Kapitol-Sturm Darum wird die Luft für Trump mit jeder Anhörung dünner

Von Oliver Kohlmaier

15.7.2022

Er gerät juristisch zunehmend unter Druck: Der ehemalige US-Präsident Donald Trump, hier während der Kundgebung im Vorfeld der Attacke auf das US-Kapitol. 
Er gerät juristisch zunehmend unter Druck: Der ehemalige US-Präsident Donald Trump, hier während der Kundgebung im Vorfeld der Attacke auf das US-Kapitol. 
Jacquelyn Martin/AP/dpa

Die Anhörungen zum Kapitol-Sturm haben Donald Trump bereits jetzt mehr geschadet als erwartet. Doch kann der Ex-Präsident seinen Kopf auch diesmal aus der Schlinge ziehen?

Von Oliver Kohlmaier

15.7.2022

«Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschiessen, und ich würde dennoch keine Wähler verlieren», prahlte Donald Trump einst auf einer Wahlkampfveranstaltung.

Zu weit hergeholt ist das nicht. Denn der ehemalige US-Präsident hatte schon in seiner Zeit als Immobilienunternehmer ständig Ärger mit der Justiz, und auch als Präsident hat sich daran nichts geändert.

Politisch geschadet hat es ihm dennoch nicht. Die meisten Amerikaner*innen hatten sich zu Beginn der Anhörungen ohnehin bereits entschieden, auf wessen Seite sie stehen. Und strafrechtlich ernsthafte Konsequenzen musste Trump ebenso wenig fürchten.

Mehr Schaden als erwartet

Politische Beobachter*innen hatten auch den Anhörungen zum Kapitol-Sturm keine grossen Chancen eingeräumt, daran etwas zu ändern.

Dennoch hat der Ausschuss Donald Trump bereits jetzt mehr Schaden zugefügt, als politische Beobachter erwartet hatten. Laut einer neuen Umfrage finden nunmehr 69 Prozent der US-Amerikaner*innen, Trump trage zumindest eine Mitverantwortung für den Kapitol-Sturm.

Und auch ob sich Trump einer Strafverfolgung ein weiteres Mal entziehen kann, ist zunehmend fraglich. Mit jeder Anhörung — am Dienstag fand die siebte statt — wird sie wahrscheinlicher.

Das sehen nicht nur die Demokraten und andere Kritiker*innen so, sondern auch Expert*innen. Dabei kommt der jüngsten Anhörung eine grosse Bedeutung zu, obwohl sie weniger Spektakuläres zutage förderte als vorangegangene Ausschusssitzungen.

Sturm auf das Kapitol war «bewusste Strategie» Trumps

Sturm auf das Kapitol war «bewusste Strategie» Trumps

War der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 durch Trump-Anhänger spontan – oder verfolgte der damalige US-Präsident genau diesen Plan? Der Untersuchungsausschuss zu den Vorkommnissen ist sich sicher: Trumps Vorgehen war eine bewusste Strategie

13.07.2022

Teils spektakuläre Zeugenaussagen räumten bereits zuvor mit der Mär auf, der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 sei lediglich ein friedlicher Protest gewesen, der aus dem Ruder lief.

Nach Auffassung des Untersuchungsausschusses ist der Sturm auf das Kapitol eben nicht spontan entstanden, wie von Trump und seinen Unterstützern dargestellt, sondern wurde bereits Tage zuvor geplant und sei eine «bewusste Strategie» gewesen. Zudem habe Trump gewaltbereite Rechtsextremisten aufgefordert, an dem Marsch zum Kapitol teilzunehmen. 

«Explosive Wirkung» in der rechten Szene

Dem  Ausschussmitglied Jamie Raskin zufolge kam dabei einem Trump-Tweet vom 19. Dezember — also rund drei Wochen vor dem Kapitol-Sturm — eine entscheidende Bedeutung zu. Der Beitrag habe in der rechten Szene eine «explosive Wirkung» entfaltet.

Als Zeuge trat auch ein Twitter-Mitarbeiter in Erscheinung, dessen Aussage bei der Anhörung anonymisiert vorgetragen wurde. Demnach habe man beim sozialen Netzwerk «diese Art von direkter Kommunikation bisher noch nicht gesehen». Zum ersten Mal habe ein Präsident mit extremistischen Organisationen gesprochen und ihnen Anweisungen gegeben.

