozialen Medien Videos. Einmal sah ich von Stephan Eicher, den ich hoch achte, ein Gitarrenkonzert, das in seiner Küche aufgenommen wurde. Damals ging für mich etwas vom Zauber seiner Musik verloren.

Wenn ich dich am Ende dieses Interviews bitten würde, eine deiner Antworten mit dem Handy filmen zu dürfen, wäre deine Antwort …

… lieber nicht.

«Dinge werden produziert, einfach, weil man sie produzieren kann. Es findet sich meistens jemand, der sich dann sagt: Das hab ich noch nicht, das kauf ich»: Ursus Wehrli.
«Dinge werden produziert, einfach, weil man sie produzieren kann. Es findet sich meistens jemand, der sich dann sagt: Das hab ich noch nicht, das kauf ich»: Ursus Wehrli.
Bild: Christoph Kaminsky

In deinem neuen Buch «Unnütze Dinge» schreibst du über «Sachen, die niemand braucht, und trotzdem keiner haben will». Mein persönlicher Favorit ist der Schneeball für den Sommer, dein unnützes Ding Nummer 307.

Ich habe alle unnützen Dinge durchnummeriert, also querbeet und ohne Reihenfolge. Das ist ebenfalls unnütz.

Den eingesperrten Stein, dein unnützes Ding Nummer 44, würde ich gern bei mir daheim aufstellen.

Dieser Stein ist inspiriert von den Steinkorb-Wänden, die in der Schweiz zur Abgrenzung von Gärten gebaut werden. Die heissen übrigens im Fachjargon «Gabionen». Ja, es gibt hierzulande immer mehr eingesperrte Steine. Ich würde gern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion «Free the Stones» die Gitter aufschneiden und die Steine in die Freiheit herausfallen lassen.

Cool wäre es doch, wenn du das eine oder andere deiner 60 unnützen Dinge in einer höheren Stückzahl produzieren lassen und danach teuer verkaufen könntest.

Interessierte Menschen können sich gern bei mir melden und sagen, welche unnützen Dinge sie gerne hätten. Ist das Interesse genug gross für ein Ding, geht es in Produktion (lacht).

Deine unnützen Dinge «bodenloses Glas» und «Scherenschnitt-Toilettenpapier» würden meiner Ansicht nach wunderbar ins Sortiment von Ikea passen.

Du meinst als Dekoartikel?

Genau.

Das Scherenschnitt-Toilettenpapier gibt es bereits als Prototyp. Ich brauchte es als Vorlage zum Abzeichnen. Vielleicht werde ich es dereinst für einen guten Zweck versteigern lassen.

Warum haben Menschen eine Schwäche für unnütze Dinge?

Wahrscheinlich gehört das zum Neoliberalismus: Das Haben von Sachen finden wir gut. Dinge werden produziert, einfach, weil man sie produzieren kann. Es findet sich meistens jemand, der sich dann sagt: Das hab ich noch nicht, das kauf ich.

Du zum Beispiel?

Ich bin regelmässig in Brockenhäusern unterwegs, um Dinge zu kaufen, welche Menschen in Wohnwänden aufstellen. Ich nenne sie «Hinstell-Sachen». Es ist faszinierend, was auf Sideboards und Fenstersimsen drapiert wird – vom giftgrünen Tonfrosch über die Fee mit drei Flügeln bis zur Ente, deren Füsse über das Gestell hängen. Viele Menschen haben eine Vorliebe für Dinge, die ohne Sinn und Zweck herumstehen, aber immerhin alle zwei, drei Wochen abgestaubt werden können.

In meinem Bücherregal habe ich in einem Fach alle Ausgaben der Zeitgeist-Postille «Magma», sie erschien in den 1980er-Jahren, fein säuberlich abgelegt. Ich nehme die Hefte fast nie zur Hand, hänge aber trotzdem an ihnen. Warum?

Ich denke, solche Sachen haben eine beruhigende Wirkung auf unsere Psyche – also zumindest für jene Menschen, die nicht dem Minimalismus frönen, also möglichst wenig Dinge besitzen wollen.

Hängen wir möglicherweise an unnützen und materiell wertlosen Dingen, weil wir der kapitalistischen Warenflut überdrüssig sind?

Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Es wäre auf alle Fälle spannend zu sehen, was Menschen in ärmeren Ländern in ihren Wohnzimmern aufstellen.

