Israel Blinken in Nahost: Zeit drängt für Waffenruhe

SDA

21.8.2024 - 04:31

dpatopbilder - US-Außenminister Antony Blinken mit dem ägyptischen Außenminister Badr Abdelatty zu Gesprächen zum Nahostkonflikt. Foto: Kevin Mohatt/Pool Reuters/AP/dpa
dpatopbilder - US-Außenminister Antony Blinken mit dem ägyptischen Außenminister Badr Abdelatty zu Gesprächen zum Nahostkonflikt. Foto: Kevin Mohatt/Pool Reuters/AP/dpa
Keystone

Begleitet von wachsender Skepsis setzt US-Aussenminister Antony Blinken seine intensiven Bemühungen um eine Waffenruhe in Gaza fort.

Nach Gesprächen in Israel reiste er nach Ägypten und Katar, die gemeinsam mit den USA bei indirekten Gesprächen über eine Einigung zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas vermitteln. Einem Medienbericht zufolge droht ein Abkommen indes, ohne unmittelbare Alternative zu scheitern. Derweil eskalierte der gefährliche Konflikt an Israels Nordgrenze weiter. Die libanesische Hisbollah und Israels Luftwaffe griffen erneut gegenseitig Ziele im jeweils anderen Land an.

Blinken: Tun alles, um Hamas mit an Bord zu bekommen

Bei seiner Ankunft in Doha sagte Blinken vor Journalisten: «Wir müssen die Vereinbarung einer Waffenruhe und Geisel-Freilassung über die Ziellinie bringen.» Die Zeit dränge, weil das Leben der Hamas-Geiseln mit jedem Tag stärker in Gefahr sei. Ausserdem litten die Menschen in Gaza jeden Tag, sagte der US-Aussenminister. Alle Vermittler setzten sich dafür ein, eine weitere Eskalation in der Region zu verhindern. Katar und Ägypten seien in direktem Kontakt mit der Hamas, um eine Einigung zu erzielen. «In den nächsten Tagen werden wir alles Mögliche unternehmen, um die Hamas mit dem Überbrückungsvorschlag an Bord zu bekommen», sagte er. Danach müssten sich die beiden Seiten auf weitere Details einigen.

Blinken hatte am Montag in Israel gesagt, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe bei einem «sehr konstruktiven Treffen» den jüngsten von den USA unterstützten Vorschlag über eine Waffenruhe in Gaza akzeptiert. Es handele sich um einen «Überbrückungsvorschlag», der auf einem im Mai von US-Präsident Joe Biden vorgestellten Plan basiere. Nun sei es an der Hamas, dem Vorschlag zuzustimmen.

Hamas: USA dulden neue Forderungen Netanjahus

Die Hamas warf den USA jedoch vor, sich mit dem jüngsten Überbrückungsvorschlag Israels Bedingungen gebeugt zu haben. Washington dulde damit neue Forderungen Netanjahus. Die Hamas werde keine neuen Bedingungen aushandeln, sagte ihr Sprecher Osama Hamdan der Deutschen Presse-Agentur. Es dürfe nur um die Umsetzung des von Biden im Mai vorgestellten Plans gehen. Blinken erklärte dagegen, der «Überbrückungsplan» enthalte lediglich «Klarstellungen und Details» mit Blick auf den ursprünglichen Plan.

Bidens Plan in drei Phasen sieht zunächst eine Waffenruhe von sechs Wochen vor. In diesem Zeitraum würde eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen. Im Gegenzug würden Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind. In der nächsten Phase würden die Kämpfe dann dauerhaft eingestellt und die verbliebenen Geiseln freigelassen. In einer letzten Phase soll dem Entwurf zufolge der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen

Medien: Netanjahu weiter nicht zu Abzug von strategischen Orten bereit

Bei einem Treffen mit Angehörigen von Geiseln sagte Netanjahu nach Medienberichten, es sei nicht sicher, dass es einen Deal mit der Hamas geben werde. Der Regierungschef habe auch erklärt, er sei weiterhin nicht zu einem Rückzug von der strategisch wichtigen Pufferzone zwischen dem Gazastreifen und Ägypten sowie dem Nezarim-Korridor bereit, der den Gazastreifen in einen nördlichen und einen südlichen Abschnitt teilt. Die Hamas besteht aber auf einem vollständigen Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen als Bedingung für eine Waffenruhe. Kritiker werfen Netanjahu vor, er blockiere eine Einigung, weil er bei Zugeständnissen an die Hamas das Scheitern seiner Regierungskoalition fürchten müsste. Nach dem Besuch in Israel traf Blinken sich mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Nach Angaben des Staatsinformationsdienstes SIS sagte Al-Sisi, eine Waffenruhe in Gaza müsse der Anfang einer breiteren Anerkennung eines Palästinenserstaats sein, um Stabilität in der Region zu garantieren.

