Kampf um den NordpolDarum droht in der Arktis der nächste globale Konflikt
Von Gabriela Beck
30.8.2022
Angesichts eisfreier Seepassagen und zugänglicher Bodenschätze in naher Zukunft rückt die Arktis in den Fokus der Grossmächte. Das weckt Begehrlichkeiten und birgt viel Streitpotenzial.
Von Gabriela Beck
30.08.2022, 16:01
tgab
Die Nato will künftig wegen verstärkter russischer Aktivitäten in der Arktis ihre Präsenz in der Region erhöhen, kündigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in der «Welt am Sonntag» an. Moskau sei dabei, «Stützpunkte aus Sowjetzeiten wieder zu öffnen und neue hochmoderne Waffen wie Hyperschallraketen dort zu stationieren und auszuprobieren», sagte der Nato-Chef. Das Verteidigungsbündnis sei deshalb dabei, in Seeaufklärer zu investieren, um ein klares Lagebild erhalten zu können, was im hohen Norden vor sich geht.
Die Antwort aus Russland folgte prompt. «Wir nehmen das negativ wahr», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. «Russland wird seine Interessen in angemessener Weise wahren.» Peskow verwies auf Sicherheitsbedürfnisse und «wirtschaftliche Aktivitäten». Moskau erhebt in der Arktis Anspruch auf 1,2 Millionen Quadratkilometer – insbesondere auf die dort lagernden Rohstoffe Öl und Gas.
China inszeniert sich als «arktisnaher Staat»
Auch China interessiert sich unter dem Deckmantel «wissenschaftlicher Forschung» für die Region. Die Grossmacht inszeniert sich als «arktisnaher Staat» und will im hohen Norden eine polare «Neue Seidenstrasse» mit Handelswegen und Infrastrukturprojekten aufbauen. Laut einer Studie der US-Denkfabrik Brookings spricht Präsident Xi Jinping in internen Reden davon, dass China bis 2030 eine «polare Grossmacht» werden wolle.
Zuletzt zeigten Russland und China gesteigerte Aktivitäten nahe dem Nordpol – Russland mit U-Booten und Kampfflugzeugen, China mit der Errichtung arktischer Forschungsstationen.
Das hat wiederum die USA auf den Plan gerufen, die die Ernennung eines «Arktis-Botschafters» angekündigt haben. Dieser werde mit anderen Arktis-Anrainerstaaten, indigenen Gruppen und weiteren Interessenvertretern zusammenarbeiten, sagte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Vedant Patel, am Freitag in Washington.
Nur rund vier Millionen Menschen leben in der Arktis, also jenseits des nördlichen Polarkreises. Und dennoch hat die Region das Zeug dazu, in naher Zukunft zum Mittelpunkt geostrategischer Konflikte zu werden. Die Gründe:
Warum ist die Arktis so attraktiv?
Infolge der Klimaerwärmung und Eisschmelze gewinnt die Arktis für die Schifffahrt stetig an Bedeutung. Die Nordpol-Region ist die entscheidende Verbindung zwischen Nordamerika und Europa und bildet zugleich die kürzeste Distanz zwischen Nordamerika und Russland. Es ist absehbar, dass zuvor zugefrorene Wasserwege künftig Handels- wie Militärschiffen offenstehen werden.
Schmelzendes Eis gestattet aber auch die Ausbeutung bislang unzugänglicher Ressourcenschätze. Obwohl weniger als fünf Prozent der Arktis überhaupt kartografiert sind, werden riesige Vorkommen an Erdöl, Erdgas, Uran, Gold und Seltenen Erden unter dem Polarmeer und Inlandeis vermutet. Deren Ausbeutung wird deutlich einfacher und lukrativer, wenn keine Eismassen Schiffe und Fördertechnik gefährden.
Wem gehört die Arktis?
Das Eismeer um den Nordpol ist zum grossen Teil internationales Gewässer. Gerade deshalb sind Regeln für die Rohstoffgewinnung und die Schifffahrt nötig. Entschieden wird über diese Dinge im Arktischen Rat mit Sitz in Tromsö, der die acht Anrainerstaaten umfasst: Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Schweden, Russland und die USA.
Die Wirtschaftszonen der Anrainerstaaten reichen in die Arktis hinein. Innerhalb dieser 200-Seemeilen-Zone darf der jeweilige Küstenstaat die Naturressourcen nutzen, zum Beispiel Rohstoffe gewinnen.
Wer verlangt was?
Russland sieht weite Teile der Arktis als eine Fortsetzung seines Landgebiets unter Wasser, basierend auf Unterwasser-Höhenzügen – und beantragt seit Langem eine Vergrösserung seines Festlandsockels bei der UN. Kürzlich hat Putin in einer neuen Militärdoktrin für die Kriegsmarine auch Russlands Seegrenzen in der Arktis neu festgesetzt.
China hat kein Mitspracherecht im Arktischen Rat, gehört lediglich zu den 13 Beobachterstaaten. «Im Gegensatz zu den meisten anderen Weltregionen ist die Arktis ein Insider-Club, und China muss sich auf Partner verlassen, um seine Interessen durchzusetzen», schreibt die amerikanische Politik-Professorin Elizabeth Wishnick in ihrem Blog zu Chinas Rohstoffrisiken.
Warum steigen die Spannungen gerade jetzt?
Die Erderwärmung im Zuge der Klimakrise ist in der Arktis gemäss einer Studie finnischer Forscher deutlich schneller vorangeschritten als bislang angenommen. Die Region hat sich fast viermal so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt. Laut Schätzungen könnte das arktische Meer in 20 Jahren im Spätsommer und Frühherbst komplett eisfrei sein.
Dies ist der Katalysator einer dynamischen Entwicklung, welche die bislang praktizierten Formen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten verändert. Denn je weniger arktisches Eis es gibt, desto nachdrücklicher machen die Akteure ihre jeweiligen Ansprüche geltend und desto mehr geraten sie in Konkurrenz zueinander.
Welche Gefahr geht von den Anrainerstaaten aus?
Wo Unternehmen und politische Akteure auf der Suche nach Geschäften und Gewinnen aufeinandertreffen, gerade wenn es um wertvolle Ressourcen geht, drohen Konflikte – im besten Fall diplomatischer Natur, im schlimmsten Fall unter Einsatz von Waffen.