Meine Erfahrung sagt mir, dort stehen auch Clowns, Feen und Frösche herum.

Einen grossen Unterschied gibt es allerdings: Die Dinge, die dort auf den Tablaren stehen, haben eine Aufgabe und oft einen traditionellen oder religiösen Hintergrund.

«Ohne Kunst wäre das Leben wahnsinnig langweilig»: Ursus Wehrli.
«Ohne Kunst wäre das Leben wahnsinnig langweilig»: Ursus Wehrli.
Bild: Christoph Kaminsky

Zu viele Dinge zu besitzen, erachten manche Menschen als verwerflich: Wer sich zu sehr um das Materielle kümmere, vernachlässige seinen Geist.

Materielle Dinge lenken den Menschen ab. Trotzdem, ich mag Dinge. Ich versuche einfach, den Überblick über die Dinge zu behalten, die ich besitze. Nicht, dass ich irgendwann davon erschlagen werde.

Der 2020 verstorbene Künstler Christo sagte in einem Interview: «Ein Künstler kann nicht daran gehindert werden, unnütze Dinge zu tun.»

Kunst ist unnütz. Ich weiss, da widersprechen mir jetzt viele Künstler und sagen: «Das darfst du doch nicht laut sagen.» Spätestens seit der Corona-Pandemie wissen wir Kunstschaffenden, wir sind nicht systemrelevant. Die meisten Menschen kommen lange ohne Kunst aus. Kunst ist an sich zweckfrei. Den einzigen Zweck, den die Kunst hat, ist, Kunst zu sein. Gleichzeitig hilft Kunst vielen Menschen, das Leben besser zu verstehen und zu ertragen. Ohne Kunst wäre das Leben wahnsinnig langweilig.

Du bist Komiker und schreibst Bücher. Wurdest du Autor, damit es weniger unnütze Zeit gibt in deinem Alltag?

Es gibt Tage, an denen ich nicht weiss, was zu machen ist, die Stunden schwammig und teigig dahinwabern. Dann schreibe oder zeichne ich. Und weisst du, was schön ist? Wenn ich am Tag danach einen Text von mir lesen und ich mich mit dem Geschriebenen selber überraschen kann.

Wie nützlich sind die Witze von Ursus & Nadeschkin?

Es ginge auch prima ohne unsere Witze und Situationskomik. Gleichzeitig fand ich schön, dass nach unseren Auftritten im Circus Knie während der vergangenen zwei Jahre immer wieder Menschen zu uns kamen und erzählten, wie unsere Wortkreationen in ihren Familien zu geflügelten Worten wurden – und das teilweise über Generationen.

Eure Bühnenauftritte sind nützlich.

Im Idealfall ja – und sei es auch nur, dass wir Menschen einen Abend lang erfreuen und zusammen zwei Stunden lang eine gute Zeit haben.

Welche Erinnerungen hast du an den allerersten gemeinsamen Auftritt mit Nadja Sieger?

Interessanterweise erinnere ich mich an unsere Auftritte in den ersten zehn Jahren haargenau, die Auftritte der letzten zehn Jahre dagegen verschwimmen langsam. Unseren ersten gemeinsamen Auftritt absolvierten wir 1987 in der Fussgängerzone von Wiesbaden. In der deutschen Stadt besuchten wir einen Zirkus-Kurs. Weil wir mit den anderen Teilnehmenden nichts anfangen konnten, fuhren wir in der Stadt Einrad, spielten mit den Jonglierkeulen und machten Breakdance.

Dachtest du damals daran, dass ihr 36 Jahre später immer noch gemeinsam auf der Bühne steht?

Auf keinen Fall. Es ist bis heute einer unserer running gags. In den Anfangszeiten sagte ich jeweils: «Okay, in zwei Wochen treten wir in Zürich am See auf, danach ist fertig.» Nach einem halben Jahr war immer noch nicht fertig, bis ich nach ein paar Jahren realisierte: Wir machen weiter und immer weiter. Vielleicht kommt uns das heute zugute, weil wir nie grosse Pläne geschmiedet haben, was wir als Duo alles erreichen wollen. Nadja und ich fanden in Wiesbaden nicht zusammen, weil wir uns besonders sympathisch gefunden hätten. Wir haben uns von Anfang nicht immer richtig verstanden. Das ist bis heute so geblieben. Zwischen Nadja und mir gab es nie heile Harmonie. Vielleicht hat uns gerade das zusammengeschweisst.

