500. Todestag Vinci – Leonardos unbekannte Heimatstadt in der Toskana

5.2.2019

Von Vinci hat kaum jemand je etwas gehört. Doch zum 500. Todestag des grossen Leonardo rückt der kleine Ort in der Toskana ins Scheinwerferlicht.

Weinberge und silbrig glänzende Olivenhaine erstrecken sich über sanfte Hänge bis nach Vinci. Das unbekannte Städtchen mit dem weltbekannten Namen thront auf einem Hügel irgendwo auf halber Strecke zwischen Florenz und Pisa. Aus seiner Mitte ragen der Burg- und der Kirchturm empor.

Vinci ist der Ort, der einem der bedeutendsten Genies aller Zeiten seinen Namen gab. Es ist der Ort, der den grossen Leonardo von frühester Kindheit an inspirierte.

Heimatstadt da Vincis kaum bekannt

Als Leonardo da Vinci am 2. Mai 1519 im französischen Amboise starb, hinterliess er nicht nur ein Lebenswerk aus 6000 Manuskriptseiten in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, er schuf auch Meisterwerke wie die «Mona Lisa» und «Das letzte Abendmahl». In diesem Jahr wird der Universalgelehrte nun europaweit dafür gefeiert.

Dass seine kleine Heimatstadt mit den grossen Museen kaum konkurrieren kann, ist klar. Doch auch verglichen mit echten Toskana-Hotspots wie Lucca, Siena und dem winzigen San Gimignano dämmert Vinci in einem durchaus angenehmen touristischen Winterschlaf – sogar im Jubiläumsjahr zum 500. Todestag des berühmtesten Sohnes der Stadt.

Vinci bietet echtes Toskana-Feeling

Zwischen dem Castello dei Conti Guidi aus dem 12. Jahrhundert und Leonardos schlichter Taufkirche Santa Croce haben im historischen Ortskern nur zwei Souvenirläden ihre Ware vor die groben Steinmauern gehängt. Es gibt T-Shirts mit «I love Vinci»-Prints.

Insgesamt hat sich das beschauliche Vinci seinen ursprünglichen Charme bewahrt: Die Geschäfte rund um den Marktplatz, die anstelle des üblichen Nippes ganz Alltägliches wie Tischwäsche, Gemüse oder Baumarktartikel verkaufen, haben zur Siesta geschlossen. Und in der Pizzeria isst eine Schulklasse statt einem Dutzend Studienreisender zu Mittag. Zwar quält sich hin und wieder ein Reisebus die steilen Hügel zum Geburtshaus des Universalgenies im Ortsteil Anchiano hinauf. Aber nicht einmal vor dem Aufstieg zum Burgturm mit seiner Aussicht über die Terrakottadächer der Stadt steht eine Schlange.

Kaum touristische Infrastruktur

Auch stört sich niemand daran, dass der neue Ticketschalter für die drei Zweigstellen des Leonardo-Museums – das Geburtshaus, die Villa del Ferrale mit HD-Reproduktionen von allen Gemälden des Künstlers und das eigentliche Museum in der Burg und der Palazzina Uzielli – noch immer eine Baustelle ist. Touristenmassen könnte der Ort mit seinen 15'000 Einwohnern ohnehin kaum bewältigen.

Grosse Hotels gibt es in Vinci nicht. Die für die Region typischen Zypressenalleen führen am Stadtrand nur zu rustikalen Bauernhöfen, die eine Handvoll Touristenzimmer vermieten und ihre Gäste mit selbstgepresstem Olivenöl und eigenem Wein versorgen. Und selbst die sind noch nicht ausgebucht, obwohl das Städtchen im Zuge des grossen Jubiläums durchaus mit einer echten Sensation aufwarten kann.

Noch bis zum 15. Oktober ist die «Arnolandschaft», Leonardo da Vincis früheste datierte Zeichnung aus dem Jahr 1473, neben allerlei Modellen, Dokumenten und Skizzen im Museo Leonardiano zu sehen.

Auf den Spuren des Universalgelehrten

«Die Natur, die Leonardo früher gesehen hat, unterscheidet sich nicht gross von der heutigen», sagt Claudia Heimes. Die gebürtige Deutsche ist Dezernentin für Bildung und Kultur im Stadtrat von Vinci. 

Sie tritt aus dem Schatten des alten Bruchsteinhauses, in dem das Multitalent am 15. April 1452 als unehelicher Sohn einer Magd und eines Notars zur Welt gekommen sein soll. «Vielleicht gab es ein paar Häuser weniger, und die Landschaft war etwas vielfältiger, mit Obstgärten und Getreidefeldern, aber viel hat sich nicht geändert.» Heute wachsen fast ausschliesslich Wein und Oliven auf den Hügeln.

Drinnen wird Leonardos Biografie multimedial aufbereitet. Draussen kann man sich wie der junge Leonardo, der mit seinem Onkel Francesco die Ländereien der Familie inspizierte und wohl schon damals Landschaften und Tiere zeichnete, von der Natur inspirieren lassen.

Leonardos Blick auf die Toskana

Zum Beispiel auf der Via Caterina. Der Wanderweg zum nahegelegenen San Pantaleo ist nach Leonardos Mutter benannt. Diese lief wohl hier entlang, wenn sie ihren Sohn, der in Vinci bei der Familie des Vaters aufwuchs, besuchen wollte. Unterwegs bietet sich nicht nur eine schöne Aussicht auf die Silhouette von Vinci. Mit einem Blick fürs Detail zeigt sich die Toskana hier auch von Leonardos Seite.

Weisser Dolden-Milchstern und Breitblättriger Rohrkolben wachsen am Wegesrand. Von beiden Pflanzen hat der Naturforscher da Vinci einst detaillierte Zeichnungen angefertigt. Das Silber der jahrhundertealten Olivenbäume verliert sich in der Ferne immer mehr in einem blassen Dunst – ein natürlicher Effekt, für den der Maler seine eigene Weichzeichner-Technik – Sfumato genannt – entwickelte.

Die Natur als Inspirationsquelle

Immer wieder ist es die Natur seiner Heimat, zu der man von Leonardo zurückgeführt wird. Zum Beispiel in das Sumpfgebiet Padule di Fucecchio, in dem über 100 Vogelarten brüten – vielleicht der perfekte Anschauungsunterricht für Leonardos Flugstudien.

Heute fährt man mit einer Art Gondel fast lautlos durch das Naturreservat. In der ausgedehnten Schilflandschaft gleiten Silbermöwen am Himmel, Reiher fliegen über der Wasseroberfläche, Enten eilen schnatternd von einem Ufer ans andere.

Leonardo wollte einst den Lauf des Arno ändern, um das Land trockenzulegen und nutzbar zu machen. Doch in diesem Fall ist es wohl gut so, dass der unermüdliche Tüftler vieles begann und ausprobierte – aber wenig Projekte abschloss.

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