Mehr Innovation - weniger Abhängigkeit China will «mehr als sechs Prozent» wachsen

Von Andreas Landwehr und Jörn Petring, dpa

5.3.2021 - 18:33

Chinas Präsident Xi Jinping (l) und Ministerpräsident Li Keqiang stellen ihre ambitionierten Ziele vor.
Chinas Präsident Xi Jinping (l) und Ministerpräsident Li Keqiang stellen ihre ambitionierten Ziele vor.
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Vor dem Volkskongress legt Premier Li Keqiang die Zukunftsstrategie Chinas vor: Robustes Wachstum, höhere Verschuldung, mehr Innovation und vor allem weniger Abhängigkeit vom Rest der Welt.

DPA, Von Andreas Landwehr und Jörn Petring, dpa

Trotz der globalen Rezession durch die Corona-Pandemie will China in diesem Jahr ein starkes Wirtschaftswachstum von mehr als sechs Prozent erreichen.

Um unabhängiger vom Ausland zu werden, unterstrich Regierungschef Li Keqiang am Freitag zur Eröffnung der Jahrestagung des Volkskongresses in Peking die Notwendigkeit, der Entwicklung der heimischen Wirtschaft Vorrang zu geben. Auch sollen eigene Innovationen stärker als bisher gefördert werden, um technologische Abhängigkeiten vom Rest der Welt zu verringern.

Im Mittelpunkt der Plenarsitzung des Parlaments stehen die Ziele und der Haushalt für dieses Jahr, der neue Fünf-Jahres-Plan von 2021 bis 2025 sowie eine umstrittene Wahlreform für Hongkong. Damit will Peking die ohnehin begrenzte Demokratie in der chinesischen Sonderverwaltungsregion noch weiter beschneiden. Wegen der Vorbeugung gegen das Coronavirus wurde die sonst knapp zweiwöchige Sitzung der knapp 3000 Delegierten verkürzt und dauert nur bis Donnerstag.



Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen mit den USA, Indien, Taiwan und im umstrittenen Südchinesischen Meer steigert China seine Militärausgaben in diesem Jahr um 6,8 Prozent. Damit wachsen die Ausgaben für das Militär wieder deutlich schneller als der Gesamthaushalt. Im Vorjahr hatte die Steigerung trotz Corona-Krise 6,6 Prozent ausgemacht. «Die strategischen Fähigkeiten des Militärs, die Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen unseres Landes zu schützen, werden ausgebaut», sagte Premier Li Keqiang.

Als wichtiger Teil der «grossen Erneuerung» des Landes treibt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping die Modernisierung der Streitkräfte massiv voran. «Das beinhaltet, ein Führer in der Welt hinsichtlich internationalen Einflusses zu sein und ein erstklassiges Militär zu haben, das Kriege «kämpfen und gewinnen' kann», sagte die Expertin Helena Legarda vom China-Institut Merics in Berlin.

In den Kontroversen um Hongkong und Taiwan sprach der Premier Li Keqiang deutliche Warnungen aus. In seiner einstündigen Rede wandte er sich gegen «eine Einmischung externer Kräfte» in Hongkong. Auch werde Chinas Führung entschieden gegen «separatistische Aktivitäten» in Taiwan vorgehen, die eine Unabhängigkeit suchen. Peking betrachtet den demokratischen und freiheitlichen Inselstaat als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung.

Das Wachstumsziel von mehr als sechs Prozent für die zweitgrösste Volkswirtschaft war eine Überraschung. Im Vorjahr hatte der Premier wegen der Unsicherheiten durch die Pandemie noch davon abgesehen, wie üblich eine solche Vorgabe zu machen. 2020 waren trotz des Einbruchs der Wirtschaft zum Jahresbeginn aber 2,3 Prozent Wachstum erreicht worden. Während die Welt in der Corona-Rezession steckt, war China die einzige grosse Volkswirtschaft, die Wachstum verzeichnete.

Das Ziel von sechs Prozent gilt als vorsichtig. Der Internationale Währungsfonds sagt sogar 8,1 Prozent für China vorher. Peking hat mit einem massiven Konjunkturprogramm auf die Corona-Krise reagiert. Wegen der Milliardenausgaben kündigte der Premier an, dass der Anteil des Haushaltsdefizit an der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr mit 3,2 Prozent doch wieder über der als kritisch geltenden Marke von drei Prozent liegen wird. Im Vorjahr waren es 3,6 Prozent.

Eine wichtige Neuausrichtung ist das Konzept der «zwei Kreisläufe», in dem die inländische Zirkulation gefördert werden soll. Damit will sich China angesichts der Sanktionen der USA und der globalen Krise selbstständiger machen. Im Rahmen des Fünf-Jahres-Plans solle die Strategie verfolgt werden, «die Binnennachfrage auszubauen, die strukturellen Reformen auf der Angebotsseite zu intensivieren und mit innovationsgetriebener Entwicklung und qualitativ hochwertigen Angeboten neue Nachfrage zu generieren», sagte Li Keqiang.

Innovation bleibe das Herzstück der Modernisierungsoffensive. «Wir werden unsere Wissenschaft und Technologie stärken, um die Entwicklung Chinas strategisch zu unterstützen», gab der Premier vor. Auch die Digitalisierung solle weiter beschleunigt werden. Man werde «schneller daran arbeiten, eine digitale Gesellschaft, eine digitale Regierung und ein gesundes digitales Ökosystem zu entwickeln». Die Ausgaben in Forschung und Entwicklung sollen jährlich um mehr als sieben Prozent steigen. Der Anteil an der Wirtschaftsleistung soll höher klettern als im alten Fünf-Jahres-Plan.

«Chinas Regierung ist sehr bemüht, Schocks für heimische Firmen durch die globalen Lieferketten zu vermeiden», sagte der Vorsitzende der europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, im Staatsfernsehen zu der neuen Strategie. «Gleichzeitig hoffe ich, dass das nicht bedeutet, dass China der Welt den Rücken kehren wird.» Diplomaten sehen «die klare Tendenz», ausländischen Einfluss zu begrenzen und die Wirtschaft autarker zu machen. Dabei wurde die Sorge geäussert, dass China seine Öffnungspolitik langsam zurückdreht.

Wegen der Pandemie hatte die Plenarsitzung im Vorjahr auf Mai verschoben werden müssen. Dass sie wie gewohnt wieder im März stattfindet, demonstriert die Normalisierung in China. Die Abgeordneten in der Grosse Halle des Volkes sind alle geimpft und trugen Mund- und Nasenschutz, während lediglich die Mitglieder der obersten Führung auf dem Podium ohne Maske auftraten. Das bevölkerungsreichste Land hat das Virus mit Ausgangssperren und Massentest für Millionen sowie Kontaktverfolgung, Quarantäne und strikten Einreisebeschränkungen weitgehend in den Griff bekommen.