In Käfigen eingepfercht 2000 Kinder allein im Heim: Trumps selbst gebackene Krise

von Anne Flaherty, AP

19.6.2018

Tausende Kinder haben Grenzschützer in den USA schon von ihren illegal eingereisten Eltern getrennt und in staatlich betriebene Einrichtungen gesteckt. Wie kam es dazu, wie stellt sich die Faktenlage dar und wie geht es jetzt weiter?

Wie ist es soweit gekommen?

Zehntausende Familien aus Ländern wie Honduras, El Salvador und Guatemala sind in den jüngsten Jahren beim Versuch des illegalen Grenzübertritts in die USA aufgegriffen worden. Sie flüchten vor Drogenkartellen, extremer Armut und Bandengewalt. Die USA können die Menschen nicht einfach zurückschicken - es sei denn es handelt sich um mexikanische Staatsbürger. Ansonsten muss sich ein Richter für Einwanderungsrecht mit den Fällen der Schutzsuchenden befassen.

Schon im Jahr 2008 war der damalige Präsident George W. Bush mit Grenzübertritten unbegleiteter Kinder und Jugendlicher konfrontiert. Am Ende unterzeichnete er ein einstimmig vom Kongress verabschiedetes Gesetz, das vorschrieb, betroffene Minderjährige in eine Umgebung zu bringen, die so «restriktiv» wie möglich sein solle.

Auch sein Nachfolger Barack Obama war 2014 mit einem Andrang von allein reisenden Kindern, aber auch ganzen Familien konfrontiert. Hintergrund war eine Gewalteskalation in Mittelamerika. Zeitweise versuchte die damalige US-Regierung, die Migranten in speziellen Haftzentren unterzubringen. Doch ein Urteil eines Bundesrichters in Kalifornien machte ein Umdenken nötig: Er befand, dass das bisherige Vorgehen gegen das seit langem bestehende Einvernehmen verstosse, Kinder nicht in gefängnisähnliche Einrichtungen zu stecken - selbst wenn sie gemeinsam mit ihren Eltern dorthin gebracht würden.

In der Folge begannen Behörden, die Familien ins Land zu lassen. Dort sollten sie dann warten, bis sie über ihren nächsten Gerichtstermin informiert würden, so die Order der Beamten.

Und jetzt im Schnellvorlauf in die Ära Trump, der mit dem Versprechen einer grossen Grenzmauer Wahlkampf machte. Sein Justizminister Jeff Sessions mokierte sich über die Einwanderungspolitik nach dem Motto «Catch-and-Release», also das Fangen und Freilassen von Migranten. Diese nutzten nur das System aus - und machten sich sogar mit Kindern auf den Weg, um einer Haft zu entgehen und dann vor Gerichtsterminen abzutauchen, beklagen Trump und Sessions.

Hat sich jetzt etwas geändert oder nicht?

Und wie. Zwar schreibt die neue Linie in Trumps Migrationspolitik nicht explizit die Trennung von Familien vor, wie das jüngst auch Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen betonte. Doch klar ist auch: Trumps Politik macht Entzweiungen von Familien unvermeidlich.

Schon nach Trumps Wahlsieg brachte der damalige Heimatschutzminister John Kelly - mittlerweile Stabschef im Weissen Haus - die Idee von Familientrennungen als Mittel der Abschreckung vor illegalen Grenzübertritten ins Spiel. Doch in ihrer Frühphase konzentrierte sich Trumps Regierung vor allem auf ein Einreiseverbot für Bürger bestimmter muslimischer Länder.

Im April aber verkündete Sessions einen Plan: Die USA würden fortan «null Toleranz» bei illegalen Grenzübertritten zeigen. Soll heissen: Wenn die Art der Einreise eines Asylbewerbers unangemessen ist, wird dies strafrechtlich verfolgt, selbst dann, wenn diese Person nicht vorbestraft ist. Die Folge: Erwachsene werden verhaftet, und ihre Kinder fortgebracht.

