Gift-Anschlag vor einem Jahr All die Spuren nach Pjöngjang: Der Mord an Kim Jong Uns Halbbruder

Von Christoph Sator, dpa

13.2.2018

Vor genau einem Jahr wurde der Halbbruder von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un ermordet. Zwei jungen Frauen droht deshalb die Todesstrafe. Doch vor Gericht gibt es kaum noch Zweifel, woher der Auftrag kam.

Vor einem Jahr feierte Siti Aishah ihren 25. Geburtstag. Von dem Abend in einem Restaurant in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur gibt es auch ein Video. Zu sehen ist, wie jemand der Indonesierin, die auf eine TV-Karriere hoffte, eine Kerze hinhält und sagt: «Und dann wird die Person neben mir eine Berühmtheit.» Aishah bläst die Kerze aus und lacht.

Die Prophezeiung ging auch in Erfüllung. Nur ganz anders als gedacht.

Vielmehr geriet Aishah durch das, was sie am nächsten Morgen tat, weltweit in die Schlagzeilen. Auf Kuala Lumpurs Internationalem Flughafen rieb sie, zusammen mit einer Vietnamesin namens Doan Thi Huong (29), dem Halbbruder von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un, Kim Jong Nam, eine Chemikalie ins Gesicht: Das Nervengift VX. Zwei Stunden später an jenem 13. Februar war der 45-Jährige tot.

Angeklagten droht die Todesstrafe

Noch in derselben Woche wurden die beiden Frauen verhaftet. An ihrer Täterschaft gibt es aufgrund der Aufnahmen der Überwachungskameras keine Zweifel. Seit vier Monaten stehen sie in Malaysia vor Gericht. Werden sie wegen Mordes verurteilt, hat das zwangsläufig die Todesstrafe zur Folge. Ihre einzige Chance: glaubhaft zu machen, dass sie keine Ahnung davon hatten, was sie da eigentlich taten.

Beide behaupten, dass sie von verschiedenen Männern, die sie für Japaner oder Chinesen hielten, für eine TV-Sendung nach Art der «Versteckten Kamera» angeworben wurden. Der Spass soll darin bestanden haben, einem fremden Mann Babyöl oder ähnliches ins Gesicht zu schmieren. Im Prozess kam heraus, dass Aishah das schon ein paar Mal gemacht hatte, ohne dass jemand verletzt wurde. Heissen muss das nichts.

Die Verteidigung argumentiert nun, dass sich Aishah und Huong wohl kaum freiwillig einer solch grossen Gefahr ausgesetzt hätten: VX ist von den Vereinten Nationen als Massenvernichtungsmittel eingestuft. Ausserdem, so die Anwälte, hätten sie ja wohl sofort die Möglichkeit zur Flucht ausser Landes genutzt. Andererseits gibt es Aufnahmen, wie die beiden nach dem Überfall die Hände weit von sich halten und zur Toilette rennen. Wegen Babyöls muss man das nicht.

Das Opfer soll zuvor einen US-Agenten getroffen haben

Vor Gericht plädierten die beiden gleich zu Beginn auf «nicht schuldig». Seither schweigen sie. Auf der Anklagebank sitzen sie nun stets im langen Kleid bis zu den Knöcheln, mit Kopftuch und manchmal sogar mit einem Tuch vor dem Mund - angeblich zum Schutz vor der Klimaanlage, die tatsächlich alles übertrieben herunterkühlt. Aber so sieht man von ihnen auch nicht viel. Es ist ein bizarres Bild.

Aber auch so wird wird von Termin zu Termin deutlicher, dass der Auftrag wohl tatsächlich aus Nordkorea kam - auch wenn sich der kommunistische Einparteienstaat weiterhin gegen jeden Verdacht wehrt. Die Behauptung, der ältere Kim - ein Mann zwischen 120 und 140 Kilogramm - sei an einem Herzinfarkt gestorben, wurde durch die Obduktion widerlegt. Spuren des Nervengifts fanden sich auf seinem Gesicht, im Gehirn, in Lunge, Leber und Milz.

Das Opfer war ältester Sohn des langjährigen Machthabers Kim Jong Il (1941-2011) aus einer früheren Ehe. Eine Zeit lang galt er als erster Anwärter auf die Nachfolge, fiel dann aber in Ungnade. Die letzten Jahre lebte er ausserhalb Nordkoreas, mit einem gewissen Ruf als Playboy. Regimekritiker war er nicht. Manche Experten vermuten, dass er sich für einen Sturz seines Halbbruders bereithielt. Kurz vor seinem Tod soll er sich mit einem US-Geheimdienstler getroffen haben - wozu es vor Gericht bislang aber keine Bestätigung gab.

Polizei: Mord wurde von Agenten Nordkoreas geplant 

Nach den Ermittlungen der Polizei wurde der Giftmord von vier nordkoreanischen Agenten geplant, die am Tag der Tat mit einem Auto der Botschaft zum Flughafen kamen und sich danach sofort Richtung Heimat absetzten. Zuvor trafen sie noch einen nordkoreanischen Diplomaten. Drahtzieher soll ein Mann namens Hong Song Hac (34) gewesen sein, der nun wie die anderen mit Interpol-Haftbefehl gesucht wird.

Trotzdem ist von Nordkorea im Prozess bislang erstaunlich wenig die Rede. Zwar sagte selbst Aishas Verteidiger Gooi Soon Seng am Rande des Prozesses am vergangenen Freitag der dpa: «Auf die eine oder andere Art und Weise ist Nordkorea involviert.» Das Gericht selbst jedoch lässt sich Zeit. Offensichtlich ist auch Malaysia daran gelegen, den Prozess aktuell möglichst wenig zu politisieren.

In den ersten Wochen nach der Tat herrschte zwischen beiden Staaten diplomatische Eiszeit. Mittlerweile hat sich das Verhältnis wieder entspannt. Wie gross das Misstrauen aber noch ist, sieht man daran, dass die Angeklagten jedes Mal von einem Grossaufgebot an Scharfschützen ins Gericht und wieder weggebracht werden. Aus Sorge vor einem Attentat - von wem auch immer - tragen sie stets schusssichere Westen.

Wann das Urteil fallen wird, weiss noch niemand.

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