Viele Menschen finden es schön, wenn das Gegenüber gleich denkt. Man hat weniger Probleme.

Was für ein Liebespaar vielleicht problematisch ist, bringt uns als kreatives Duo weiter – eben, weil wir nicht gleich denken. So entsteht mehr Neues. Reibung sorgt für Explosionen und daraus können neue Ideen entstehen. Reibung macht kreativ.

Wie wäre es, wenn du – aus welchem Grund auch immer – allein weitermachen müsstest?

Lange dachte ich, dass das nicht funktionieren wird. Seit ich Bücher veröffentliche, stehe ich auch allein auf der Bühne. Das macht Spass und ist auch weniger kompliziert aufwendig, als wenn wir als Duo unterwegs sind. Für meine Soloprogramme brauche ich nur eine Lichtquelle.

Seit 36 Jahren spielt ihr zusammen, immer mit den Rollen Ursus und Nadeschkin. Schon einmal daran gedacht, etwas anderes auszuprobieren?

Immer wieder – man könnte sogar sagen, es ist für uns beide ein Dauerthema. Hin und wieder kommt der Wunsch auf, ich könnte einem Nine-to-five-Job nachgehen. Aber das habe ich ja bereits während meiner Lehre …

… du hast Typograph gelernt …

… kennengelernt und weiss: Der geregelte Tagesablauf ist nichts für mich.

Die Resonanz auf eure Auftritte – ob auf der Bühne, im Fernsehen oder im Circus Knie – ist auch nach fast vier Jahrzehnten gross. Menschen aller Altersklassen lachen über euch. Wie erklärst du dir das?

Ehrlich gesagt: Das fragen wir uns auch oft. Unser Regisseur Tom Ryser meint, es gäbe irgendein Geheimnis zwischen uns, das niemand kennt – sogar wir nicht.

«Was für ein Liebespaar vielleicht problematisch ist, bringt uns als kreatives Duo weiter – eben, weil wir nicht gleich denken»: Ursus Wehrli über seine Bühnenpartnerin Nadja Sieger.
«Was für ein Liebespaar vielleicht problematisch ist, bringt uns als kreatives Duo weiter – eben, weil wir nicht gleich denken»: Ursus Wehrli über seine Bühnenpartnerin Nadja Sieger.
Bild: Geri Born

Als Komiker hast du die Form des unterhaltsamen Abschweifens zum Kunstprinzip erhoben. Gehst du auch im Privaten gern Umwege?

Ich hoffe es. Ich mag Routine nicht und Wiederholungen sind mir ein Graus. Manchmal lege ich mir auch selber Steine in den Weg.

Welche Vorteile haben Umwege?

Das kann jeder selbst ausprobieren. Am Morgen nicht den gewohnten Weg zur Arbeit nehmen, also einmal links statt rechts laufen. Schon gibt es völlig neue Dinge zu entdecken. Viele kluge Erfindungen sind nur deshalb entstanden, weil jemand einen Umweg machte. Ich weiss, es gibt Menschen, die partout keinen Umweg gehen wollen, weil sie nichts Neues entdecken wollen. Neues entdecken ist immer mit Anstrengungen verbunden.

Und welche Nachteile?

Keine, ausser es handelt sich um einen medizinischen Notfall und man darf keine Zeit verlieren.

Wie würdest du Nadja in einem Satz beschreiben?

Nadja ist sehr unmittelbar, sehr ehrlich, sehr im Moment und manchmal auch ausserordentlich beharrlich.

Und jetzt beschreibe bitte dich in einem Satz.

Sich selbst zu beschreiben ist schwierig. Ich bin ein offener, ehrlicher, zurückhaltender und hinterfragender Mensch. Und manchmal gerne inkonsequent.

Wie ähnlich sind sich Urs Wehrli und Ursus?

Ursus ist naiver und direkter als Urs Wehrli. Ursus lebt mehr im Moment und hat keinen Plan. Meine Bühnenfigur ist begeisterungsfähiger und euphorischer.

Ursus & Nadeschkin ist euer Künstlername: Wer hat ihn erfunden?

Da gibt es keine interessante Geschichte dazu (lacht). Wir waren damals 17 und 18 Jahre alt und hatten, wie erwähnt, nicht vor, länger als drei Wochen als Duo zusammen aufzutreten.

