«Heimweh Natur» «Heimweh Natur»: Wenn man merkt, dass man auf dem Holzweg ist

Von Andreas von Arx

30.6.2019

Die Verbundenheit mit der Natur – für Andreas von Arx ein wichtiges Fundament für ein erfülltes Leben (Symbolbild).
Die Verbundenheit mit der Natur – für Andreas von Arx ein wichtiges Fundament für ein erfülltes Leben (Symbolbild).
Bild: iStock

Der erfolgreiche Unternehmensberater Andreas von Arx hat vor zehn Jahren sein Leben komplett auf den Kopf gestellt: Er wollte weniger Hamsterrad, mehr Natur. In einem Buch erzählt er von seinen Erfahrungen.

Seine Erlebnisse auf dem Weg zum Ausstieg waren bereichernd, oft aber auch schmerzhaft und herausfordernd. Andreas von Arx hat viele Opfer gebracht, einige berufliche Chancen abgelehnt, sich von vielen Dingen und Gewohnheiten getrennt, um seiner inneren Stimme zu folgen und der ehemals so vertrauten Natur wieder näher zu sein.

In seinem Buch «Heimweh Natur» beschreibt er auch seine schwierige Zeit in der künstlichen Welt. Und wie ihn die Überreizung, der Drang nach immer mehr Erfolg und sein kopfgesteuertes Verhalten veranlassten, auszusteigen und sich der Natur zuzuwenden.

Andreas von Arx lädt die Lesenden ein, den Zauber der Natur wieder zu entdecken. Es ist ein Buch für Menschen, die etwas verändern wollen, mehr Intuition brauchen. Und es ist ein Buch, in dem auch die Themen Nachhaltigkeit und Schutz der Ressourcen  aufgreift.

«Bluewin» veröffentlicht einen exklusiven Textauszug aus dem Buch. Die Leserinnen und Leser können am Ende des Artikels das Buch zu einem vergünstigten Preis direkt beim Verlag bestellen.

Auf dem Holzweg

Mir einzugestehen, nicht auf dem richtigen Weg zu sein, fiel mir schwer. Diese Unruhe war bisher mein Antrieb. Dank ihr habe ich vieles erreicht und konnte Erfolge feiern. Wollte ich diesen Weg verlassen, wüsste ich in jedem Fall, was ich opfern müsste. Doch wie würde sich mein Leben dann entwickeln?

Ich befand mich im Abschlußjahr meines Masterstudiums, gleichzeitig arbeitete ich seit Jahren engagiert in einer IT-Firma. Dort hatte ich die Verantwortung für verschiedene interne wie externe Projekte. Der Druck war hoch. Alles unter einen Hut zu bringen wurde zu einem Drahtseilakt. Es verlangte von mir Fingerspitzengefühl in allen Bereichen, um die notwendige Leistung zu erbringen und den Erwartungen zu genügen – was ich natürlich nicht schaffte. Sehr lange Arbeitstage sowie Verzicht auf Freizeit und Ferien waren die Folgen. Die Anspannung in mir wurde immer größer. Mit all den Zweifeln über den Sinn meiner Ausbildungen und meiner Berufstätigkeit und über das Umfeld, in dem ich lebte, wurde es nicht einfacher. In einer Mühle zu stecken, ohne es zu merken, war ja das eine; mitten drinzustecken und zu erkennen, dass ich daran verzweifelte, war etwas ganz anderes.

Ich fühlte eine heftige Zerrissenheit; ich hatte den Wunsch, auszubrechen, und das Bedürfnis, die Sicherheit und Gewohnheit des Umfeldes beizubehalten.

Keine Exit-Strategie

Ich realisierte, dass wir uns in der Natur ständig eine Exit- Strategie überlegen: Wie komme ich wieder aus dem Wald heraus? Welcher Weg ist der richtige den Berg hinunter? Wie gelange ich im Notfall wieder ans Ufer des Sees? Welche Ausweichrouten stehen mir bei Schlechtwetter zur Verfügung? Wie komme ich mit den Skiern aus dem fallenden Schnee, wenn sich eine Lawine löst? Wo könnte ich mich abseilen, wenn es nicht mehr weitergeht? Fragen, die ich mir in der Natur immer gestellt habe.

