Fehlende Helfer Umzug in der Corona-Krise – ein Erfahrungsbericht in fünf Akten

Von Jennifer Furer

22.4.2020

Der Bundesrat hat erlaubt, während der Corona-Krise umzuziehen. Die Abstands- und Hygieneregel müssen aber eingehalten werden. (Symbolbild)
Der Bundesrat hat erlaubt, während der Corona-Krise umzuziehen. Die Abstands- und Hygieneregel müssen aber eingehalten werden. (Symbolbild)
Bild: Keystone

«Bluewin»-Redaktorin Jennifer Furer ist während der Corona-Krise umgezogen. Sie schildert die Hürden dieses Vorhabens – und was sie aus dieser Erfahrung gelernt hat.

Umziehen an sich ist ja schon Stress genug. Zusätzlich beansprucht sind die Nerven, erfolgt der Umzug auch noch während der Corona-Krise. «Bluewin»-Redaktorin Jennifer Furer musste sich dem Pandemie-Umzug stellen. Ein Erfahrungsbericht in fünf Akten.

1. Akt: Die Organisation

Es ist Februar. Mein Partner und ich leben seit knapp einem Jahr in einem Zürcher Quartier in einer 3,5-Zimmer-Wohnung. Die Wohnung liegt idyllisch im Grünen, zwei Wälder grenzen an das Quartier, ein kleiner Bach schlängelt sich durch die Wiesen.

Diese pittoreske Umgebung zieht eine gewisse Mieterschaft an: Ältere Menschen, die nicht über wenig Geld verfügen und die – für meinen Geschmack – etwas zu bünzlig sind. Zeit für uns, umzuziehen.

Eine Wohnung ist schnell gefunden – die Mitmieter sind in unserem Alter, die Wohnung ist ideal gelegen, grenzt an ein Waldstück. Perfekt für ausgedehnte Spaziergänge mit unserem Hund Frodo. Das Coronavirus ist zu dieser Zeit noch nicht gross in Europa in Erscheinung getreten, noch scheint es sich um ein rein chinesisches Problem zu handeln.



Da der Umzug erst auf Ende April geplant ist, denke ich mir, dass die Organisation nicht drängt. Ein Fehler, wie sich später herausstellt.

Im März hat das Coronavirus Europa erreicht. Dennoch ist es für mich undenkbar, dass bald praktisch alle Geschäfte schliessen werden und Menschen sich körperlich voneinander fernhalten sollen.  Auch dass der Online-Handel an seine Grenzen geraten könnte und Bestellungen mit einer Verzögerung von bis zwei Monaten ausgeliefert werden, würde mir nicht einmal im Traum in den Sinn kommen.

Die Umzugskartons habe ich zwar glücklicherweise schon bestellt – und diese sind nach gut einer Woche eingetroffen. Aber die Auswahl meiner neuen Möbel soll warten. Dafür will ich mir Zeit nehmen und sie im Laden anschauen. Schliesslich soll mein neues Zuhause perfekt eingerichtet werden.

Das Packen funktioniert reibungslos, und die alten Möbel verschenken wir an Menschen, die sie sich nicht leisten können. Unsere Wohnung leert sich allmählich. Dann kommt der 16. März.

Der Bundesrat ruft die ausserordentliche Lage aus – Lockdown. Baumärkte und Möbelhäuser werden genauso geschlossen wie Coiffeursalons, Blumenläden und Kosmetikstudios. Es ist unklar, wie lange diese Massnahme dauern wird. Die Ungewissheit darüber ruft in mir nur einen Reflex aus: Aber ich brauche doch Möbel.

2. Akt: Die Möbelbeschaffung

Ich begebe mich in die weite Welt des Internets und suche nach meinen Traummöbeln. Sofa, Kleiderschrank, Esstisch, Stühle, Teppiche und Dekoelemente sind schnell gefunden, der Liefertag gefixt. Die Vorfreude steigt. Doch sie wird bald getrübt.

Aufgrund der grossen Zahl an Bestellungen werden die Online-Händler überrannt, und auch die Post gerät an ihre Grenzen. Sie muss gar eingreifen und verhängt Kontingentierungen. Sprich: Gewisse Händler dürfen nur noch eine bestimmte Anzahl an Paketen über die Post verschicken.



Um es vorwegzunehmen: Es gibt Pakete, auf die ich seit zwei Monaten warte. Das ist ein Luxusproblem, und darüber zu motzen, bringt eh nichts. Aber das Fehlen der Möbel schlägt – ich gebe es zu – aufs Gemüt. Und sie erhöhen den Stresspegel, der durch den Umzug sowieso schon gegeben ist. Die Ungewissheit, wann die Bestellungen eintreffen, sorgt dafür.