Während eurer Anfangsphase hielten die Männer den Frauen die Türen auf. Wieso steht dein Name trotzdem an erster Stelle?

Ich habe Nadja nie die Tür aufgemacht und sie mir auch nicht. Der Grund, warum mein Name zuerst kommt, hat nichts mit der Gender-Frage zu tun, sondern einzig und allein damit, dass es rhythmisch besser klingt.

War dein Aussehen für deine Bühnenkarriere hinderlich oder förderlich?

Ich habe nie profitiert von meinem durchschnittlichen Aussehen.

Nadja Sieger und du kennt euch gegenseitig besser als manches Ehepaar – heute kannst du es verraten: Welcher Tick oder welche Charaktereigenschaft von deiner Bühnenpartnerin bringt dich ganz schnell zur Weissglut?

Die äusserst seltenen Momente, in denen sie komplett humorlos ist.

Stimmt es, dass Nadeschkin eine Tüpflischiisserin ist?

Ja – ich bin das aber auch.

Wie nützlich ist Streit?

Streiten ist dann nützlich, wenn man sich dabei gut zuhört. Werfe ich während eines Streits nur mit Argumenten um mich und höre meinem Gegenüber nicht zu, verpufft die Auseinandersetzung im Nichts.

Wie streiten Nadja und du?

Auf alle möglichen Arten. Aber milder als auch schon. Früher wurden auch einmal Türen geschletzt, Sachen herumgeworfen und es herrschte auch schon während drei Tagen Funkstille zwischen uns. Wir haben uns morgens um vier Uhr auch schon lange Briefe geschrieben …

… und nicht abgeschickt?

Doch – aber nicht alle.

Wer ist nachtragender?

Ich sage jetzt Nadja – vor allem deshalb, weil ich viel vergesslicher bin.

Wenn du länger nicht mit Nadja Sieger zusammen bist: Was fehlt dir am meisten?

Dieses gewisse Urverständnis. Bei manchen Themen reicht ein Blick, und wir verstehen uns.

«Nadja ist sehr unmittelbar, sehr ehrlich, sehr im Moment und manchmal auch ausserordentlich beharrlich»: Ursus Wehrli über seine Bühnenpartnerin.
«Nadja ist sehr unmittelbar, sehr ehrlich, sehr im Moment und manchmal auch ausserordentlich beharrlich»: Ursus Wehrli über seine Bühnenpartnerin.
Bild: Geri Born

Führst du nach wie vor Buch über all eure Auftritte?

Selbstverständlich. Aber du erwischst mich gerade auf dem falschen Fuss. Aktuell habe ich unsere Auftritte erst bis ins Jahr 2021 nachgetragen auf meiner Liste. Ich führe dazu eine Agenda, bei der ich nach jedem Auftritt ein, zwei Sätze oder manchmal nur ein Wort notiere. Unser aktuelles Programm «Der Tanz der Zuckerpflaumenfähre» haben wir bisher 149 Mal gespielt.

Wie viele Auftritte sind es bis heute insgesamt?

Gegen 3 700.

Wirklich keine Sonderwünsche für den Backstage-Bereich?

Lange Zeit stand in unserem Tech Rider, dass im Backstage-Bereich immer ein Whirlpool, je ein Bademantel mit unseren eingestickten Initialen und zwei Flaschen mit dem Fantasienamen «La gueille du côte de la crème, Jahrgang 1968» bereitstehen müssen. Für uns war dies der Test, ob der Veranstalter unseren Tech Rider wirklich gelesen hat. Mehrfach passierte es, dass ein kleines Bassin parat stand und Bademäntel bekamen wir auch einige geschenkt.

Hättest du Lust bei der TV-Show «LOL – Last One Laughing» mitzumachen?

Ich weiss nicht einmal, was das für eine Sendung ist.

Für «LOL» würdest du mit neun Komiker*innen während sechs Stunden in einem Fernsehstudio eingeschlossen, um dann möglichst nicht zu lachen.

Uff, solches Zeugs finde ich nicht lustig. Ich mag auch diese Roast-Sendungen nicht, in denen sich Komiker und Komikerinnen gegenseitig runtermachen. Ich mag dieses Konkurrenzdenken nicht. Ich verstehe auch nicht, warum an Kulturschaffende ständig Preise verliehen werden. Ja, wir haben in der Vergangenheit auch ganz viele bekommen und wir haben sie auch angenommen. Aber vor allem deshalb, weil niemand verstehen würde, wenn wir so einen Preis ablehnen würden.

