Ausbau der Mittellegihütte3'355 Meter über Meer – Leben am Eiger
Von Max Hugelshofer
26.6.2020
Die Mittellegihütte ist das höchstgelegene Projekt der Schweizer Berghilfe. Bergsteiger freuen sich, dass sie nicht mehr in Schichten essen müssen. Und Hüttenwartin Kai Tschan hat mehr Platz – und mehr Privatsphäre.
«Mindestens einmal pro Tag denke ich: Wow, es ist schon unglaublich schön hier oben. Der Ausblick aufs Eismeer verleidet mir nie, und die Sonnenuntergänge sind eine Klasse für sich.
Inzwischen arbeite ich hier den dritten Sommer über als Hüttenwartin. Eigentlich bin ich ja Juristin, aber ich wollte eine Pause von meinem Beruf. Ich hatte mir vorgestellt, ein paar Monate in einer Alpbeiz auszuhelfen. Da erzählte mir ein Kletterkollege von der freien Stelle hier oben – der Rest ist Geschichte.
Hier Hüttenwartin zu sein, ist ein ungewöhnlicher Job. Manchmal ist es so streng, dass ich an meine körperlichen Grenzen komme, dann wieder sehr ruhig und einsam. Alles hängt vom Wetter ab. Wenn schön angesagt ist und alle 40 Plätze belegt sind, stehe ich morgens vor vier Uhr auf, mache Frühstück und kümmere mich um die Gäste, die ja auch alle früh los wollen, um zeitig auf dem Eiger zu sein.
Am Vormittag muss ich die Massenlager in Ordnung bringen, putzen und schon den Znacht vorbereiten. Kuchen backen wäre auch nicht schlecht. Gegen Mittag tauchen dann meist schon wieder die ersten Bergsteiger auf. Vor 23 Uhr komme ich selten ins Bett. Nach langen Schönwetterperioden kommt einem da ein Tiefdruckgebiet wie gerufen. Bei schlechtem Wetter kommt kein Mensch, und ich kann wieder etwas Schlaf nachholen. Sonst gibt es ja nicht viel zu tun. Spazierengehen kann ich nicht. Links und rechts geht es steil mehrere hundert Meter die Felswand runter, hinter der Hütte steil zum Eiger hoch. Nur vor der Hütte kann ich fünfzehn Meter bis auf den Helilandeplatz gehen, ohne klettern zu müssen.
Klar, bei schlechtem Wetter ist es einsam, und manchmal ist es auch gfürchig, wenn der Wind um die Hütte pfeift oder wenn während eines Gewitters bei Blitzeinschlägen der ganze Berg zittert. Aber allzu lange dauert die Einsamkeit normalerweise nicht. Denn wenn eine länger andauernde Schlechtwetterphase angesagt ist, dann schliesse ich die Hütte ab und gehe ins Tal.
Also gehen ist eigentlich das falsche Wort. Es gibt kaum Seilschaften, die von hier aus talwärts unterwegs sind, und alleine wäre der Weg viel zu gefährlich. Darum fliege ich. Weil sowieso regelmässig Vorräte und Brennholz rauf- und Abfall runtergeflogen werden müssen, braucht es dafür keine extra Helikopterflüge.
Die Mittellegihütte gehört dem Bergführerverein Grindelwald. Seit 1924 existiert an dieser Stelle eine Hütte. 1986 kam eine Biwak-Röhre hinzu, 2001 ein Neubau mit mehr Schlafplätzen. Der Aufenthaltsraum blieb jedoch gleich klein. Auf drei Betten kam ein Sitzplatz. Das bedeutete bei voll belegter Hütte, dass in drei Schichten gegessen werden musste. Wer nicht ass, konnte nichts anderes tun, als auf seinem Bett zu liegen.
Heute, nach dem Ausbau, ist die Zahl der Schlafplätze gleich geblieben, aber wir haben mehr Platz. Jetzt ist es für die Gäste schon fast komfortabel. Auch für mich hat sich viel verbessert. Jetzt habe ich im ersten Stock ein eigenes, richtiges Zimmer. Vorher war meine Kammer gerade mal ein paar Zentimeter grösser als das Bett und von der Stube nur durch eine dünne Holzwand getrennt.
Was sich nicht geändert hat: Bei akutem Hüttenkoller genügt ein Blick aus dem Fenster auf das unglaubliche Panorama, und alles ist wieder gut.
Diese Text erschien zuerst in der «Echo», der Zeitung der Berghilfe.