Kolumne Wir müssen reden – über das Mysterium des Todes

Von Caroline Fink

4.1.2021

Auf den Galapagosinseln entdeckte die Kolumnistin vor einigen Jahren, wie eng der Tod mit dem Leben verknüpft ist. Heute findet sie mehr denn je: Anstatt ihn zu verbannen, sollten wir über den Tod reden.

Vor einigen Jahren reiste ich beruflich nach Galapagos. Zwei Wochen lang brachte ein Schiff mich und eine Handvoll andere Gäste bis zu den äussersten Inseln des Archipels mitten im Pazifik. Zwei Wochen, die meine Sicht auf das Leben für immer verändern sollten.

An Stränden, an denen die Wellen seit Jahrtausenden brechen, sah ich Seelöwenmütter, die ihre Jungen säugten. Auf Lavafelsen beobachtete ich schwarze Meerechsen, die sich den ganzen Tag lang sonnen, um dann für wenige Minuten im kalten Ozean nach Nahrung zu suchen.

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Ich sah Kormorane, die nicht mehr fliegen, dafür wie die Weltmeister tauchen können, und Iguanas, die mich stoisch anzulächeln schienen. Und – der vielleicht besonderste Moment – ich sass in einer Lichtung des tropischen Bergwaldes einer uralten Riesenschildkröte gegenüber, die für einen Moment aufhörte zu grasen und mir direkt in die Augen blickte.

In anderen Worten: Ich entdeckte eine Welt, in der die Natur sich selbst gehörte. Genau so, wie sie sich über Jahrhunderte und Jahrtausende organisiert hatte. Ja, es gab Momente, da meinte ich, direkt ins Paradies zu blicken. Oder zumindest in eine Form von Ewigkeit.

So wollten es die Zyklen der Natur

Doch dann, am dritten Tag, begegnete uns anderes: Ich ging an einer Robbe vorbei, die im Sterben lag, ihr Rumpf verbissen von einem Hai. Ein Seelöwenbaby suchte derweil erschöpft und schreiend nach seiner Mutter, die bei der Futtersuche wohl verschwunden war. Dies waren verstörende Bilder für uns Gäste.

Ob wir den Tieren nicht helfen dürften, fragten – ja bettelten – wir. Doch die Biologen schüttelten den Kopf. Traurig, aber bestimmt. Galapagos, so sagten sie, gehöre nur sich selbst. Selbst dann, wenn 80 Prozent der Tiere mancher Arten verhungern, weil das Meer bei El Niño – einer veränderten Meeresströmung im äquatorialen Pazifik – kaum noch Fische als Futter bringt. So wollten es die Zyklen der Natur.

Während dieser 14 Tage auf Galapagos dachte ich immer wieder über das Leben und den Tod nach. Und mit jedem Tag begann ich mich mehr darüber zu wundern, wie wir Westler mit dem Tod umgehen: Anstatt ihn in seinem Mysterium zu ergründen, verdrängen wir ihn mit aller Kraft. Verbannen ihn aus dem Alltag. Vergessen und verstecken ihn, wo immer möglich.

Ja, wären wir fähig dazu, wir würden ihn wohl aus der Welt schaffen. Und dann?

Bloss über eines schweigen wir: den Tod

Die Reise liegt nun einige Jahre zurück. Doch in den letzten Wochen und Monaten habe ich öfter als sonst daran gedacht. Warum?

Weil wir in einer Zeit leben, in der eine potenziell tödliche Krankheit die Welt in ihrem Bann hält. In einer Zeit, in der wir täglich über Ansteckungszahlen und Kurven reden. Über Spitalbetten, Öffnungszeiten und Gondelbahnen. Bloss über eines schweigen wir: den Tod. Es sei denn in Form einer nackten Zahl täglich Verstorbener.



Ich meine aber, wir müssten reden. Wir müssten über den Tod reden. Über sein Mysterium und seinen Sinn. Über seine Unausweichlichkeit. Vielleicht sollten wir ihm gar wohlgesinnt sein, ist er doch ein grosser Meister. Denn kaum ein anderer hat die Kraft, uns so sehr spüren zu lassen, wie fragil und vergänglich wir sind. Und uns damit daran zu erinnern, wie wichtig es im Leben ist, darauf zu achten, was am Ende zählt. Denn die Mauer zwischen uns und dem Tod besteht in Tat und Wahrheit aus Seidenpapier. Falls es sie denn überhaupt gibt.

Und falls Sie sich nun auf poetische, ja gar heitere Art mit dem Thema beschäftigen möchten: Lesen Sie doch «Eine Zeit ohne Tod» des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago. Oder schauen Sie sich die Komödie «Das brandneue Testament» an. Hören Sie den englischen Vortrag der Sterbehebamme Jane Whitlock.

Oder setzen Sie sich ganz einfach – es muss ja nicht das ferne Galapagos sein – an einen stillen Platz in der Natur und horchen Sie in sich hinein. Und vielleicht geht es Ihnen dann wie mir: Beim Nachdenken über den Tod entdecken Sie mit einem Mal – das Wunder des Lebens.

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch.

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