Mitra und TattoosDer schwule Schneider von Papst Franziskus
Robert Messer, dpa/bb
13.7.2024 - 19:40
Auf seinem Instagram-Account räkelt er sich oben ohne. In seinem Atelier designt er die Gewänder für Papst Franziskus und kleidet Kardinäle und Priester ein. Filippo Sorcinelli heisst der ungewöhnliche Modemacher.
DPA, Robert Messer, dpa/bb
13.07.2024, 19:40
14.07.2024, 12:05
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Filippo Sorcinelli ist als Schneider für Papst Franziskus tätig.
Weil der 49-Jährige seine Homosexualität offen lebt, wird er zugleich bewundert und gehasst.
In sozialen Netzwerken zeigt sich Sorcinelli hin und wieder oben ohne und auf dem Sofa räkelnd.
«Das ist doch nicht skandalös. Ich bin eine freie und normale Person», sagt der Designer.
Bei seiner Arbeit spielt Modemacher Filippo Sorcinelli mit erotischen und religiösen Motiven. Bei Instagram sieht man den 49-jährigen Italiener oft oben ohne.
Der Designer und Künstler wirkt auf den ersten Blick nicht wie jemand, der für kirchliche Würdenträger liturgische Gewänder und Accessoires anfertigt, sondern eher wie ein Hipster oder Rapper.
Doch Papst Franziskus trägt Sorcinellis Roben und vor ihm tat dies auch Benedikt XVI. Passt das extravagante Künstlertum in die strengen Regeln der katholischen Kirche?
Sorcinelli: «Direkten Kontakt mit dem Papst habe ich nicht»
«Ja», sagt Filippo Sorcinelli in seinem Geschäft in Rom zwischen Gewändern und mit Kirchenmusik im Hintergrund. In dem Job religiös zu sein, das sei zwar «fundamental wichtig für diese Arbeit».
Gleichzeitig müsse er jedoch auch seine künstlerische Freiheit ausleben können, um kreativ zu sein.
Schon in der Vergangenheit gab es Beispiele für diese Symbiose von Kunst und Religion. Sorcinelli nennt etwa den Barockkünstler Michelangelo Merisi da Caravaggio, der die Balance zwischen den Regeln der Kirche und der Kreativität gefunden hatte.
Gewisse Regeln lägen in der Natur der Sache, so der Modemacher. «Dies ist ein Teil der Liturgie. Die Liturgie besteht nun mal aus Regeln und diese müssen zu Recht eingehalten werden. Doch all dies schränkt nicht die Kreativität des Künstlers ein.» Gerade dieses Zusammenspiel, diese vermeintlichen Gegensätze, machten seine Arbeit aus.
Weil er seine Homosexualität offen lebt, wird Filippo Sorcinelli zugleich gehasst und geliebt. Zu seinem Handwerk sei er eher zufällig gekommen. «Direkten Kontakt mit dem Papst habe ich nicht», offenbart Sorcinelli im Gespräch mit dem «Magazin» vom «Tages-Anzeiger».
Er muss seine Ideen und die Gewänder einer Kommission im Büro für liturgische Feiern des Papstes vorlegen. Das Team vom Papst liefere ihm jeweils die Masse, danach gehe ein Gewand mehrfach hin und her.
«Das Verfahren ist etwas umständlich, aber kein Hindernis, denn Messgewänder sind luftig», so Sorcinelli.
Vom Organisten zum Modemacher
2001 gründete Filippo Sorcinelli das Label LAVS(Lateinisch für Lob) für die Herstellung von sakralen Gewändern sowie Accessoires für die katholische Liturgie.
Beim Designer gibt es nicht nur Messgewänder jeglicher Couleur zu kaufen. Auch die berühmte Mitra – eine Kopfbedeckung – Abzeichen, Schleier und Taschen sowie die Bestickung von Evangeliaren – das sind liturgische Bücher – kann man in den Läden in Rom, Mondolfo und Santarcangelo di Romagna bei Rimini, wo sein Atelier ist, kaufen.