Doch in der künstlichen Welt tauchten sie kaum auf. Ich war getrieben, weiterzukommen. Gedanken über mögliche Ausstiege hätten meinen klaren Fokus getrübt. Nirgends hatte ich gelernt, wie ich aus meinem Kopfkarussell wieder herauskam. Vor allem, wenn es sich immer schneller drehte. Wie bei einer harten Droge: Bei der Einnahme überlegt sich niemand, wie er damit wieder aufhören kann. Genauso in den sozialen Medien. Es wird einem nicht mitgeteilt, wie man sich von all diesen künstlichen Plattformen lösen kann, wenn man einmal seine Kommunikation mit Freunden und Partnern ganz darauf aufgebaut hat.

Bereits mit Aufkommen der Mobiltelefone war es so: Es kam der Zeitpunkt, an dem ich keine Nummer mehr auswendig lernte. Sie waren ja alle im Gerät gespeichert. Ohne Zugriff auf das Telefon hatte ich keine Nummer. Ich meine hier nicht nur die Gefahr, dass das Gerät zerstört oder der Speicher gelöscht würde; ich meine ganz einfach die Freiheit, mich von all diesen künstlichen Dingen zu trennen. Was wäre die richtige Exit-Strategie? Und warum hatte ich mir diese nicht im Voraus überlegt? Ich glaube, mein Leben hätte sich anders entwickelt. Es war nun offensichtlich, dass ich auf dem Holzweg war.

Warnsignal aus dem Herzen

Mir wurde immer bewusster, dass wir Menschen dank unseres außergewöhnlichen Körpers mehr sind als nur eine Maschine. Handeln und Funktionieren haben wir perfektioniert. Doch da gab es noch viel mehr: Es gab die Welt der Gefühle. Ich glaube, die künstliche Welt lässt die Gefühle als etwas Negatives, Hinderndes dastehen, weil es sie in dieser Form im Künstlichen nicht gibt. Sie können nicht gesteuert werden.

Bei jeder noch so gefühllosen Person tauchen sie in einem bestimmten Moment auf. Auch an Burn-out Erkrankte kennen die unkontrollierbaren Momente, wo sie von Gefühlen der Überforderung, Handlungsunfähigkeit, Angst sowie Trauer überwältigt werden. Das Herz und den Bauch haben wir zwar als Zentren der Gefühle auserkoren, doch unterdrücken wir laufend deren Signale. Wir versuchen unentwegt, Gefühle mit unserem Verstand zu steuern. Negative Gefühle werden schon gar nicht zugelassen.

Doch nur weil die vom Menschen erschaffenen Maschinen keine Gefühle haben, heißt es noch lange nicht, dass sie deswegen besser sind. Wer möchte schon einen Partner oder eine Partnerin, der bzw. die gefühllos ist? Oder wer möchte ein Kind großziehen, das keine Gefühle zeigen kann?

Wie die Natur uns zeigt, ist die Welt durchzogen von Polaritäten. Nur dank dieser Gegensätze gibt es die Kraft der Anziehung. Genau das zeigt sich in meiner Gefühlswelt. Angst und Vertrauen, Freude und Enttäuschung gehören ebenso dazu wie einige andere Gefühle. Das eine kann nur existieren, wenn das andere auf diese Weise gefühlt wird. Es ist nicht möglich, Helligkeit zu erkennen, wenn es nicht die Dunkelheit gibt. Ich kann mich nicht als ein eigenständiges, abgegrenztes Wesen erkennen, wenn es die Trennung von anderen nicht gibt.

All dies wird in unserer künstlichen Welt oft ignoriert. Man spricht nur von Wachstum, Erfolgen, Grenzenlosigkeit, Vernetzung und Globalisierung. Die andere Seite wird völlig ausgeblendet oder einfach nicht beachtet. Man ist sich der Polarität zwar bewusst, doch zählt man sich nur zur gewünschten Gruppe. Eine Exit- Strategie wird dabei nicht in Betracht gezogen. Plötzlich war mir klar, wie ich dem ganzen System auf den Leim gegangen und anderen naiv gefolgt war.

Natürlichkeit als Nebensache

Das mögliche Ziel dieser künstlichen Welt wurde für mich immer verständlicher. Es ging darum, die Naturgesetze auszuhebeln und die natürlichen Rahmenbedingungen zu ignorieren. Ausbeutung statt Nachhaltigkeit, grenzenloser Wachstum statt Zyklen, Egoismus statt Symbiose, tun statt sein, bekommen statt geben, denken statt fühlen und so weiter. Ich möchte damit nicht behaupten, dass in der Natur nur die eine Seite vorkommt. Doch gibt es eine natürliche Balance, die sich immer wieder einpendelt. Es schien mir jedoch, als wollte ich diese Regelmäßigkeit ausschließen.