Ein Bericht des US-Nachrichtenportals «Politico», der sich auf zwei US- und zwei israelische Beamte beruft, sieht das Abkommen indes kurz davor, zu scheitern, ohne dass es eine klare, direkte Alternative gebe.

Im Falle eines solchen Scheiterns der Vermittlungsbemühungen wird eine grössere Eskalation in der Region befürchtet. Nach der Tötung zweier hochrangiger Feinde Israels in Teheran und Beirut vor knapp drei Wochen hatten der Iran und die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah massive Vergeltungsschläge angedroht.

Israelische Armee birgt Leichen von sechs Geiseln

Die israelische Armee hatte in der Nacht zum Dienstag nach eigenen Angaben die Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen geborgen. Die sterblichen Überreste von sechs Männern im Alter von 35 bis 80 Jahren seien in einem Tunnel in Chan Junis im Süden des Küstenstreifens gefunden worden. Angehörige der Geiseln machten der Regierung schwere Vorwürfe, weil ihre Liebsten nicht lebend aus der Geiselhaft gerettet wurden.

Die Hamas hat nun nach israelischer Zählung noch 109 Geiseln in ihrer Gewalt. 36 davon wurden für tot erklärt, 73 gelten als noch am Leben, wie eine israelische Regierungssprecherin mitteilte.

«Die Tage vergehen, und wir verlieren immer mehr Geiseln. Wir müssen einen Deal machen. Wir müssen. Jetzt», schrieb Israels Oppositionsführer Jair Lapid auf der Plattform X.

Angriffe und Kämpfe im Gazastreifen gehen weiter

Bei einem israelischen Angriff auf ein Schulgebäude in der Stadt Gaza sollen palästinensischen Medienberichten zufolge zehn Menschen getötet worden sein. Ziel des Bombardements war nach palästinensischen Angaben ein Schulgebäude, in dem Vertriebene untergebracht gewesen sein sollen. Israels Armee teilte mit, auf dem Gelände habe die Hamas eine Kommandozentrale versteckt. Diese sei Ziel des Angriffs gewesen.

Bei heftigen Kämpfen im Süden des Gazastreifens sind nach israelischen Militärangaben zudem Dutzende militanter palästinensischer Kämpfer getötet worden. Im Bereich der Stadt Rafah seien «rund 40 Terroristen bei Nahkämpfen und Schlägen der israelischen Luftwaffe ausgeschaltet worden», hiess es in einer Mitteilung der Armee. Der militärische Hamas-Arm teilte mit, seine Kämpfer hätten in dem Gebiet einen israelischen Panzer sowie Soldaten in einem Gebäude mit Granaten beschossen.

Auslöser des Gaza-Kriegs war der Terrorangriff der Hamas und anderer Extremisten aus dem Gazastreifen auf den Süden Israels am 7. Oktober. Dabei wurden rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. In dem abgeriegelten Küstengebiet sind laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde seither 40.173 Menschen getötet worden.

Neue Raketen-Salven auf Israel aus dem Libanon

Aus dem Libanon wurden nach israelischen Militärangaben erneut Dutzende Raketen auf den Norden Israels abgefeuert. Die mit dem Iran verbündete Hisbollah teilte mit, sie habe eine «intensive Raketen-Salve» auf Stellungen des israelischen Militärs abgefeuert. Es handle sich um eine Reaktion auf israelische Angriffe am Montag in der Bekaa-Ebene im Libanon, bei denen mindestens acht Menschen verletzt wurden. Die Armee hatte dabei nach eigenen Angaben Waffenlager der Hisbollah angegriffen.

In der Nacht griff die israelische Luftwaffe libanesischen Berichten zufolge erneut in der Bekaa-Ebene an. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurde dabei mindestens ein Mensch getötet, sechzehn weitere wurden verletzt. Bei einem israelischen Angriff im Süden des Libanons waren zuvor nach libanesischen Angaben vier Menschen getötet und zwei weitere verletzt worden. Unter den Toten seien auch drei Hisbollah-Kämpfer gewesen, hiess es aus libanesischen Sicherheitskreisen.

Es besteht die Sorge, die Lage könnte weiter eskalieren und in einen grösseren Krieg münden. Israels Verteidigungsminister Joav Galant sagte dazu, der «Schwerpunkt» verlagere sich allmählich vom Gazastreifen an die nördliche Grenze.