Aus Sibirien ins US-Gefängnis Aus Sibirien ins US-Gefängnis: Aufstieg und Fall der Maria Butina

AP

12.9.2018

Als Maria Butina 2011 aus Sibirien nach Moskau kam, wusste sie nach Angaben ihres Schiesstrainers nicht einmal, wie man eine Waffe abfeuert. Dennoch wollte sie eine russische Version der US-Waffenlobby National Rifle Association gründen. Zwar lernte sie schnell, doch ihr Versuch, das Waffenrecht in Russland zu liberalisieren, scheiterte bald. Als sie 2014 in Washington ankam, vertrat sie eine russische Schützenvereinigung, die sich in der Heimat bereits totgelaufen hatte. Nun berichten Vertreter der Waffenlobby über das seltsame russische Projekt zur Waffenliberalisierung, das mit Gegnern wie Präsident Wladimir Putin zum Scheitern verurteilt schien.

US-Gerichtsunterlagen zufolge war die russische Waffenrechtsvereinigung nur vorgeschoben, damit Butina und ihr einflussreicher Mentor Alexander Torschin die NRA infiltrieren und verdeckte russische Kanäle zu US-Konservativen nutzen konnten, während Donald Trump an die Macht kam.

Befragung in Washington am Montag

Die seit Juli wegen verdeckter ausländischer Agententätigkeit inhaftierte 29-Jährige soll am Montag in Washington angehört werden. Sie plädiert auf nicht schuldig, und ihr Anwalt bezeichnete die Anklage als übertrieben und fehlerhaft. Die russische Regierung nennt sie eine politische Gefangene, die NRA kommentierte die Sache nicht.

Beobachtern zufolge begannen Butina und Torschin zunächst eigenständig damit, Kontakte zur Republikanischen Partei aufzubauen, mit dem Ziel, die lähmenden Wirtschaftssanktionen zu lockern und dem Kreml zu gefallen. Es ist unklar, wann und in welchem Ausmass sich die russischen Geheimdienste beteiligten. Doch offensichtlich versuchte auch niemand aus Russland, sie zu stoppen.

Die seit Juli wegen verdeckter ausländischer Agententätigkeit inhaftierte Maria Butina soll am Montag in Washington angehört werden.
Die seit Juli wegen verdeckter ausländischer Agententätigkeit inhaftierte Maria Butina soll am Montag in Washington angehört werden.
Bild: Pavel Ptitsin/AP/dpa

Butina und Torschin, lange Jahre im russischen Föderationsrat und heute stellvertretender Leiter der russischen Zentralbank, wurden jedenfalls nicht dafür bestraft, dass sie sich offen für Waffenrechte einsetzten, obwohl viele in Russlands Führung die Idee als subversiv betrachten. Nach Angaben von Butinas US-Anwalt Robert Driscoll rechnete seine Mandantin eher mit einer Strafverfolgung in Russland als in den USA: «Sie sagte: 'Ich dachte immer, wenn ich ins Gefängnis komme, dann in Russland, weil ich für Waffenrechte eintrete, und jetzt bin ich in Amerika im Gefängnis, weil ich für bessere Beziehungen zwischen den USA und Russland eingetreten bin.' Irgendetwas stimmt da nicht.»

Waffen sind in Russland streng reglementiert. Zivilisten können nur Jagdgewehre und glattläufige Schusswaffen kaufen und müssen sich auch dafür einer umfangreichen Überprüfung unterziehen. Eine Lockerung der strengen Waffengesetze, etwa für den Besitz von Handfeuerwaffen, wäre lukrativ für Waffenhersteller – eine Aussicht, die Butinas Aufstieg in Gang setzte.

Gesicht der Lobbygruppe «Recht auf Waffen»

Der milliardenschwere Transportunternehmer Konstantin Nikolajew und seine Frau Swetlana Nikolajewa, eine Sportschützin und Geschäftsführerin der russischen Waffenschmiede ORSIS, brachten Butina 2011 aus ihrer Heimat Sibirien nach Moskau, wie ein Vertreter der russischen Waffenindustrie angibt. Demnach wurde Butina von Nikolajewa gedrängt, das Gesicht der Lobbygruppe «Recht auf Waffen» nach dem Vorbild der NRA zu werden.