In jungen Jahren kam Sorcinelli nach Rom, um am Päpstlichen Institut für Kirchenmusik zunächst Orgel zu studieren. Ein Freund bat ihn dann, das Gewand für seine Priesterweihe zu kreieren. Andere Kirchenleute und schliesslich auch der Vatikan wurden daraufhin auf ihn aufmerksam.
2008 fertigte er sein erstes Gewand für Papst Benedikt an
Seit er für einen italienischen Bischof, der heute Kardinal ist, Gewänder anfertigte, wird er in unregelmässigen Abständen vom Vatikan für Arbeiten angeheuert.
2008 fertigte er sein erstes Gewand für Papst Benedikt an. 2013 entwarf er für Papst Franziskus die Kleidung, die dieser bei seiner Antrittsmesse trug. Insgesamt schneiderte er für beide Päpste jeweils ein Dutzend Gewänder.
Sorcinellis Geschäft in Rom befindet sich in der Nähe zu seinem bekanntesten Kunden. Im Viertel Borgo in einer Nebenstrasse der berühmten Via della Conciliazione, die zum Petersplatz führt, blickt er fast auf den Apostolischen Palast.
Im Laden stechen die bunten und mit Symbolen bestickten Gewänder direkt ins Auge. Zwischen Kruzifixen und Jesusbildern steht Sorcinelli, den man vom Äusseren her – Glatze, Bart, schwarze Kleidung, Tattoos – hier nicht erwarten würde.
Er ist nicht der einzige Designer, der den Papst einkleidet
Filippo Sorcinelli gibt sich trotz des Pontifex als Kunden bescheiden. Dass er in Medien als der Schneider oder Designer des Papstes bezeichnet wird, mache ihn natürlich stolz.
Doch es ist ihm wichtig, zu betonen, dass er auch andere Kirchenleute ausstattet. Und ausserdem sei er nicht der einzige Designer, der den Papst einkleidet. Aber er ist wohl der auffälligste.
In sozialen Netzwerken zeigt sich der 49-Jährige oft halb nackt und auf dem Sofa oder im Bett räkelnd. Wieso solche Fotos und generell sein Aussehen für viele Leute ein Gegensatz darstellen sollen, versteht der Modemacher nicht.
«Das ist doch nicht skandalös. Ich bin eine freie und normale Person.» Es gebe etwa viele tätowierte Priester. Vom Vatikan habe er noch nie negative Reaktionen erhalten.
2013 gelang jedoch ein anonymer Brief an die Medien, offenbart Sorcinelli im «Magazin» vom «Tages-Anzeiger». «Ich wurde geoutet – vermutlich von einem Konkurrenten, der mich aus dem Weg schaffen wollte. Er erreichte das Gegenteil: Nach einer Auszeit nahm ich meine Arbeit wieder auf.»
Weihrauchduft als Kassenschlager
Seit einigen Jahren kreiert Filippo Sorcinelli zudem Parfüm. «Geruchsschneiderei» nennt er das. Der Kassenschlager ist die Weihrauch-Linie.
Zunächst als Wiedererkennungsmerkmal gedacht, war die Nachfrage unter seinen Kunden nach einem Duft gross, wie er in seinem Parfümladen direkt nebenan erzählt.
Sorcinelli sprühte früher seine Kleider vor dem Verkauf und Versand mit dem Weihrauch-Duft ein. Inzwischen gibt es acht Kollektionen. Seine Düfte heissen etwa «Haec Dies» (Lateinisch für «Dieser Tag») oder «Tu es Petrus» («Du bist Petrus»).
Zur Aufgabe eines Papst-Schneiders gehört es auch, Päpste für ihren letzten Weg einzukleiden. Nach dem Tod von Benedikt XVI. wurde dessen Leichnam im Petersdom öffentlich aufgebahrt.
Filippo Sorcinelli fertigte die weisse Mitra mit Goldrand an, die der aufgebahrte Joseph Ratzinger trug. Der Schneider gab sich viel Mühe – nach seinen Worten bleibt im Gedächtnis der Gläubigen ein Papst eng mit den Gewändern verbunden.
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