Mein Verstand war der Diktator und übernahm das Kommando über alle Entscheidungen und Handlungen. Es gab in mir kein natürliches inneres Kollektiv mehr, auf das ich hörte. Am liebsten hätte ich noch den Herzschlag selbst gesteuert. Über all die Jahre hatte ich die Verbindung zu meinem Unterbewusstsein verloren und konnte seine Sprache nicht mehr verstehen.

Für Aussteiger und Unternehmensberater Andreas von Arx ist «Back to the Nature» Realität. In seinem Buch «Heimweh Natur» erzählt er von seinem Ausstieg.
Für Aussteiger und Unternehmensberater Andreas von Arx ist «Back to the Nature» Realität. In seinem Buch «Heimweh Natur» erzählt er von seinem Ausstieg.
Bild: Cameo Verlag

Durch die körperlichen Reaktionen wusste ich, dass es mir etwas sagen wollte, doch verstand ich es nicht. Die Natur war da anders. Sie hatte mein Vertrauen durch ihre Art, im Einklang zu leben. Alles war in gewisser Weise miteinander verbunden und wirkte aufeinander. Wem dient diese Lebensart? Doch wem diente diese künstliche Welt? Dieses unnatürliche Streben nach mehr? Dieses Getriebensein nach Gütern, Macht und Status? Wer profitierte davon? Ich konnte es nicht mit Gewissheit sagen, doch hatte ich eine Vermutung: Es diente meinem Ego.

Wenn ich mich nicht mit den anderen Menschen verbunden fühle, kann ich mich auch nicht in ihnen erkennen. Dadurch setzt man sich selbst ins Zentrum und baut alles darum auf. Dies ist nur in der Gedankenwelt möglich, denn unser Körper ist bereits ein Verbund von Zellen und Organen und funktioniert im Austausch mit sich und der Umwelt. Nur unser Verstand kann in diese Einsamkeit fallen und sich von den natürlichen Abhängigkeiten lösen. Das ist aus meiner Sicht ebenso der Grund, weshalb wir unsere Lebensgrundlage sorglos zerstören können, ohne unsere Abhängigkeit von ihr zu sehen.

Wie eine Krebszelle hatte sich mein Verstand über alles andere gesetzt, die Ressourcen zu sich umgeleitet und den Rest zu Sklaven seiner Versorgung gemacht. Es gab kein Bestreben, im Einklang mit sich und der Umwelt zu sein. Nur das eigene Wachstum und der daraus resultierende Profit auf Kosten anderer waren das Ziel. Skrupellos und mit der Sicherheit, dass der Tod meines Wirtes keinen Einfluss auf den Körper haben würde.

Was wäre, wenn es anders wär’?

Mit diesen Zweifeln und der Erkenntnis über meinen Holzweg tauchten immer mehr Fragen auf. Zum Beispiel: Was wäre, wenn es anders wär’? Was hätte es für einen Einfluss auf mein Leben, wenn gewisse Betrachtungsweisen von mir falsch waren? Was wäre, wenn wir nicht auf diese Erde gekommen wären mit dem Antrieb der Evolution, Entwicklung und Selbstentfaltung, sondern durch eine exklusive Einladung von unserem Planeten Erde und der Natur? Was hätte es für einen Einfluss auf meine Gedanken, wenn ich mich als geladener Gast in meinem Körper und in der Natur sehen würde? Was würde ich von einem Gast erwarten, den ich in meinen Garten lasse?

Ich erschrak vor mir selbst. Natürlich würde ich mein Verhalten in keiner Weise akzeptieren; es konnte doch nicht sein, dass dieser Gast meine Bäume, die mir jedes Jahr Früchte schenkten, einfach verbrannte oder mir den Rasen zubetonierte. Oder allen Blumen die Blätter ausriss, um diese dann auf den Boden zu werfen. Das würde ich doch nie zulassen. Dieser Gast dürfte doch nicht all meine Tiere einfach so zur Freude abschießen, schlachten oder misshandeln. Ebenso inakzeptabel wäre es für mich, wenn er seinen Müll in das Biotop werfen und das Wasser vergiften würde. Er hätte nicht das Recht, die ganze Nacht das Licht brennen zu lassen und Lärm zu veranstalten. Ich würde es nicht zulassen, dass er mit seinem Auto tiefe Rinnen in meinen Garten fährt und alles zerdrückt. Nie und nimmer würde ich das dulden. Und doch machte ich dies mit meiner Natur.

