G7-Gipfel Biden bringt den Westen gegen China in Stellung

Von Sven Hauberg

10.6.2021

Am Mittwoch ist Joe Biden in Grossbritannien eingetroffen. Im Gepäck: grosser Redebedarf, vor allem über China.
Am Mittwoch ist Joe Biden in Grossbritannien eingetroffen. Im Gepäck: grosser Redebedarf, vor allem über China.
Bild: Keystone

Joe Biden könnte gelingen, woran sein Vorgänger gescheitert war: Der US-Präsident versucht, die G7-Staaten auf Anti-China-Kurs zu bringen. Seine Chancen stehen gut, doch ein Dilemma bleibt.

Von Sven Hauberg

10.6.2021

«Chancen multiplizieren sich, wenn man sie ergreift», schrieb der chinesische Philosoph Sunzi vor rund 2500 Jahren. Ob sich Joe Biden jemals mit den Aussprüchen des Militärstrategen und dessen «Kunst des Krieges» beschäftigt hat, ist nicht bekannt. Immer deutlicher wird allerdings: Wenn es um das China von heute geht, setzt Biden auf Konfrontation. Und die Chancen, dass er den Westen hinter sich versammeln könnte, stehen so gut wie lange nicht mehr. Nun versucht Biden, sie zu nutzen.

«Ich glaube, wir befinden uns an einem Wendepunkt der Weltgeschichte», erklärte Biden, nachdem er am Mittwoch in Grossbritannien zu seiner ersten Auslandsreise als US-Präsident eingetroffen ist. Demokratie, so Biden, entstünde nicht durch Zufall. «Wir müssen sie verteidigen. Wir müssen sie stärken.» Und weiter: «Wir müssen diejenigen in Misskredit bringen, die glauben, dass das Zeitalter der Demokratie vorbei ist.»



Wen Biden meint, wenn er von den Feinden der Demokratie spricht, ist klar: Russland natürlich, vor allem aber China. In Grossbritannien, wo ab Freitag die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrienationen im Badeort Carbis Bay zusammenkommen, will Biden seine G7-Kolleginnen und -Kollegen nun auf eine gemeinsame Linie gegen Peking bringen.

«Wir befinden uns in einem Wettbewerb»

Dem 78-Jährigen könnte dabei gelingen, woran sein Vorgänger gescheitert ist. Auch Donald Trump hatte sich bemüht, eine gemeinsame Front gegen China zu errichten, mit Gepolter und Drohungen allerdings; Biden versucht es nun mit Argumenten und mit dem Instrument des Multilateralismus. Aber auch mit dem Heraufbeschwören eines Schreckgespenstes; wenn sich der Westen heute nicht gemeinsam gegen China stelle, so die Botschaft des Demokraten, könnte es morgen schon zu spät sein.

Wie ernst es ihm mit seinem neuen China-Kurs ist, hat Biden in den letzten Tagen eindrücklich bewiesen. Am Dienstagabend verabschiedete der US-Senat einen Gesetzesentwurf, der milliardenschwere Investitionen in Technologie und Entwicklung vorsieht. «Wir befinden uns in einem Wettbewerb, um das 21. Jahrhundert zu gewinnen», sagte Biden. «Und der Startschuss ist gefallen.» Die USA wollen einerseits unabhängiger werden von China, etwa im Bereich der Halbleiter, und gleichzeitig den technologischen Vorsprung zum Konkurrenten aus Fernost weiter ausbauen.

Nur wenige Stunden später ging Biden auch militärisch auf Konfrontationskurs zu Peking. Sein Verteidigungsminister Lloyd Austin erliess eine Direktive, nach der sich seine Behörde fortan stärker auf China konzentrieren solle. Man wolle, so Austin, «unser Netzwerk von Verbündeten und Partnern wiederbeleben, die Abschreckung stärken und die Entwicklung neuer operativer Konzepte, neuer Fähigkeiten, zukünftiger Streitkräfte und einer modernisierten zivilen und militärischen Belegschaft beschleunigen». Vor allem die Bedrohung Taiwans durch China sieht man in Washington mit zunehmender Sorge.