Ein Bonmot sagt: Von Kanton zu Kanton verschieden. Ist das auch beim Humor der Fall?

Nein.

Wer sind die lustigsten Schweizer*innen?

Meine Erfahrung ist, Pädagogen haben einen guten Humor.

Nur Pädagogen oder auch -innen?

Beide. Keinen Humor haben Werberinnen, Werber und Medienleute, meistens jedenfalls. Leute, die zu sehr mit sich beschäftigt sind, sind oft humorfrei. Wir haben eine Liste, wo draufsteht, was wir nicht mehr machen wollen. Dort steht folgender Satz: «Keine Aufritte mehr vor Werbern.»

Aktuell seid ihr mit dem Programm «Der Tanz der Zuckerpflaumenfähre» auf Tournee. Wie schaffst du es, dass es dir auf der Bühne nie langweilig wird, obwohl du jeden Abend dieselben Sätze raushauen musst?

Das ist die grosse Kunst. Es hat mit Erfahrung und Professionalität zu tun. Und dass man versuchen muss, sich selber jeden Abend aufs Neue zu überraschen. Und dann ist da natürlich auch immer die Angst, scheitern zu können. Diese Angst sorgt für das Adrenalin.

Auf eurer Website heisst es: «Im ‹Der Tanz der Zuckerpflaumenfähre› sitzt jede Bewegung, jeder Ton und jede Pointe.» Was macht ihr, wenn es einmal nicht perfekt läuft?

Solche Vorstellungen gibt es immer wieder. Es passiert aber auch, dass wir finden, wir hätten keine gute Leistung gebracht, derweil das Publikum anderer Meinung ist. Man sollte sich nicht zu wichtig nehmen.

Nach allem, was du in den letzten 36 Jahren als Komiker und Autor erreicht hast: Ist es heute schwieriger, sich neue Ziele zu setzen?

Nervig finde ich am Älterwerden vor allem die Frage: Wo stehen wir? Als junger Künstler machst du einfach. Was mich zudem verwirrt, ist die komplett veränderte Medienlandschaft. Der Aufmerksamkeitsdrang in den sozialen Medien nimmt in einem Mass zu, dass es mich tschuddert. Verrückt, was Menschen dort bieten, allein um gesehen zu werden.

Wie geht es eurem grossen Traum, dem Sommerhit?

Wir schaffen daran.

Im Sommer 2023 erscheint er demnach nicht?

Nein. Wir sind altermässig in einer Phase, die nicht so spannend ist. Wir sind nicht mehr jung, aber auch nicht alt. Der Sommerhit muss deshalb warten, also bis wir richtig alt sind und wieder richtig interessant werden. Ich denke, wir werden den Sommerhit mit 80 rausbringen. Am 12. Juli 2048, um halb drei Uhr. 

Zum Schluss der Talenttest: Schätz du jetzt bitte, lieber Ursus Wehrli, dein Talent von null Punkten, kein Talent, bis zehn Punkte, Supertalent, ein: Sänger?

Zwei Punkte.

Du kannst nicht singen?

Nein.

Koch?

Zwei Punkte. Ich kann gut Lasagne machen, aber ich bin kein kreativer Koch.

Fussballer?

Früher hätte ich mir zehn Punkte gegeben, heute sind es sieben.

Bühnenpartner?

Zwei Punkte. Oder fünf? Ach, ich sage die Note fünf bis sechs. In der Schule war das gut.

Denkst du manchmal darüber nach, was passiert wäre, wenn es mit der Komiker-Karriere nicht funktioniert hätte?

Ich bin Nadja für immer dankbar, dass sie mich auf die Bühne gezerrt hat. Sie suchte die Bestätigung von aussen mehr als ich. Ich wollte zwar auch immer einem kreativen Beruf nachgehen, aber mir war wichtiger, selbständig zu sein und keinen Chef zu haben. Hätte es mit dem Komiker-Job nicht funktioniert, würde ich heute einem Kreativberuf ohne Publikum nachgehen.

Tönt nach Werber.

Wahrscheinlich (lacht).


«Unnütze Dinge», Ursus Wehrli, 128 Seiten, Verlag Kein & Aber, 20 Fr.

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