Zu viele AlteChinas neue Drei-Kind-Politik kommt zu spät
Von Olivia Zhang, Caroline Chen und weiteren AP-Korrespondenten
5.6.2021 - 15:13
China erlaubt Paaren künftig drei Kinder, damit die Bevölkerung nicht weiter schrumpft und die Wirtschaft wachsen kann. Ob das reicht, ist fraglich – denn viele fürchten sich vor einer Dreifachbelastung.
Von Olivia Zhang, Caroline Chen und weiteren AP-Korrespondenten
05.06.2021, 15:13
AP/tjb
Yue Yan versteht, warum immer weniger Chinesinnen Kinder bekommen wollen. Sie selbst ist froh über ihre beiden Töchter und die Kommunistische Partei drängt die Bürgerinnen zu mehr Geburten. Doch die 35-Jährige kennt den Preis. Sie passt tagsüber auf ihre Zweijährige auf und hilft abends der Zehnjährigen bei den Hausaufgaben. Dafür hat sie ihren Job in einem Restaurant aufgegeben.
Die Familie lebt vom Einkommen ihres Mannes. Das können sich in China nicht viele leisten. «Wenn ein junges Paar arbeiten muss und dessen Eltern nicht auf die Kinder aufpassen können, wird es keine wollen», sagt Yue. «Der Druck ist einfach zu gross.» Die Kommunistische Partei Chinas verkündete am Montag, dass Paare nun auch drei Kinder bekommen dürfen statt bislang zwei. Die chinesische Gesellschaft wird immer älter, die Zahl der Geburten sinkt. Doch ob die neue Massnahme gegen den langfristigen Trend hilft, ist fraglich.
Seit 1980 war in China nur ein Kind pro Paar erlaubt. Diese Regel wurde 2015 zu zwei Kindern geändert. Nach einem kurzen Aufwärtstrend im Jahr darauf sank allerdings sogar die Zahl derjenigen, die nur ein Kind bekamen, während der Anteil der über 65-Jährigen anstieg.
Chinas Gesellschaft altert schnell
Die chinesische Bevölkerung – derzeit 1,4 Milliarden Menschen – sollte bisherigen Voraussagen zufolge spätestens ab Ende der 2020er-Jahre schrumpfen. Doch Zensusdaten vom Mai zeigen, dass dies schneller passiert als erwartet. Der Druck wächst, sich auf ein langsameres Wirtschaftswachstum einzustellen und mehr für die Alten zu tun.
Das höhere Durchschnittsalter könnte die Bestrebungen der Staatsführung abbremsen, China zu einer technologisch führenden und blühenden, konsumentengetriebenen Volkswirtschaft zu machen. «Die Alterung der chinesischen Bevölkerung schreitet schneller voran, als wir erwartet haben», sagt Yi Fuxian, Experte für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin in Madison. «Das wird dazu führen, dass das Wirtschaftswachstum zurückgeht.»
Wie der Statistikbeamte Ning Jizhe bei der Verkündung der Zensusdaten im Mai sagte, wurden 2020 zwölf Millionen Geburten registriert – das ist fast ein Fünftel weniger als noch 2019. Rund 40 Prozent der Geburten waren zweite Kinder. Im Jahr 2017 betrug ihr Anteil noch 50 Prozent. Der Anteil der Arbeitenden unter 60 Jahren belief sich demnach 2020 auf 63,3 Prozent, zehn Jahre zuvor waren es noch 70,1 Prozent. Die Gruppe 65 Plus wuchs von 8,9 Prozent auf 13,5 Prozent. China und andere asiatische Länder wie auch Thailand müssen sich der Frage stellen, ob sie noch reich werden können, bevor sie alt geworden sind.
Es droht die demografische Falle
Chinesischen Forschern und dem Arbeitsministerium zufolge könnte der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter bis 2050 auf die Hälfte der Bevölkerung fallen. Somit steigt der Abhängigkeitsquotient, also die Zahl der Ruheständler, die auf jeden Arbeiter kommen, der Einkommen für die Rentenkasse und Steuern für die Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen erwirtschaften muss.
Dazu steigt die Anzahl der Ruheständler, die allein leben, weil ihre Kinder wegen der Arbeit weggezogen sind. Südwestlich von Peking lebt Kang Yuxia im Kreis Dingxing, wo sie täglich mehr als 50 Menschen mit einem kostenlosen vegetarischen Mittagessen versorgt. Die meisten von ihnen sind über 60-Jährige, deren Kinder ihr Zuhause in den tristen Flachbauten inmitten von Feldern verlassen haben, um in der 100 Kilometer entfernten chinesischen Hauptstadt zu arbeiten.
«Die Söhne und Töchter müssen anderswo Arbeit finden», sagt Kang. «Die Alten freuen sich auf eine warme Schüssel mit Reis und wollen auch das Gefühl haben, dass sich jemand um sie kümmert.» Kangs Kantine ist eine von mehr als 80, die eine Wohltätigkeitsorganisation für alleinlebende Alte betreibt. «Was ich ihnen gebe, ist das, was ich selbst in 30 Jahren brauche», sagt sie.
Später in Pension
Chinas Regierung diskutiert auch darüber, ob sie die Zahl der Arbeitenden stabil halten soll, indem sie das Renteneintrittsalter anhebt. Momentan liegt es für Männer bei 60 Jahren, für weibliche Büroangestellte bei 55 und für Fabrikarbeiterinnen bei 50. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua hat sich die Parteiführung bei ihrem Treffen am Montag darauf geeinigt, dass die Chinesinnen und Chinesen später in Rente gehen. Details wurden allerdings nicht genannt. Die Altersanhebung ist politisch heikel. Berufstätige Frauen mit guten Karrieren wollen gern länger im Job bleiben, aber all jene, die nach Jahrzehnten der körperlichen Arbeit erschöpft sind, wollen nicht später in Rente gehen.
Die Geburtenrate, also die durchschnittliche Zahl der Geburten jeder Mutter, lag im Jahr 2020 bei 1,3. Um die Einwohnerzahl stabil zu halten, wäre ein Wert von 2,1 nötig. Schrumpft die Bevölkerung, würde das zwar Ressourcen schonen, doch «das ist ja nicht nachhaltig», sagt Song Jian, Professor am Zentrum für Bevölkerung und Entwicklung an der Renmin-Universität in Peking. China müsse «die Bereitschaft zum Kinderkriegen fördern», sagt er. «Wir müssen es für die Menschen attraktiv machen, Kinder zu kriegen oder eine Familie zu gründen.
Doch Paare, die Kinder wollen, sind abgeschreckt von den Umständen: Die Wohnungen sind klein, oft leben noch die eigenen Eltern mit darin.
Kinderbetreuung ist teuer und der Mutterschutz kurz. Ein Rechtsanwalt aus Peking, der nur seinen Nachnamen Zhang nennen wollte, sagt, er und seine Frau wollten nur ein Kind. Grund seien die Kosten der Ausbildung, und dass sie sich noch um ihre Eltern kümmern müssten. «Die Regierung sollte junge Eltern entlasten», sagt Zhang. «Wenn ein Paar sich sowohl um Kinder als auch um die eigenen Eltern kümmern muss – das schafft keiner.»