Zusätzlich beansprucht werden die Nerven durch die offenen Fragen, die der Lockdown aufwirft: Wird das Neubauprojekt, in das wir einziehen, überhaupt fertiggestellt, da Bauarbeiter ja auch geschützt werden müssen? Finden die Wohnungsübergaben statt?

3. Akt: Der Umzug

Der Bundesrat gibt schliesslich grünes Licht für Umzüge während der Covid-19-Pandemie. Die Abstands- und Hygienemassnahmen müssten dabei aber eingehalten werden.

Erster Gedanke: Prima, wir können umziehen. Zweiter Gedanke: Mist, wir müssen das alles allein machen – oder eine Umzugsfirma für viel Geld engagieren. Das Problem schieben mein Partner und ich erstmals beiseite. Die Wohnungsübergabe steht an. Und die ist ziemlich ungewohnt.

Ab der Begrüssung mit dem netten Herrn, der uns die Wohnung übergibt, müssen zwei Meter Abstand eingehalten werden. Das bedeutet auch, dass der Lift tabu ist. Treppenlaufen in den dritten Stock ist angesagt. Der Herr keucht vor sich hin: «Dumme Raucherlunge.»

In der Wohnung wird nicht wie üblich ein physisches Übergabeprotokoll ausgearbeitet, Mängel dürfen elektronisch von uns selbst erfasst werden. Die Schlüssel legt der Herr auf die Ablage bei der Küche und sprayt sie mit Desinfektionsmittel ein.

Die Unterschrift für den Erhalt der Schlüssel soll mit eigenem Kugelschreiber erfolgen. Nach minutenlangem Suchen in meiner Tasche legt der nette Herr seinen Kugelschreiber auf die Fläche und desinfiziert ihn wie die Schlüssel zuvor.

Es ist noch nicht abschliessend erforscht, inwiefern das Coronavirus über Oberflächen verteilt werden kann.
Es ist noch nicht abschliessend erforscht, inwiefern das Coronavirus über Oberflächen verteilt werden kann.
Symbolbild Keystone

Kurz nach der Übergabe packt die Motivation meinen Partner und mich. Wir beginnen gleich mit dem Umzug und greifen dafür auf unseren Peugeot zurück. Bald merken wir, dass der Umzug für zwei Leute ein riesiger Kraftakt darstellt.

Die Kisten lassen sich zwar gut transportieren, aber bei den schweren Möbeln, die wir am Tag darauf zügeln, kommen wir an unsere Grenzen. Wir vermissen sehnlichst die helfenden Hände unserer Freundinnen und Freunde. Und auch das Bier und die bestellte Pizza nach dem endlich geschafften Umzug schmecken nur halb so gut.

4. Akt: Möbel montieren

Ich würde mich als ordentliche Möbelzusammenbauerin beschreiben. Die nach und nach eintreffenden Möbel montiere ich wortlos und stelle sie an ihre Plätze. Auch mein Freund arbeitet vor sich hin.

Es fehlt das gesellige Zusammensein mit anderen Menschen, das Gelächter, wenn jemand die Ikea-Anleitung nicht auf Anhieb versteht, das gemeinsame Halten eines schweren Balkens, das nun allein getan werden muss.

Der Umzug ist bald geschafft. Doch er ist nicht derselbe wie der vorherige. Obwohl ein Umzug immer unglaublich anstrengend ist, wirkt dieser noch etwas beschwerlicher. Geteiltes Leid ist halbes Leid, heisst ja bekanntlich jenes Sprichwort.

5. Akt: Der Endspurt

Die Möbel sind aufgestellt – zumindest jene, die schon da sind. Zeit, unser Hab und Gut auszupacken und zu dekorieren. Doch das klappt auch nur halb so gut: Es fehlen immer noch Pakete und Möbel mit Stauraum.

Und auch die Drittmeinungen kritischer Freundinnen und Freunde fehlen. Ich erinnere mich an eine frühere Diskussion, die ich mir jetzt so sehnlichst herbeisehne. Als mein Freund und ich erstmals zusammenzogen, führten wir eine intensive Diskussion, wo die Wohnzimmerlampe hin soll. Denn an der Decke gab es kein Loch dafür, es musste ein Kabelkanal gezogen werden.

Während mein Freund darauf plädierte, sie über den Esszimmertisch zu hängen, stellte ich mich auf den Standpunkt, sie in der Mitte des Zimmers zu montieren. Mit dieser Meinung stand ich ziemlich allein da. Die lebhafte Diskussion endete damit, dass alle für die Idee meines Freundes stimmten, die Lampe aber dennoch in der Mitte des Raumes aufgestellt wurde.

Diese Anekdote sorgt in unserem Freundeskreis seit diesem Tag vor gut drei Jahren immer wieder für viel Gelächter. Dass ein Kollege unseren Ikea-Schrank dermassen schräg aufstellte, dass er stets zusammenzubrechen drohte, auch.


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