Brisantes Communiqué

Am Donnerstag wurde schliesslich bekannt, dass die Teilnehmer des G7-Gipfels in einer gemeinsamen Erklärung eine neue Untersuchung zum Ursprung des Coronavirus fordern wollen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf den Entwurf eines Communiqués. Hinter dem Schritt dürfte Biden stecken – der US-Präsident hatte seine Geheimdienste unlängst aufgefordert, auch die lange Zeit als Verschwörungstheorie abgetane Labor-These neu ins Visier zu nehmen.



Ein weiterer Punkt des Communiqués: Die G7-Staaten wollen effektiver gegen Zwangsarbeit in globalen Lieferketten vorgehen. Nicht explizit genannt, aber wohl gemeint sind damit auch die Zustände in der chinesischen Provinz Xinjiang, in der sich Hunderttausende Uiguren in Lagern befinden und zur Arbeit auf Baumwollfeldern gezwungen werden sollen.

Noch ist das Communiqué nur ein Entwurf. Ob es am Sonntag, wenn der G7-Gipfel zu Ende geht, in dieser Form verabschiedet wird, ist unklar. Offen ist auch, wie weit die G7-Staaten dem US-Amerikaner in seiner Auseinandersetzung mit Peking folgen werden.

Alle gegen China, China gegen alle?

Grossbritannien, Gastgeber des Gipfels, ist einerseits nach dem Brexit auf den Handel mit China stärker denn je angewiesen. Gleichzeitig will sich Premier Boris Johnson aber auch mit einer starken Aussenpolitik profilieren, weswegen er den Schulterschluss mit den USA sucht. Gegenüber China hat London zuletzt einen härteren Kurs gefahren als der Rest Europas: Seine Regierung bot Hunderttausenden Bürgern Hongkongs den britischen Pass an, entsandte einen Flugzeugträger in Richtung China und untersagte dem Telekommunikations-Ausrüster Huawei, sich am Ausbau des britischen 5G-Netzes zu beteiligen. Peking reagierte erzürnt.



Auch zwischen Peking und Ottawa herrscht dicke Luft. Nachdem vor rund zwei Jahren in Kanada die Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou wegen des Verdachts auf Bankbetrug festgenommen worden war, reagierte China mit Vergeltungsaktionen und inhaftierte mehrere kanadische Diplomaten, die in anschliessenden Geheimprozessen verurteilt wurden.

Japan, jenes G7-Land, das China geografisch und kulturell am nächsten ist, blickt derweil mit Sorge auf das chinesische Expansionsbestreben vor der eigenen Haustür. Pekings Drohgebärden gegenüber dem benachbarten Taiwan werden immer martialischer, und dann sind da noch die Senkaku-Inseln, eine Felseninselgruppe im Ostchinesischen Meer, um die sich Tokio und Peking seit Jahren streiten. 

Zwei Fronten

Bleiben die EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Italien. Nachdem sich die Europäische Union lange nicht auf einen gemeinsamen China-Kurs einigen konnte – vor allem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte gebremst –, verhängte die EU Ende März erstmals seit mehr als 30 Jahren Sanktionen gegen Peking; die Strafmassnahmen sollen die Verantwortlichen für die Unterdrückung der Uiguren treffen. Gleichzeitig sind die Sanktionen Ausdruck eines neuen politischen Selbstbewusstseins der EU gegenüber China, dem zweitwichtigsten Handelspartner der Union.



Auch wenn die Chancen gut stehen für Biden, seine G7-Partner in Carbis Bay auf Linie zu bringen, ein Dilemma bleibt, jenseits aller wirtschaftlicher Verflechtungen: Neben der Beendigung der Pandemie hat Biden den Kampf gegen den Klimawandel zum Kernziel seiner Präsidentschaft gemacht. Und ohne China, den weltweit grössten Emittenten von Kohlendioxid, ist dieser Kampf nicht zu gewinnen.

Es sind also zwei Fronten, an denen der US-Präsident derzeit kämpft. Das Schizophrene dabei: Einmal ist China sein Gegner, einmal sein Verbündeter. Aber schon Sunzi, der alte chinesische Philosoph, wusste: «Das eigentliche Ziel des Krieges ist der Frieden.»