Zuvor gab es ein Treffen mit Mitarbeiter*innen im Weissen Haus, das nach Zeugenaussagen aus dem Ruder gelaufen war. Anschliessend hatte Trump einen Tweet abgesetzt, in dem er zu Protesten aufrief: «Big protest in D.C. on January 6th. Be there, will be wild!»

«Seid dabei, es wird wild!»

Tweet als Gewaltaufruf?

Laut Laurence Tribe, Verfassungsrechtler an der Harvard-Universität, stärkt die Anhörung von Dienstag den Fall «erheblich», gerade im Hinblick auf Trumps direkte Beteiligung am Schüren von Gewalt im Vorfeld der Kapitol-Erstürmung. 

Die Beweise dafür seien stark und deuteten zudem darauf hin, dass der Aufstand alles andere als spontan war, sagte er dem britischen «Guardian». Mehr noch: Trump sei sich voll und ganz bewusst gewesen, dass seine einzig verbleibende Möglichkeit im Wesentlichen daraus bestand, den Tweet mit dem dramatischen Aufruf abzusetzen.

Diesen habe Tribe zufolge Proud Boys, Oath Keepers und andere gewaltbereite rechte Milizen «vorhersehbar» als Aufruf zu den Waffen interpretiert. Die direkte Verantwortung Trumps für den Aufstand sei nun «viel leichter» zu beweisen.

Donald Trump rief Zeugen an

Tribe ging bereits vor zwei Wochen davon aus, dass Justizminister Merrick Garland Anklage gegen Donald Trump erheben wird. 

Dass diese nun näher rückt, beförderte Trump womöglich auch noch selbst. Denn in ihrem Abschlussplädoyer sorgte die stellvertretende Ausschussvorsitzende Liz Cheney noch für einen Überraschungsmoment, als sie Donald Trump vor der Beeinflussung von Zeugen warnte.

So habe der Ex-Präsident versucht, eine Person zu kontaktieren, die noch nicht vor dem Ausschuss ausgesagt habe. Details seien an das Justizministerium übermittelt worden.

Diese Ansprache liess aufhorchen. Zeugenbeeinflussung ist in den USA eine ernste Sache — und leichter zu beweisen als «Sedition» (dt. ‹Aufwiegelung›). Der besagte Zeuge jedoch schaltete laut Cheney kurzerhand einen Anwalt ein, anstatt ans Telefon zu gehen.

Gut für Trump: Denn der Anruf selbst kann wohl eher nicht als Zeugenbeeinflussung gewertet werden, wie Jurist*innen und ehemalige Strafverfolger des Justizministeriums sagen. «Trump kann verdammt froh sein, dass der Zeuge nicht abgehoben hat», erklärte etwa Peter Zeidenberg, ein Ex-Mitarbeiter des Justizministeriums gegenüber «Insider».

Dennoch könne der Versuch weitere Ermittlungen nach sich ziehen. Jack Quinn, früherer Berater des Weissen Hauses, sagt: «Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass Trumps Versuch, mit einem Zeugen in diesem oder anderen Verfahren zu sprechen, unklug war — es war monumental dumm.»

Demnach habe sich der Ex-Präsident mit diesem Schritt noch mehr strafrechtlichen Vorwürfen ausgesetzt, darunter Zeugenbeeinflussung und Behinderung des Kongresses.

«Trump ist in Schwierigkeiten»

Norm Eisen, Ex-Sonderberater des Justizausschusses, schrieb auf Twitter, die Anhörung habe Trumps «gewalttätige Absichten» weiter untermauert.  Diese bewegen sich von «Beweisen für wahrscheinliche Verbrechen» bis hin zu Beweisen, die «über einen begründeten Zweifel hinaus» gingen.

Auch ein früherer Schlüsselzeuge im Watergate-Prozess erwartet eine Anklage gegen den Ex-Präsidenten. «Trump ist in Schwierigkeiten», sagte er dem US-Sender CNN. Besonders hob er dabei die jüngste Anhörung hervor, in denen Beschuldigte der rassistischen Milizen Oath Keepers und Proud Boys im Kongress aussagten. 

Dort rechnete etwa der frühere Trump-Anhänger Stephen Ayres mit Trump ab. Erst dessen Aufruf zum Marsch zum Kapitol habe ihn überhaupt veranlasst, da mitzumachen, erklärte er.

Nun, da er Job und Haus verloren habe, sehe er die Sache anders.