Einfach nur dort, wo es in meinem Kopf nicht mein Garten war. Ich behaupte, dass jeder Mensch auf dieser Welt dieses Gedankenspiel versteht und seine Grenzen ganz genau aufzeigen könnte. Warum fällt es mir schwer, dies für die ganze Welt zu tun? Gefühle – die Sprache des Körpers Trotz der Klarheit solcher Gedanken saß mein Verstand in der Falle. Er konnte kein Gefühl von Verbundenheit entwickeln und nichts Größeres als sich selbst erkennen. Mein Verstand hatte diese imaginäre Grenze, sich nicht als einen Teil von etwas Übergeordnetem zu sehen. Ich suchte nach anderen Zeichen, nach einem Kontrollsystem. Etwas, was mir Impulse gab, wenn die Gedankenwelt mal wieder aus den Fugen geriet. Etwas, das den Holzweg vom richtigen Weg unterscheiden konnte und die Folgen umfassender erahnte als der beschränkte Verstand.

Da kam in mir die Idee auf, eine neue Bedeutung in den Gefühlen zu sehen. Meine neue Regel war ganz einfach: Ein angenehmes, verbindendes Gefühl sagte mir, dass meine Gedanken in Ordnung waren. Fühlte ich aber etwas Unangenehmes, dann war dies die Aufforderung, sofort meine Gedanken zu ändern. Und zwar in eine Richtung, die mir wieder das Gefühl von Verbundenheit gab. Bewertete ich eine Situation negativ und fühlte dabei eine Angst, dann wusste ich nun, dass ich meine Bewertung ändern musste, um wieder ein gutes Gefühl zu bekommen.

Zeichen im Schlaf

In einer Februarnacht erwachte ich Knall auf Fall aus dem Schlaf und hatte eine unmissverständliche Klarheit in mir. Es war zu einer Zeit, als die Projekte in der Firma eine große Menge an Zeit und Nerven erforderten und die Masterarbeit sowie die Prüfungsvorbereitungen anstanden. Es war ein Gefühl in mir, als hätte jemand einen Schalter gedreht, klar, bestimmt und ohne Zweifel.

Ich weiß noch genau, wie ich in mir eine euphorische Freude und Leichtigkeit verspürte – als hätte ich in meiner Atemlosigkeit wieder frische Luft erhalten. Ich musste gleich tief durchatmen. Das Gefühl war klar und unbeirrbar: Ich würde meine Arbeitsstelle und die Wohnung aufgeben und einen anderen Weg in meinem Leben einschlagen. Einen Weg, der mich zurück in die Natur führen würde. An die Orte, an denen das Natürliche wieder erlebbar ist. Die Entscheidung war unumstößlich gefallen. Die Begeisterung in mir ließ mich nicht mehr einschlafen und ich begann mir das neue Leben vorzustellen.

Diesmal jedoch nicht mit Hyperaktivität im Kopf, sondern mit Gelassenheit und Vertrauen auf alles, was kommen mochte. Es war kein Verlangen in mir, sofort alles zu verändern; ich war ja nicht auf der Flucht, sondern dabei, aufzutauchen aus dem Nebel. Durch diese Klarheit fiel es mir leicht, offen darüber zu sprechen. Es wurde mir wieder bewusst, was eine bestimmte Entscheidung in mir und in der Gedankenwelt auslösen konnte. Diese Kraft und Bestimmtheit gaben mir in der Zeit des Zweifels wieder festen Boden unter den Füßen. Noch in derselben Woche teilte ich meinem Vorgesetzten mit, dass ich in 6 Monaten, nach Abschluss des Masters, die Firma verlassen werde. Ich bemerkte, dass er meine Kündigung nicht richtig ernst nahm. Deshalb reichte ich bereits am nächsten Morgen meine schriftliche Kündigung ein. Beruflich hatte ich noch einige Verpflichtungen und durch die anstehenden Prüfungen brauchte ich Zeit zum Lernen. Trotz alledem entstand in mir eine Leichtigkeit. Ich konnte die verbleibenden Momente mehr genießen und in die Ruhe kommen. Nach langer Zeit war es mir wieder möglich, im Kopf abzuschalten. Es gab kein Müssen mehr, nur noch Wollen.

Es handelt sich hier um einen originalen Textauszug. Deshalb erfolgten keine Anpassungen gemäss «Bluewin»-Regeln.

Leserangebot: «Heimweh Natur»

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