Brexit-Abkommen mit EU Boris Johnson muss zu Hause um den neuen Deal kämpfem

dpa/dor

18.10.2019

Boris Johnson und die EU haben sich zusammengerauft. Im Parlament in London dürfte der neue Brexit-Deal einen schweren Stand haben. Aber will der Premierminister das Abkommen überhaupt durchs Unterhaus bringen?

Zwei Wochen vor dem Brexit-Termin haben sich die Europäische Union und Grossbritannien doch noch auf eine gütliche Trennung geeinigt, doch die Zitterpartie ist damit noch nicht vorbei. Die 27 verbleibenden Staaten billigten den neuen Deal am Donnerstag beim EU-Gipfel. Widerstand gibt es aber im britischen Unterhaus, das am Samstag zustimmen müsste. Premierminister Boris Johnson demonstrierte dennoch Zuversicht und nannte das neue Abkommen grossartig. Auch Kanzlerin Angela Merkel lobte den Kompromiss.

Der Brexit-Durchbruch war unmittelbar vor dem EU-Gipfel gelungen, der eigentlich ganz andere Themen auf der Tagesordnung hatte. Tatsächlich debattierten die 28 Staatenlenker dann abends sehr lange über die blockierten Erweiterungsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien. Aber die seit mehr als drei Jahren angebahnte Scheidung vom Vereinigten Königreich stellte noch einmal alles andere in den Schatten.

Nach der Last-Minute-Einigung wird der 2018 ausgehandelte Austrittsvertrag in entscheidenden Punkten geändert. Die Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland – der sogenannte Backstop – wird auf Wunsch Londons gestrichen und ersetzt. Die neue Lösung ist komplex, aber auch damit soll es keine Zollkontrollen an der inneririschen Grenze geben.



Labour und nordirische DUP dagegen

«Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal», schrieb EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf Twitter. «Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Grossbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden.» Die EU-Staaten machten prompt einen Haken dran und auch das EU-Parlament könnte sich rasch mit der Ratifizierung befassen.

Ganz anders waren die Reaktionen in London. Nicht nur die Labour-Opposition attackierte die Vereinbarung, sondern auch Johnsons parlamentarischer Partner, die nordirische Protestantenpartei DUP. Sie werde im Unterhaus nicht zustimmen, kündigte die DUP an. Die vereinbarte Lösung sei dem wirtschaftlichen Wohl Nordirlands nicht zuträglich und untergrabe die Einheit des Vereinigten Königreichs.

Der britische Premierminister Boris Johnson verkündet bei einer Pressekonferenz in Brüssel am Donnerstag den neuen Brexit-Deal mit der EU.
Der britische Premierminister Boris Johnson verkündet bei einer Pressekonferenz in Brüssel am Donnerstag den neuen Brexit-Deal mit der EU.
Bild: AP Photo/Francisco Seco

Zum Schwur kommen könnte es bei einer Sondersitzung des Parlaments am Samstag. Johnson hat im Unterhaus ohnehin keine Mehrheit und kann nur auf Unterstützung aus der Opposition hoffen. Johnson sagte auf besorgte Nachfragen nur, er sei «sehr zuversichtlich», dass Abgeordnete aller Parteien bei näherer Prüfung des Abkommens den Nutzen einer Zustimmung erkennen könnten.

Der britische Premier will sein Land unbedingt zu Halloween, am 31. Oktober, aus der Staatengemeinschaft führen. Lange hatte er versichert, Grossbritannien werde auch ohne Deal aussteigen. Ein britisches Gesetz verpflichtet ihn aber, bei der EU um Aufschub zu bitten, falls bis Samstag kein Abkommen vom Parlament gebilligt ist. In dem Fall dürften die EU-Staaten dies auch gewähren.

Eine lange Verlängerung wird die EU nicht gewähren, das hat Juncker bereits angekündigt. Sie könnte aber für eine vorgezogene Neuwahl reichen. Und die Konservativen haben mit Johnson gute Chancen, diese Wahlen zu gewinnen. Im Wahlkampf könnte der Premierminister dann betonen, dass er im Gegensatz zur Opposition ein Ausstiegsabkommen mit der EU hat –  die Gegenseite hingegen nur Unsicherheiten, mit denen kein Ende des Brexit-Dramas in Sicht ist.



Keine Kontrollen zwischen beiden Teilen irischer Insel

Der EU war es besonders wichtig, keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel einzuführen, um den zerbrechlichen Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet nicht zu gefährden. Doch wollte sie auch nicht riskieren, dass unkontrolliert und unverzollt Waren über die neue EU-Aussengrenze in den Binnenmarkt strömen.

Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards; Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs; es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden; und die nordirische Volksvertretung kann vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten soll.

Der vom Brexit besonders betroffene EU-Staat Irland trägt dies mit. «Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt», schrieb Regierungschef Leo Varadkar auf Twitter. Bundeskanzlerin Merkel sagte: «Wir haben natürlich alle im Herzen, dass es kein freudiger Tag ist, denn ein Mitgliedsland scheidet aus der Europäischen Union aus.»

Geändert wurde auch die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Grossbritannien, wie EU-Unterhändler Michel Barnier erläuterte. Darin gebe Grossbritannien «solide Garantien», dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden.

«Noch schlechterer Deal als der von Theresa May»

Labour-Chef Jeremy Corbyn sieht trotzdem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern nach dem EU-Austritt in Gefahr und spricht von einem «Ausverkauf». Der Vorsitzende der grössten Oppositionspartei erklärte: «Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als (seine Vorgängerin) Theresa May

Die Briten hatten vor gut drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. EU-Ratschef Tusk hofft langfristig auf eine Rückkehr Grossbritanniens. «Unsere Tür wird immer offen stehen.»

Nach den Brexit-Beratungen ging es beim Gipfel um den schon seit 2018 geplanten Start von EU-Beitrittsgesprächen mit den Balkanstaaten Albanien und Nordmazedonien. Vor allem Frankreich hatte sich zuletzt dagegen gestemmt, während Merkel den beiden Staaten eine Beitrittsperspektive eröffnen will. Auch die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bedauerte, dass das Verfahren nicht in Gang kommt. Die beiden Länder hätten sich sehr angestrengt, «und mir ist sehr daran gelegen, dass sie ein positives Signal bekommen».

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