Kolumne Die Rigi liegt in Norwegen – und am Äquator

Von Caroline Fink

9.11.2020

Blick auf den Fjord: hier den Vierwaldstättersee, über dem sich just der Hochnebel auflöst.
Blick auf den Fjord: hier den Vierwaldstättersee, über dem sich just der Hochnebel auflöst.
Bild: Caroline Fink

Nach elf Monaten erstmals wieder eine Landesgrenze passieren und in der Zentralschweiz auf das Meer blicken: Fehlende Fernreisen und etwas Fantasie lassen uns Abenteuer vor der Haustür erleben.

Vergangene Woche reiste ich erstmals wieder Richtung Ausland, nachdem ich elf Monate in der Schweiz geblieben war. Genauer: Ich steuerte mein Auto bei Buchs der österreichischen Grenze entgegen, um für einen Tag ins vorarlbergische Grosse Walsertal zu fahren.

Mit im Gepäck das offizielle Schreiben eines österreichischen Fernsehsenders, welches bescheinigte, dass ich beruflich einreisen würde. Dies für den Fall, dass man mir an der Grenze Fragen zum Grund meiner Reise stellen sollte.

Als der österreichische Grenzposten vor mir auftauchte, fühlte ich mich denn auch wie vor einigen Jahren an der Passkontrolle in Russland:

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Aufgeregt angesichts der Dinge, die da kommen könnten. Und wie damals verwandelte sich die Anspannung in ein Gefühl grosser Freiheit, sobald die Grenze hinter mir lag. Wenngleich die österreichischen Grenzwächter im Gegensatz zu ihren russischen Kollegen nur lässig an die Barriere gelehnt miteinander geplaudert und mich in meinem Fiat Panda ignoriert hatten.

Wie in einem fernen Land fühlte ich mich dennoch, besonders als ich wenig später die Tiroler Filmcrew traf: Erstens war ich verunsichert ob der lokalen Begrüssungsrituale, als mir einige Kollegen zum Gruss die Hand entgegenstreckten; zweitens verstand ich ihre Sprache nicht, obwohl sie angeblich Deutsch reden.

Ein Wald wie am Meer: der Föhrendwald an den Südflanken der Rigi Hochflue.
Ein Wald wie am Meer: der Föhrendwald an den Südflanken der Rigi Hochflue.
Bild: Caroline Fink

Das Grosse Walsertal hingegen kam mir bekannt vor: Täler mit eingesprenkelten Dörfern, Herbstwälder in Rostrot und Gold, Gipfel, auf denen der erste Schnee wie Puderzucker lag. Eine Landschaft wie zu Hause!

Ich wunderte mich, wie warm es war

Das pure Gegenteil folgte dann zwei Tage später auf einer sonntäglichen Kraxeltour an der Rigi Hochflue: Sprachlich und kulturell verstand ich mich hier mit meinen Freunden bestens, doch erinnerte mich die Kulisse immer wieder ans Ausland.

Der Kalkfels unter den Händen war warm wie im kroatischen Paklenica. Der Boden unter den Föhren roch wie italienischer Pinienwald. Und als wir aus den Baumkronen auftauchten, blickten wir zwischen Wolkenschwaden auf das tiefblaue Wasser eines norwegischen Fjords.

Ausserdem wunderte ich mich, wie warm es war. Spätestens als wir auf dem Gipfel der Stockflue in der Sonne sassen und Cashewkerne aus Tansania knabberten, wähnte ich mich in Äquatornähe. Bloss Giraffen kamen keine vorbei.

Die einheimische Kapelle spielt auf – wenngleich mit Ländler anstatt Sirtaki.
Die einheimische Kapelle spielt auf – wenngleich mit Ländler anstatt Sirtaki.
Bild: Caroline Fink

Dafür erreichten wir nach einer Kraxelpartie an einem Drahtseil – ein wenig wie die Vie Ferrate in den Dolomiten – den Aussichtspunkt Timpel. Oder korrekt auf Spanisch vielleicht Timpél? Das Restaurant war jedoch ganz im Stil einer Taverne gehalten, von deren Terrasse aus der Blick über das Nebelmeer der Ägäis schweifte, derweil eine einheimische Kapelle aufspielte.

Seltsam nur, dass diese allen voran Schweizer Ländler im Repertoire führte und auch das Erfrischungsgetränk an Sauren Most erinnerte. Doch was soll's, dachte ich mir. Ich fühlte mich sowohl nach dem Ausflug ins Vorarlbergische als auch nach der Zentralschweizer Wanderung, als käme ich aus den Ferien zurück.

Warum? Vielleicht weil es sich mit dem Reisen wie mit dem Essen verhält: Je mehr Hunger wir haben, desto besser das Altbekannte. In dem Sinn: ein Hoch auf die kleinen Reisen – diesseits und jenseits der Grenze!

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