«Butina hatte noch nie zuvor eine Waffe abgefeuert»

Boris Paschtschenko, Leiter eines Schützenvereins in Moskau, arbeitete damals eng mit Butina zusammen. «Ich sah ihre Gruppe am Schiessstand, als sie sich am Anfang organisierten», sagte er. «Butina hatte noch nie zuvor eine Waffe abgefeuert; ich war es, der ihr das beibrachte.»

Butinas Anwalt wollte ihre Schiesskünste nicht kommentieren. Doch nach Angaben von Mitaktivisten war sie eine effiziente Organisatorin, die solide finanzierte Kundgebungen auf die Beine stellte und Waffenliebhaber unterschiedlicher Meinungen auf einen Kurs brachte. Sie studierte das Handbuch der NRA, seine Slogans und Statistiken.

Torschin nutzte unterdessen Verschiebungen in der US-Politik. Viele Konservative begannen, Putins Russland mit seiner nationalistischen, traditionalistischen Ausrichtung und neu gefundenen Frömmigkeit als gleichgesinnten Freund zu betrachten. Er besuchte die USA häufig während seiner Zeit im Föderationsrat - dem russischen Oberhaus - zwischen 2001 und 2015, erwarb eine NRA-Mitgliedschaft auf Lebenszeit und beobachtete die US-Präsidentschaftswahl 2012.

Torschins & Butinas gemeinsamer Gesetzesentwurf 

Torschin lernte Butina 2011 kennen. Nach Angaben aus ihrem Umfeld begannen die beiden, einen Gesetzesentwurf zur Liberalisierung des Besitzes von Handfeuerwaffen auszuarbeiten. Doch als Torschin die Gesetzesvorlage im Juli 2012 einbrachte, wurde sie in Stücke gerissen. Schliesslich hatte sich Putin einige Monate zuvor gegen eine Liberalisierung ausgesprochen: «Der freie Verkehr von Schusswaffen bringt weitreichendes Chaos und eine grosse Gefahr mit sich.»

В оружейном магазине. Израиль, Тель-Авив.

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Butinas Anwalt Driscoll betont: «Sie wollten in Sachen Einfluss eine russische NRA sein. Aber sie wussten, dass man in Russland nie ein Second Amendment (Verfassungszusatz) wie in den USA haben wird nach dem Motto 'Man muss sich gegen die Tyrannei bewaffnen'. Dafür kommt man ins Gefängnis.»

Der Traum von den russischen Waffenrechten schien ausgeträumt. 2014 trat Butina von ihrem Posten als Vorsitzende der Lobbygruppe «Recht auf Waffen» zurück. «Nach ihrem Ausstieg hörte ich nichts Bedeutungsvolles mehr von ihnen», sagt Alexej Owsijenko, Waffenaktivist und Mitglied der Libertären Partei in Russland.

Kontaktpflege zur NRA

Doch Butina und Torschin setzten ihre Lobbyarbeit fort und empfingen zwei Mal NRA-Delegationen in Moskau, darunter den Republikaner Paul Erickson, der später nach Angaben der US-Staatsanwaltschaft in den USA Butinas Liebhaber werden und ihr helfen sollte, Zugang zur US-Rechten zu bekommen. Sie und Torschin trafen sich mit Republikanern auf dem NRA-Kongress in Nashville, darunter war nach einem Tweet Torschins auch Donald Trump. 2016 begann Butina ein Studium an der American University.

Aufgrund von Twitter- und anderen Nachrichten glaubt das FBI, Butina sei auf Anordnung von Torschin nach Washington gezogen, um ihre NRA-Kontakte zu nutzen – und die Grundlagen für langfristiges Lobbying zu schaffen. Stattdessen führte dies zu ihrer Festnahme und Anklage.

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