Heimatschutzministerin Nielsen sorgte für Verwirrung, indem sie steif und fest behauptete, dass Kinder nur unter bestimmten Umständen von Eltern getrennt würden, etwa wenn der Erwachsene das Gesetz gebrochen habe. Das ist falsch, da die Ministerin damit den Eindruck erweckt, dass nur Minderjährige, die mit Bandenmitgliedern oder gewaltbereiten Kriminellen unterwegs sind, von ihren Eltern geschieden würden. Nach dem US-Gesetz ist der reine Akt des Grenzübertritts ohne Papiere eine Straftat, es sei denn ein Schutzsuchender findet einen als solchen ausgewiesenen Grenzübergang und beantragt Asyl.

Das Ergebnis: Binnen sechs Wochen nach Sessions Ankündigung wurden rund 2000 Minderjährige an der Grenze von Erwachsenen getrennt.

Wurden unter Obama auch Familien entzweit?

Familien an der Grenze zu trennen, sei «nichts Neues», erklärte Nielsen. Dies habe es auch schon unter George W. Bush und Obama gegeben, wenn auch in geringerem Umfang.

Mag sein, aber in viel, viel geringerem Umfang.

Gil Kerlikowske, der Beauftragte für Zoll und Grenzschutz von Anfang 2014 bis zum Ende von Obamas Amtszeit, betont, dass Migranten von ihren Kindern getrennt worden seien, wenn sie festgenommen worden seien, etwa wegen mutmasslichen Drogenvergehen oder unvollstreckten Haftbefehlen. Doch sei die Quote der Trennungen «verschwindend klein» im Vergleich zur damaligen Zahl der Ankömmlinge gewesen.

Kerlikowske muss es wissen: Schliesslich war er im Sommer 2014 für die Grenzschutzbehörde zuständig, als die US-Beamten mit einem Andrang von Kindern und Familien aus Mittelamerika konfrontiert waren, der heutige Zahlen weit übersteigt.

Was haben die Demokraten damit zu tun?

Nicht viel. Doch scheinen sie die Debatte zu nutzen, um Republikaner vor den Zwischenwahlen im November zum Bruch mit dem Präsidenten zu drängen.

Trump hingegen hat wiederholt die Demokraten für Familientrennungen verantwortlich gemacht - und dabei auf ein «schreckliches Gesetz» verwiesen. Doch gibt es kein solches Gesetz, und selbst wenn es eine Regelung zu Trennungen von Familien gäbe, könnten die Demokraten als Minderheit im Kongress nicht allein für eine Änderung sorgen. Und das 2008 vom Republikaner Bush unterzeichnete Gesetz bezog sich nur auf unbegleitete Minderjährige, nicht auf Familien.

Die grössere Hürde besteht wohl darin, dass die derzeit im Kongress tonangebenden Republikaner in der Migrationsfrage tief gespalten sind. Gemässigte Mitglieder werben für einen Plan, der die Trennungen von Familien zurückfahren soll und einen Pfad zur Staatsbürgerschaft für junge Migranten beinhaltet, die als Kinder in die USA gebracht wurden und blieben.

Doch viele Hardliner unter den Republikanern stossen sich an jeglichen Gesetzesvorlagen, die illegal eingereiste Migranten vor Abschiebung schützen würden. Dies wäre «Amnestie», beklagen sie. Die Kluft in der Partei erschwert die Chancen, ein Gesetz durch das Repräsentantenhaus zu bringen und im Senat auf die nötigen 60 Ja-Stimmen zu kommen.

Einige Demokraten spekulieren, dass Trump die humanitäre Krise an der Grenze als Hebel nutzen könnte, um ein härteres Einwanderungsgesetz durchzusetzen. Diese Darstellung hat das Weisse Haus zurückgewiesen. Doch betonte Regierungssprecher Hogan Gidley erst kürzlich, dass jegliche Krise auf die Demokraten zurückgehe. Schliesslich seien sie es, die Trumps ursprünglichen Migrationsplan abgelehnt hätten.

Was soll das mit der Bibel?

Vergangene Woche bemühte Justizminister Sessions ein Bibelzitat aus dem Römerbrief des Apostels Paulus, um die Migrationspolitik zu rechtfertigen. «Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen», heisst es dort unter anderem. Doch etliche Geistliche liefen Sturm, darunter Franklin Graham, ein langjähriger Verbündeter von Trump. Die Null-Toleranz-Politik der Regierung sei «schändlich», kritisierte der Pfarrer.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite